© UNICEF/UNI733332/ShahanFolgen des Syrien Kriegs: Yahia sitzt im Rollstuhl
Kinder weltweit

10 Fakten zur Kindheit in Syrien

Nach fast 14 Jahren Krieg kennt eine ganze Generation von Kindern in Syrien kaum etwas anderes als Gewalt, Vertreibung und Not. Der Regierungswechsel Ende 2024 hat für viele Familien neue Hoffnung gebracht. Doch die Situation ist fragil und Millionen Menschen sind nach Jahren des Krieges auf humanitäre Hilfe angewiesen. Was bedeutet es, jetzt als Kind in Syrien aufzuwachsen?


von Johanna Wynn Mitscherlich

Zunächst vielleicht die Frage: Was ist Syrien eigentlich für ein Land?

Syrien liegt im Nahen Osten und ist etwa halb so groß wie Deutschland. Das Land grenzt an Israel, den Libanon, Türkei, Irak und Jordanien und hat Zugang zum Mittelmeer. Besonders bekannt ist die Hauptstadt Damaskus, deren Geschichte bis in die Steinzeit zurückreicht.

Vor dem Bürgerkrieg war Syrien viele Jahrzehnte ein beliebtes Touristenziel. Nicht nur die lange und reiche Geschichte des Landes, sondern auch die ganz unterschiedlichen Landschaften begeisterten Besucher*innen: Im Südosten des Landes liegt die Syrische Wüste, der Süden ist von Vulkanen und Lavafeldern geprägt, im Osten gibt es bis zu 2.800 Meter hohe Gebirge und im Westen das Mittelmeer.

Die Hintergründe des Bürgerkrieges in Syrien

Heute leben etwa 23 Millionen Menschen in Syrien. Die politische Situation im Land war viele Jahre instabil. 2011 kam es zu friedlichen Massenprotesten, bei denen Oppositionelle Reformen, Freiheit und den Rücktritt von Bashar al-Assad forderten. Dabei waren die Hoffnungen im sogenannten Arabischen Frühling groß, vor allem nach den Aufständen in Tunesien und Ägypten. Doch es entwickelte sich ein komplizierter und brutaler Bürgerkrieg mit unterschiedlichen Konfliktparteien, Akteuren und Interessen.

Syrien Krieg: Die Zerstörung ist groß

Zerstörte Häuser in Idlib. Die Folgen des Krieges sind überall zu sehen.

© UNICEF/UNI722950/Nader

Neue Hoffnung? So ist die Situation in Syrien heute

Nach fast 14 Jahren Krieg steht Syrien an einem Wendepunkt. Seit November 2024 hat das Land bedeutende politische Veränderungen durchlaufen es kam zu einem Regierungswechsel und eine neue Übergangsregierung wurde gebildet.

Syrien befindet sich jedoch weiterhin in einer fragilen Situation. In einigen Teilen des Landes ist die Gewalt erneut aufgeflammt und die humanitäre Lage ist schlecht. Der jahrelange Krieg hat schreckliche Not für die Familien gebracht und die schlechte Wirtschaftslage sowie klimabedingte Schocks haben ihre Lage zusätzlich verschärft. Auch kämpfen viele Menschen noch immer mit den Folgen der schweren Erdbeben im Februar 2023, bei denen Hunderttausende Menschen ihr Zuhause verloren haben.

Insgesamt sind mehr als 16 Millionen Menschen in Syrien, darunter über sieben Millionen Kinder, auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Wie ist das Leben der Kinder in Syrien?

Wir haben zehn Fakten gesammelt, die helfen sollen, die Situation der Kinder in Syrien besser zu verstehen.

1. Viele Kinder haben nichts als Krieg erlebt

14 Jahre – das ist eine lange Zeit im Leben eines Menschen. Für Kinder wie Azzam (Foto unten) war ihre gesamte bisherige Kindheit durch den Konflikt in Syrien bestimmt.

