12 Fakten zur Kindheit in Syrien: Aufwachsen zwischen Bürgerkrieg, Armut und Hunger
Der Bürgerkrieg in Syrien hält nun schon 12 Jahre an und bedeutet eine ständige Gefahr für Kinder und ihre Familien – es gibt nur wenige Orte auf dieser Welt, wo Kinder so häufig und andauernd um ihr Leben fürchten müssen. Heftige Erdbeben Anfang Februar 2023 haben die Not der Familien noch einmal dramatisch verschärft. Wie leben und überleben die Kinder in Syrien? Wie bewältigen sie den Alltag inmitten andauernder Gewalt und Zerstörung? Und: Wie bewahren sie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft?
12 Fakten über das Leben der Kinder in Syrien
Aber zunächst: Was ist Syrien eigentlich für ein Land?
Syrien liegt im Nahen Osten und ist etwa halb so groß wie Deutschland. Das Land grenzt an Israel, den Libanon, Türkei, Irak und Jordanien und hat Zugang zum Mittelmeer. Besonders bekannt ist die Hauptstadt Damaskus, deren Geschichte bis in die Steinzeit zurückreicht. Auch den Namen der Stadt Rakka haben viele Menschen in Deutschland schon gehört.
Viele Jahrzehnte war Syrien ein beliebtes Touristenziel. Nicht nur die lange und reiche Geschichte des Landes, sondern auch die ganz unterschiedlichen Landschaften begeisterten Besucher*innen: Im Südosten des Landes liegt die Syrische Wüste, der Süden ist von Vulkanen und Lavafeldern geprägt, im Osten gibt es bis zu 2.800 Meter hohe Gebirge und im Westen das Mittelmeer.
Die Hintergründe des Bürgerkriegs in Syrien
Heute leben etwa 22 Millionen Menschen in Syrien. Die politische Situation im Land war viele Jahre instabil. 2011 kam es zu friedlichen Massenprotesten, bei denen Oppositionelle Reformen, Freiheit und den Rücktritt des Machthabers Bashar al-Assad forderten. Dabei waren die Hoffnungen im sogenannten Arabischen Frühling groß, vor allem nach den Aufständen in Tunesien und Ägypten. Doch es entwickelte sich ein komplizierter und brutaler Bürgerkrieg mit unterschiedlichen Konfliktparteien, Akteuren und Interessen.
Wie ist die politische Situation in Syrien heute?
Heute tobt in Syrien eine der größten humanitären Krisen unserer Zeit, mit Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, die kaum noch zu fassen sind. Vor allem für Kinder bedeutet der Syrienkrieg Not, Leid und Entbehrungen – die ganze nächste Generation fürchtet um ihre Zukunft. Nach einem Konflikt, der bereits länger dauert als beide Weltkriege zusammen, benötigen in Syrien 15,3 Millionen Menschen humanitäre Hilfe.
Anfang Februar 2023 haben heftige Erdbeben im Norden Syriens und der Türkei erneut Tod und Zerstörung über die Familien gebracht, die bereits unter den Folgen des Syrienkriegs litten. 500.000 Syrer*innen haben durch die Naturkatastrophe ihr Zuhause verloren.
Trotz zahlreicher Friedensverhandlungen und Diskussionen wie Resolutionen im UN-Sicherheitsrat scheint ein Ende des Syrienkonflikts in weiter Ferne. Immer mal wieder wurde eine Waffenruhe ausgehandelt, doch kurz darauf wieder gebrochen. Die Situation ist eingefroren, der Konflikt zu einem Stellvertreterkrieg mit zahlreichenden Akteuren geworden. Was klar ist: Im Syrienkrieg gibt es vor allem Verlierer*innen, und ganz besonders hart treffen Luftangriffe, Bomben, Hunger und Elend die nächste Generation des Landes: die Kinder.
Wie ist das Leben der Kinder in Syrien?
Wir haben zwölf Fakten gesammelt, die helfen sollen, die Situation der Jungen und Mädchen in Syrien besser zu verstehen.
1. Viele Kinder haben nichts als Krieg erlebt
Zwölf Jahre Krieg – das ist eine lange Zeit im Leben eines Menschen. Für Kinder wie den zwölfjährigen Azzam (Foto unten) bestimmt der Syrienkonflikt die gesamte Kindheit, ihr Leben.
Azzam war gerade einmal fünf Jahre alt, als eine Bombe auf eine der vielen Flüchtlingsunterkünfte fiel, in denen er in seinem kurzen Leben schon gewohnt hat. Seine kleine Schwester wurde getötet, sein Vater schwerstverletzt. Azzam verlor sein Bein. Gewalt, Trauer um Familie und Freunde, und immer wieder Flucht vor dem Konflikt – wie Azzam geht es Millionen von Kindern in Syrien.