Azzam war gerade einmal fünf Jahre alt, als eine Bombe auf eine der vielen Flüchtlingsunterkünfte fiel, in denen er in seinem kurzen Leben schon gewohnt hat. Seine kleine Schwester wurde getötet, sein Vater schwerstverletzt. Azzam verlor sein Bein. Gewalt, Trauer um Familie und Freunde, und immer wieder Flucht vor dem Konflikt – wie Azzam erging es Millionen von Kindern in Syrien während des Krieges.

Syrien: Der 12-jährige Azzam zusammen mit seinen drei Schwestern.
© UNICEF/UN0603137

Seit Beginn des Syrienkrieges 2011 sind im Land Millionen Kinder geboren worden. Sie haben bisher nichts anderes als Krieg erlebt. Und auch wenn der Regierungswechsel im Dezember 2024 neue Hoffnung gebracht hat, bleibt die Lage unbeständig und viele Kinder leben weiterhin in Angst vor Gewalt, Landminen und explosiven Sprengkörpern.

Blog

Mit Kindern über Krieg sprechen – 5 Tipps für Eltern

„Ich habe jahrelang geweint, sobald ich ein lautes Geräusch gehört oder auch nur einen Tropfen Blut gesehen habe. In Sicherheit habe ich mich nie gefühlt, ich hatte immer Angst“, erzählt Azzam. Sich an den Krieg gewöhnen? Davon kann auch nicht die Rede sein, wenn man in ihn hineingeboren wurde.

Unsere UNICEF-Kolleg*innen waren während des gesamten Krieges vor Ort und haben die Kinder mit lebenswichtigen Hilfsgütern wie Spezialnahrung, sauberem Wasser und Hygieneartikeln versorgt. Auch jetzt stehen wir weiter an der Seite der Kinder und ihrer Familien, um Hilfe und so Hoffnung in ihr Leben zu bringen. Wir leisten medizinische Hilfe, unterstützen Schulen und Lehrer*innen oder bauen kinderfreundliche Zentren auf. Hier finden Kinder wie Azzam einen Ort, um zu spielen und die schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten.

2. Zuhause? Das kennen viele Kinder aus Syrien nur aus Erzählungen

Zuhause, das ist für viele der Ort, an dem das Herz sich wohlfühlt. Da, wo wir uns sicher fühlen und unsere Familie um uns herumhaben. Einen solchen Ort kennen Millionen Kinder in Syrien allerdings nur aus Erzählungen. „Das Leben dieser Kinder ist geprägt von Verlust, Risiko und Unsicherheit“, berichtet eine UNICEF-Kollegin aus Syrien. „Ein elfjähriges Mädchen sagte zu mir: ‚Ich weiß nicht, was das Wort Zuhause bedeutet.'"

Insgesamt sind infolge des Krieges 7,2 Millionen Menschen innerhalb Syriens vertrieben worden, darunter viele Kinder. Rund fünf Millionen Menschen sind in die Nachbarländer Syriens geflohen. Durch die politischen Umwälzungen seit Ende 2024 wurden zudem erneut mehr als 600.000 Menschen, darunter etwa 275.000 Kinder, vertrieben.

Syrien Krieg: Kinder spielen in einer informellen Siedlung

Drei Jungen spielen in einer informellen Siedling in Idlib.

© UNICEF/UNI724526/Nader

Die Lebensbedingungen auf der Flucht sind hart: Viele Menschen sind in Zeltstädten untergebracht, in denen sie auf engstem Raum zusammenleben und wo es an ausreichendem Wasser und Essen fehlt. Ein Großteil der Geflüchteten lebt in Gastgemeinden, die nach Jahren des Krieges selbst nicht mehr viel haben, das sie teilen können. Mit bis zu 20 Familienmitgliedern teilen sie sich kleine Zimmer oder kommen in Rohbauten ohne Wasseranschlüsse oder Strom unter. Häufig haben sie nicht mehr als ein paar dünne Matratzen, auf denen sie nachts auf dem Boden schlafen.

Blog

Weltflüchtlingstag: Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Kindern auf der Flucht

Um Syrer*innen auf der Flucht zu helfen, arbeitet UNICEF in Syrien selbst und auch in den Nachbarstaaten Irak, Jordanien, Libanon und der Türkei. Wir versorgen zusammen mit unseren Partnerorganisationen die Geflüchteten in den Camps und Nothilfezentren mit Trinkwasser und sanitären Anlagen, ermöglichen Kindern, wieder in die Schule zu gehen und helfen ihnen bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse.

3. Arm sein ist in Syrien die Regel, nicht die Ausnahme

Ahmad und Mahmoud aus Aleppo sind zwei von Millionen Kindern, die in Syrien in Armut aufwachsen. Sie können nicht zur Schule gehen und arbeiten deshalb auf einem Markt. Aufgrund der schweren, anhaltenden Wirtschaftskrise leben immer mehr Familien in extremer Armut. Das bedeutet, dass diese Familien weniger als zwei Euro am Tag zur Verfügung haben. Ohne humanitäre Hilfe können die Menschen kaum überleben.

Syrien Krieg: Kinder wie Ahmad und Mahmoud sind durch den Krieg in Armut geraten.

Ahmad und Mahmoud können nicht zur Schule gehen und arbeiten auf einem Markt.

© UNICEF/UNI712081/Asmar
Blog

Ahmed (14): „Ich muss für meine Familie sorgen“

Viele Menschen können selbst Brot oder Milch nicht bezahlen, denn die Preise für Nahrungsmittel, Medikamente und Kleidung sind extrem hoch. 2024 lag die Inflation bei 35 Prozent und wird in diesem Jahr voraussichtlich weiter steigen.

UNICEF unterstützt Familien in Syrien mit Bargeldhilfen, wie zum Beispiel die Familie von Farha. Seit ihr Mann gestorben ist und sie ihr Haus verkaufen musste, versucht sie allein, ihre fünf Kinder zu versorgen. Ich stelle Gürtel für ein Geschäft in Damaskus her, aber das Geld, das ich für meine Arbeit bekomme, reicht kaum für unser tägliches Brot“, erzählt sie. Manchmal gehen Farha und ihre Kinder hungrig zu Bett.

Farha sitzt mit ihren Kindern in ihrer kleinen Wohnung.

Seit dem Tod ihres Mannes muss Farha allein für ihre Kinder sorgen und kommt kaum über die Runden.

© UNICEF/UNI726999/Shahan

Von UNICEF erhält die Familie inzwischen Bargeldhilfen, von denen sie sich lebenswichtige Dinge wie Lebensmittel, Wasser oder Kleidung kaufen kann. Familien können sich für das sogenannte Cash-Transfer-Programm registrieren und nach einer Überprüfung wird ihnen eine bestimmte Menge Geld ausgezahlt. Damit können sie sich flexibel und wo immer möglich mit dem versorgen, was sie am dringendsten brauchen.

Farha konnte von dem Geld nicht nur Lebensmittel, sondern auch einen kleinen Holzofen kaufen. Damit kann die Familie kochen und sich im Winter warm halten. Zum ersten Mal fühlen sich meine Kinder im Winter wieder warm an“, berichtet Farha.

4. Mehr als eine Mahlzeit am Tag gibt es für viele Kinder nicht

Drei Mahlzeiten am Tag – und eine davon warm? Davon träumen Hunderttausende Kinder und ihre Eltern in Syrien, die nicht genug zu essen haben. Als der einjährige Morei immer schwächer wurde, waren seine Eltern Mohamed und Abeer verzweifelt. Mohamed hatte kein Einkommen und wusste nicht, wie er seine Familie versorgen sollte. Seine Frau Abeer konnte ihren Sohn nach einer unerwarteten neuen Schwangerschaft im Alter von vier Monaten nicht mehr stillen. „Ich sah, wie der Körper meines Sohnes vor meinen Augen schrumpfte, und ich fühlte mich völlig hilflos“, berichtet Mohamed.

Syrien Krieg: Der Krieg hat zu einem Anstieg von Mangelernährung geführt.

Morei aus Damaskus wird mit einer speziellen Zusatznahrung gefüttert.