Seit Beginn des Syrienkrieges im Jahre 2011 sind im Land rund fünf Millionen Kinder geboren worden. Sie kennen nichts anderes als Krieg und Konflikt. In vielen Teilen Syriens leben sie weiterhin in Angst vor Gewalt, Landminen und explosiven Sprengkörpern.
Ein Leben ohne Angst und Schrecken? Das kennen die meisten Kinder in Syrien nicht. „Ich habe jahrelang geweint, sobald ich ein lautes Geräusch gehört oder auch nur einen Tropfen Blut gesehen habe. In Sicherheit habe ich mich nie gefühlt, ich hatte immer Angst“, erzählt Azzam. Sich an den Krieg gewöhnen? Davon kann auch nicht die Rede sein, wenn man in ihn hineingeboren wurde.
Damit die Kinder mit ihrer Not nicht allein gelassen werden, sind seit Beginn des Syrienkonflikts 2011 UNICEF-Nothelfer*innen vor Ort und versorgen die Kinder mit lebenswichtigen Hilfsgütern wie Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und Hygieneartikeln. Außerdem leistet UNICEF medizinische Hilfe, unterstützt Schulen und Lehrer*innen und baut kinderfreundliche Zentren auf. Hier haben Kinder wie Azzam einen Ort, um zu spielen und die Erlebnisse zu verarbeiten. Tag für Tag arbeiten unsere Helfer*innen daran, Kindern und ihren Familien dringend benötige Hilfe und so Hoffnung in ihr Leben zu bringen.
2. Zuhause? Das kennen viele Kinder aus Syrien nur aus Erzählungen
Zuhause, das ist für viele der Ort, an dem das Herz sich wohlfühlt. Da, wo wir uns sicher fühlen und unsere Familie um uns herumhaben. Einen solchen Ort kennen Millionen syrische Kinder allerdings nur aus Erzählungen. „Das Leben dieser Kinder ist geprägt von Verlust, Risiko und Unsicherheit“, berichtet eine syrische UNICEF-Helferin. „Ein elfjähriges Mädchen sagte zu mir: ‚Ich weiß nicht, was das Wort Zuhause bedeutet‘“.
Durch den Krieg sind rund 13 Millionen Menschen auf der Flucht – etwa die Hälfte von ihnen hat Syrien verlassen, die andere Hälfte leben als Geflüchtete im eigenen Land. Insgesamt drei Millionen Kinder sind innerhalb Syriens auf der Flucht.
Die Lebensbedingungen auf der Flucht sind hart: Einige Menschen leben in Zeltstädten, in denen sie auf engstem Raum zusammenleben und wo es an ausreichendem Wasser und Essen fehlt. Der Großteil der Geflüchteten lebt jedoch in Gastgemeinden, die nach Jahren des Krieges selbst nicht mehr viel haben, das sie teilen können. Mit bis zu 20 Familienmitgliedern teilen sie sich kleine Zimmer oder kommen in Rohbauten ohne Wasseranschlüsse oder Strom unter. Häufig haben sie nicht mehr als ein paar dünne Matratzen, auf denen sie nachts auf dem Boden schlafen.
Um Syrer*innen auf der Flucht zu helfen, arbeitet UNICEF in Syrien selbst und auch in den Nachbarstaaten Irak, Jordanien, Libanon und der Türkei. Wir versorgen zusammen mit unseren Partnerorganisationen die Geflüchteten in den Camps und Nothilfezentren mit Trinkwasser und sanitären Anlagen, ermöglichen Kindern, wieder in die Schule zu gehen und helfen ihnen bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse.
3. Arm sein ist die Regel in Syrien, nicht die Ausnahme
Der zweijährige Ammar (Foto unten) ist eins von Millionen Kindern, die in Syrien und den Nachbarländern in Armut aufwachsen. 90 Prozent der Kinder leben mittlerweile in Armut – dabei war vor dem Konflikt extreme Armut in Syrien so gut wie nicht vorhanden. In den Nachbarländern Syriens gelten über 70 Prozent der syrischen Geflüchteten als arm. Im Libanon sind es sogar neun von zehn Syrer*innen.
Extreme Armut: Das bedeutet, dass die Familien weniger als zwei Euro am Tag zur Verfügung haben. Ohne humanitäre Hilfe können die Menschen nicht überleben.