© UNICEF/UNI707707/Sargi

Als die Familie von einer von UNICEF unterstützten mobilen Klinik hörte, brachte sie ihren Sohn zu einer Untersuchung. Das Gesundheitsteam stellte fest, dass er schwer mangelernährt war. Morei bekam sofort therapeutische Nahrung und konnte sich langsam erholen. „Er ist jetzt ein aktiver kleiner Junge, der immer herumkrabbelt und die Welt mit offenen Augen und einem großen Lächeln erkundet", sagt sein Vater Mohamed.

Blog

Hungersnot, Ernährungskrise, Mangelernährung – Was ist das?

Laut dem Welternährungsprogramm hat in ganz Syrien mehr als die Hälfte der Bevölkerung fast 13 Millionen Menschen nicht ausreichend zu essen. Etwa 3,7 Millionen Kinder sind dringend auf Ernährungshilfe angewiesen. Die Zahl der Kinder und Mütter, die unter akuter Mangelernährung leiden, ist seit 2019 stark angestiegen.

Für Eltern wie Mohamed und Abeer gibt es wohl nichts Schlimmeres, als ihre Kinder vor Hunger leiden zu sehen. Auch, weil die Auswirkungen des Hungers die Entwicklung vor allem von Kleinkindern stark beeinträchtigen. Ihre Motorik und ihre kognitiven Fähigkeiten können sich nicht richtig entwickeln, wenn den Kindern Nährstoffe und Kalorien fehlen.

UNICEF liefert daher in großem Umfang Hilfsgüter nach Syrien und in die Nachbarländer, darunter Zusatznahrung für Kinder, Medikamente und Hygieneartikel. Wir untersuchen Kinder auf Mangelernährung und behandeln sie mit therapeutischer Spezialnahrung. Mütter erhalten zudem Unterstützung, wie sie ihre Neugeborenen am besten versorgen können.

Screening_UNI638335

In einer Klinik in Al-Hasaka wird der Oberarm eines Kleinkindes gemessen, um zu überprüfen, ob es unter Mangelernährung leidet.

© UNICEF/UNI638335/Aldhaher

5. Schultüte, Bleistift und Heft? Für viele Kinder in Syrien ist Schule nur ein Traum

Zur Schule zu gehen ist für viele Kinder ein Traum, der durch den Krieg in weite Ferne gerückt ist. Mehr als 2,4 Millionen Kinder – das sind etwa so viele Einwohner*innen wie in München und Köln zusammen – gehen in Syrien nicht zur Schule.

Seit Beginn des Syrienkrieges wurden tausende Schulen zerstört, beschädigt oder als Flüchtlingsunterkünfte genutzt. Vielerorts war es aufgrund von Angriffen auch schlichtweg zu gefährlich, Kinder in die Schule zu schicken. Als Geflüchtete fehlen den Familien zudem oft wichtige Papiere wie etwa Geburtsurkunden. Ohne Geburtsurkunden können Kinder jedoch häufig nicht zur Schule gehen, vor allem nicht, wenn sie als Geflüchtete im eigenen Land leben.

Syrien Krieg: Drei Mädchen sitzen in einer Schule, die durch den Krieg vorrübergehend schließen musste.

Aya, Arwa, und Loulya sitzen im Matheunterricht in einer Schule in Damaskus. Die Schule war wegen des Krieges 2012 geschlossen worden. Mit der Hilfe von UNICEF wurde sie repariert und 2024 wieder eröffnet.

© UNICEF/UNI672563/Shahan

Oft können Kinder auch nicht zur Schule gehen, weil sie stattdessen arbeiten müssen, um ihre Familien zu unterstützen. Für Eltern ist dies meist der letzte Ausweg.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Viele Kinder können trotz der schwierigen Umstände weiterhin lernen. Dies ist vor allem den Bemühungen von Lehrerinnen und Lehrern, Partnern vor Ort und der großzügigen Hilfe der UNICEF-Unterstützerinnen und Unterstützer zu verdanken. UNICEF konnte so zum Beispiel in Flüchtlingscamps Zeltschulen errichten und versorgt Kinder und Lehrpersonal mit Unterrichtsmaterialen. Bei Weiterbildungen lernen Lehrer*innen, wie sie auf die spezifischen Lernbedürfnisse der Kinder eingehen, und dabei auch die seelische Versorgung immer im Blick haben können.

Headerbild_UNI673078

Khatar musste aus ihrer Heimat fliehen und ist in einem Camp für Geflüchtete untergekommen. Sie nahm dort an Nachholunterricht teil und wurde inzwischen in einer regulären Schule aufgenommen.

© UNICEF/UNI673078/Varojan

6. Ein Arztbesuch? Auch im Notfall häufig keine Option!

Der Syrienkrieg hat schwere Spuren hinterlassen: Bomben haben ganze Stadtteile zerstört und immer wieder Menschenleben gefordert. Seit Beginn des Konflikts 2011 sind Tausende Kinder getötet oder verletzt worden. Und überall im Land lauern unsichtbare Gefahren durch Minen und Blindgänger.

Nur etwa 40 Prozent der Krankenhäuser und Gesundheitsstationen in Syrien sind voll funktionstüchtig. Für viele Familien eine extreme Belastung: Denn nicht nur für verwundete Kinder und Erwachsene mangelt es an ausreichender Versorgung; sondern auch Patient*innen mit chronischen Krankheiten wie etwa Diabetes fehlt es zum Beispiel an Insulin. Immer wieder wurden Gesundheitsstationen auch ganz gezielt attackiert und ein Großteil des medizinischen Personals ist geflohen oder bei Angriffen ums Leben gekommen.

UNICEF unterstützt mobile Kliniken, die mit Medikamenten und medizinischem Equipment ausgestattet sind. Sie fahren direkt dorthin, wo medizinische Unterstützung am dringendsten benötigt wird. Außerdem impfen wir Millionen Kinder gegen Krankheiten wie Polio, Masern oder Cholera.

Mobile Gesundheitsteams_UNI577916

Die einjährige Sana wird in Al-Hasakah von einem Gesundheitshelfer untersucht.

© UNICEF/UNI577916/Al Daher

7. Kinder mit Behinderungen haben es besonders schwer

Tausende Kinder müssen ihren Alltag mit teils schweren Behinderungen bewältigen, die oft eine Folge von Angriffen oder Explosionen von Sprengkörpern sind. In ganz Syrien sind insgesamt noch immer etwa 300.000 Minen verstreut. Die Zahl der Menschen mit Behinderungen ist in der Vergangenheit in die Höhe geschnellt, weil die Minen vielerorts nicht geräumt werden können. Insgesamt haben fast drei Millionen Menschen in Syrien eine Behinderung.

Nur selten gibt es für Kinder mit Behinderungen angemessene Behandlungen, Operationen oder Physiotherapie, die ihre Entwicklung fördern und ein Stück Lebensqualität zurückbringen können. Ohne ausreichende medizinische und psychotherapeutische Behandlung erholen sich die Kinder jedoch nur schwer von ihren Verletzungen und den traumatischen Erlebnissen.

Folgen des Syrien Kriegs: Yahia sitzt im Rollstuhl

Yahia hat bei einer Explosion beide Beine verloren.

© UNICEF/UNI733332/Shahan

Der 13-jährige Yahia verlor im Alter von sechs Jahren bei der Explosion einer Granate seine Beine und sitzt seitdem im Rollstuhl. Der Unfall hinterließ nicht nur körperliche, sondern auch tiefe seelische Wunden. Als er wegen seiner Behinderung auch noch von Mitschüler*innen gemobbt wurde, verhielt er sich zunehmend aggressiv, bis er sogar die Schule abbrach.

Mit der Unterstützung einer Kinderschutzexpertin von UNICEF nahm Yahia an Aktivitäten und Kursen von UNICEF teil und konnte in Beratungsgesprächen über sein Trauma sprechen. Irgendwann spielte er sogar Fußball. „Ich habe gelernt, mit meiner Wut umzugehen“, erklärt Yahia stolz. „Wenn ich wütend bin, atme ich jetzt tief durch, zähle bis zehn oder treibe Sport." Im letzten Jahr ist er in eine neue Schule gekommen, die auf Kinder mit Behinderungen ausgerichtet ist.