Die Kinder brauchen immer mehr Hilfe, denn ihre Familien können selbst Brot oder Milch nicht mehr bezahlen. Die Preise für Nahrungsmittel, Medikamente und Kleidung sind explodiert, auch als Folge des Ukraine-Kriegs. Im März 2022 war die Inflation in Syrien so hoch wie das letzte Mal vor 30 Jahren. Der Großteil der Familien hat zwar mindestens ein arbeitendes Familienmitglied – dennoch müssen die Haushalte im Schnitt 50 Prozent mehr für Essen ausgeben, als sie im Monat verdienen können. Die Schuldenberge sind hoch und belasten die Familien stark.
4. Mehr als eine Mahlzeit am Tag gibt es nicht
Drei Mahlzeiten am Tag – und eine davon warm? Davon träumen Hunderttausende Kinder und ihre Eltern in Syrien, die nicht genug zu essen haben. Die kleine Zahra (Bild unten) war schon bei der Geburt stark untergewichtig, denn ihrer Mutter fehlten während der Schwangerschaft wichtige Nährstoffe.
In den letzten Jahren musste ihre Mutter Alaa immer wieder mit Zahra fliehen. „Ich konnte meiner Tochter nie genug zu essen geben. Sie wurde immer schwächer und kränker“, berichtet Alaa. Dank einer von UNICEF unterstützten mobilen Klinik erhält Zahra nun therapeutische Nahrung. So langsam kommt das kleine Mädchen wieder zu Kräften.
Eine Analyse des Welternährungsprogramms schätzt, dass in ganz Syrien über zwölf Millionen Menschen nicht ausreichend zu essen haben. Das sind so viele Menschen wie Belgien Einwohner*innen hat. Etwa 360.000 Kinder in Syrien sind akut mangelernährt – mehr als 75.000 Kinder so schwer, dass ihr Leben in Gefahr ist.
Die Fälle von Mangelernährung bei Kindern und Müttern in Syrien steigen gerade so stark wie nie zuvor. Schuld daran hat auch die Dürre, die vor allem den Nordosten des Landes hart trifft und eine schwere Wasserkrise ausgelöst hat (siehe Fakt 10). Ohne Regen bleibt die Ernte aus und vielerorts gibt es nicht mehr ausreichend Getreide, Gemüse und Früchte.
Und was es noch an den Ladentheken gibt, kann sich kaum eine Familie leisten: Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich im letzten Jahr fast verdoppelt. Viele Familien haben keine Möglichkeit, ihre normalerweise benötigten monatlichen Einkäufe durch ihr Einkommen abzudecken, wie etwa Brot, Eier oder Milchprodukte.
„Die Auswirkungen in der Ukraine auch auf die Lebensmittelpreise verschlimmern die ohnehin schon schlechte Situation noch weiter“, berichtet Adele Khodr, UNICEF-Regionaldirektorin für den Mittleren Osten und Nordafrika.
Für Eltern wie Alaa gibt es wohl nichts Schlimmeres, als ihre Kinder vor Hunger leiden zu sehen. Auch, weil die Auswirkungen des Hungers die Entwicklung vor allem von Kleinkindern stark beeinträchtigen. Ihre Motorik und ihre kognitiven Fähigkeiten können sich nicht richtig entwickeln, wenn den Kindern Nährstoffe und Kalorien fehlen.
In großen Konvois bringt UNICEF daher Hilfsgüter nach Syrien und in die Nachbarländer, gefüllt mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Hygieneartikeln. Wir untersuchen die geflüchteten Kinder in den Notunterkünften auf Mangelernährung und behandeln sie mit therapeutischer Spezialnahrung gegen den Hunger. Mütter erhalten Unterstützung, wie sie ihre Neugeborenen am besten versorgen können.
5. Viele Mädchen aus Syrien tragen Hochzeitskleid statt Schuluniform
Die 18-jährige Siba (Foto unten) hat ein klares Ziel: Sie will, dass im Flüchtlingscamp Zaatari in Jordanien mehr junge Mädchen Schuluniform statt Hochzeitkleid tragen. „In unserer Gesellschaft ist es sehr üblich, dass vor allem Mädchen früh heiraten. Seit dem Krieg ist das noch viel schlimmer geworden, denn viele Eltern wissen nicht, wie sie ihre Kinder sonst versorgen können“, sagt die Schülerin.
Zusammen mit anderen jungen Erwachsenen nimmt Siba an einem UNICEF-Projekt teil, in dem Start-Ups im Camp unterstützt werden. Als junge Unternehmerin lernt sie dabei alles, was sie braucht, um ihre Idee, mit Theaterstücken auf das Problem der Kinderheirat hinzuweisen, in die Tat umzusetzen.