UNICEF unterstützt überall in Syrien Kinder mit Behinderungen und begleitet Schulen dabei, sie besser in den Unterricht zu integrieren.

8. Der Syrienkrieg hat unsichtbare Wunden hinterlassen – die Kinderseelen leiden

Nicht alle Spuren, die der jahrelange Krieg hinterlassen hat, kann man direkt sehen. Immer wieder berichten unsere Kolleg*innen vor Ort, dass sie Kinder treffen, die viel zu still sind. Die regungslos an den kalten Wänden ihrer behelfsmäßigen Unterkünfte lehnen. Denen Struktur im Chaos um sie herum fehlt. Die Kinder mussten in ihrem kurzen Leben viel erleben, viel aushalten. Dabei gibt es in Syrien nur wenige Psychiater*innen und psychologische Hilfe ist eine absolute Seltenheit.

Umso wichtiger sind die sogenannten Kinderschutzzentren von UNICEF. UNICEF errreicht jedes Jahr zehntausende Kinder mit psychosozialer Hilfe durch mobile Teams und in Kinderschutzzentren. Dort können Kinder spielen, lernen oder mit Mitarbeitenden über ihre Sorgen sprechen. Auch für Eltern und Betreuungspersonen werden Beratungen angeboten.

Syrien Krieg: Der Krieg hatte schwerwiegende Folgen für die mentale Gesundheit von Kindern.

Bild 1 von 2 | „Ich komme gerne hierhin, um zu malen", erzählt Ghaith (6). Er besucht regelmäßig das Kinderschutztentrum in Aleppo.

© UNICEF/UNI704243/Yacoubian
Mentale Gesundheit 2_UNI704142

Bild 2 von 2 | Das Kinderschutzzentrum bietet einen sicheren Ort, um über Erlebtes und Ängste zu sprechen.

© UNICEF/UNI704142/Yacoubian

9. Heiße Sommer – eisige Winter

Kniehoher Schnee, eisige Hagelstürme mit bis zu 80km/h und wochenlang Minusgrade: Nicht die erste Assoziation, die die meisten Menschen in Deutschland mit Winter im Nahen Osten haben, aber immer wieder bittere Realität in Syrien und den Nachbarländern.

Im Nordwesten Syriens, an der Grenze zur Türkei, kann das Thermometer auf bis zu -15 Grad sinken. In den Zeltstädten kann man dann den Atem der Kinder in ihren zerrissenen Hemden und Flipflops sehen – so kalt ist es. In der Vergangenheit sind immer wieder Kinder erforen, die der Nässe und Kälte des eisigen Winters nur wenig entgegenzusetzen haben.

Auch Menschen, die außerhalb der Camps in Städten unterkommen, sind im Winter besonderen Gefahren ausgesetzt. Viele Menschen, die von Armut betroffen sind, haben kein Geld für Heizöfen, Gas und warme Kleidung.

Winter_UNI701421

Kinder in einem Aufnahmezentrum in der Stadt Rakka. Sie mussten mitten im Winter vor Kämpfen fliehen.

© UNICEF/UNI701421/Aldhaher

Unsere UNICEF-Kolleg*innen vor Ort berichten auch, dass Kinder schwere Rauchvergiftungen bekommen, weil Menschen in ihrer Not Reifen, Schuhe und Müll verbrennen, um sich warm zu halten. Für ihre Gesundheit und die Umwelt hat das schwere Folgen, und immer wieder brechen Brände in den Lagern aus, bei denen auch Kinder ersticken.

Während die Winter in Syrien kalt sind, erreichen die Temperaturen im Sommer bis zu 47 Grad. Ohne Ventilatoren knallt die Sonne unbarmherzig auf die Zeltdächer und heizt die Luft so sehr auf, dass sie den Menschen ins Gesicht zu schneiden scheint. Sandstürme fegen immer wieder über die Camps hinweg, zerreißen die Zelte und verursachen Atemwegserkrankungen bei den Bewohner*innen.

Im Nordosten Syriens hat es seit Jahren nicht genug geregnet. Die Dürre bedeutet für die vielen Bauern und Bäuerinnen, dass ihre Ernten verkümmern, Lebensmittel ausgehen und sie kein Einkommen erzielen können.

Die Hitze ist auch deswegen so gefährlich, weil es vielen Menschen an sauberem Wasser mangelt. Mancherorts findet man schon ganze Geisterdörfer, da alle Menschen ihr Zuhause auf der Suche nach Wasser und Nahrung verlassen haben. Zwar sind Dürren und Schneefall in der Region nichts Ungewöhnliches, aber der Klimawandel hat diese Extreme in den letzten Jahren enorm verschlimmert. Trockenzeiten, Hitzewellen und Schneestürme stellen immer wieder neue Rekorde auf.

Blog

So bedroht Dürre Kinder: Antworten auf die wichtigsten Fragen

Um Kinder in den heißen Sommern und kalten Wintern zu unterstützen, liefert UNICEF unter anderem sauberes Wasser in großen Tanks in die Flüchtlingslager. Für die kalte Jahreszeit verteilt UNICEF warme Kleidung, Decken und wasserfeste Stiefel und auch Bargeld, damit Familien sich das zum Leben Notwendigste kaufen können.

10. Die Finanzkrise macht das Leben der Kinder noch härter

Der Syrienkrieg hat nicht nur Hunderttausende Häuser zerstört und Menschenleben gekostet, er hat das Land auch finanziell ruiniert. Die Wirtschaft hat sich zwischen 2010 und 2021 mehr als halbiert und die Währung des Landes, die syrische Lira, hat seit Beginn des Konflikts einen starken Wertverlust erfahren. Jeder vierte Mensch ist arbeitslos. Ein giftiger Mix aus Jahren des Kriegs und der Zerstörung, Dürre, Inflation, Arbeitslosigkeit und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wird viele Familien auch in den kommenden Monaten nicht aufatmen lassen.

Was bedeutet die Wirtschaftskrise konkret für die Kinder? Die Auswirkungen ziehen sich durch fast jeden Lebensbereich: Die Kinder essen weniger, ihre Familien können sich selbst das Lebensnotwendigste kaum leisten. Immer häufiger schicken Eltern ihre Kinder zum Arbeiten statt in die Schule oder verheiraten ihre minderjährigen Töchter, weil sie sie anderswo besser versorgt hoffen.

Verteilung Hilfe_UNI731429
© UNICEF/UNI731429/Haddad

Unsere Solidarität mit den Kindern in Syrien ist nun besonders wichtig

Nach Jahren des Krieges benötigen 16 Millionen Menschen, darunter mehr als sieben Millionen Kinder, weiterhin humanitäre Unterstützung. Das Land steht vor großen Herausforderungen, doch nach den politischen Veränderungen besteht Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wir müssen nun diese Chance nutzen, um eine Zukunft in Sicherheit und Stabilität für die Kinder zu schaffen.

UNI730613

Nach einer Schulung über Sprengkörper konnte Mohammed seinen Vater vor einem solchen retten. Die Räumung von Minen kann er sich auch als Berufsfeld vorstellen. „Die Überreste des Krieges schaden Menschen. Ich möchte sie schützen.“

© UNICEF/UNI730613/Shahan

Hilfe für die Kinder in Syrien

Sie möchten den Kindern in Syrien helfen? Dann unterstützen Sie den UNICEF-Einsatz vor Ort mit einer Spende. Wir versprechen: Jeder Beitrag kommt an. Vielen Dank!

Johanna Wynn Mitscherlich
Autor*in Johanna Wynn Mitscherlich

Johanna Wynn Mitscherlich arbeitet freiberuflich für UNICEF. Sie hat viele Jahre im Nahen Osten gelebt und gearbeitet, mit einem Fokus auf die humanitäre Situation in Syrien.