Und das Problem ist groß. Im Libanon etwa sind rund 40% der syrischen Mädchen unter 19 Jahren bereits verheiratet. Bei jeder dritten Ehe von Syrern in Jordanien ist ein Ehepartner, meist das Mädchen, noch unter 18 Jahren.
Kinderheiraten gab es auch vor dem Syrienkonflikt – da waren sie, mit etwa 13 Prozent, jedoch seltener. Immer wieder berichten Eltern, dass sie ihre Töchter aus Angst vor Gewalt und Hunger verheiratet haben. Sie hoffen, dass sie sie so beschützen und ihnen finanzielle Stabilität geben können.
Leider ist häufig das Gegenteil der Fall: Die Kindheit der Mädchen endet abrupt. Sie sind besonders häufig Gewalt von ihren Partnern ausgesetzt, werden aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen und müssen meistens die Schule verlassen um sich um Haushalt und Kinder zu kümmern. Auch das Gesundheitsrisiko ist groß: Teenager-Mütter leiden in der Schwangerschaft und bei der Geburt ihrer Kinder besonders häufig an Komplikationen.
Nicht selten werden die Kinderehen auch früh geschieden oder nie offiziell registriert. Geschiedene junge Frauen werden dann nicht selten in ihren Gemeinschaften stigmatisiert, mit weitreichenden Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit, ihr soziales und wirtschaftliches Leben.
6. Schultüte, Bleistift und Heft? Für viele syrische Kinder ist Schule nur ein Traum
Heute ist Schule meist nur ein Traum, der für viele Kinder in weite Ferne gerückt ist. Mehr als zwei Millionen Kinder – das sind etwa so viele Einwohner*innen wie in München und Köln zusammen – gehen in Syrien nicht zur Schule. In den Nachbarländern ist die Situation nicht besser. Im Libanon etwa hat fast jedes dritte syrische, schulpflichtige Kind, noch keine Schule von innen gesehen.
Seit Beginn des Syrienkrieges wurden tausende Schulen zerstört, beschädigt, oder werden als Militäranlagen oder Flüchtlingsunterkünfte genutzt. Vielerorts ist es auch schlichtweg zu gefährlich, Kinder in die Schule zu schicken: Über 700 Angriffe auf Bildungseinrichtungen und Personal wurden von den Vereinten Nationen seit 2011 bestätigt, darunter Luftangriffe. Als Geflüchtete fehlen den Familien oft auch wichtige Papiere wie etwa Geburtsurkunden. Ohne Geburtsurkunden können Kinder jedoch häufig nicht zur Schule gehen, vor allem nicht, wenn sie als Geflüchtete im eigenen Land leben.
Eine UNICEF-Umfrage unter syrischen Familien zeigt, dass der Mangel an Bildung für ihre Kinder die Eltern stark beschäftigt. „Es ist offensichtlich, dass die Wunden tief und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen enorm sind. Bildung für Kinder und Armut gehören zu den größten Sorgen der Menschen,“ sagte Ted Chaiban, früher UNICEF-Regionaldirektor für den Mittleren Osten und Nordafrika.
Ganz klar ist auch: Häufig drücken die Kinder die Schulbank nicht, weil sie stattdessen arbeiten müssen. 48 % der Familien in Syrien berichtet, dass ihre Kinder nicht zur Schule gehen, weil sie mitdazuverdienen müssen. Eine Entscheidung, die für die meisten Eltern blanker Horror und absolut letzter Ausweg ist.
Hunderte an Jungen werden auch als Kindersoldaten rekrutiert. „Die Kinder sind überall gefährdet und werden angegriffen. Dabei ist der Schutz von Kindern in Konflikten ein grundlegendes Prinzip des Völkerrechts. Diese rote Linie sollte nie überschritten werden“, so der führere UNICEF-Regionaldirektor Geert Cappelaere. Etwa ein Viertel der Kindersoldaten in Syrien ist Schätzungen zu Folge jünger als 15 Jahre. Die Kindheit in Syrien ist kurz, die Auswirkungen, die das für Land, Leute und Wirtschaft haben wird, jedoch langanhaltend.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: In Syrien und in den Nachbarländern können viele Kinder trotz aller Widrigkeiten weiterhin lernen. Dies ist vor allem den Bemühungen von Lehrerinnen und Lehrern, Partnern vor Ort und der großzügigen Hilfe der UNICEF-Unterstützerinnen und Unterstützer zu verdanken. UNICEF hat in Flüchtlingscamps Zeltschulen errichtet, versorgt Kinder und Lehrer*innen mit Unterrichtsmaterialen. Bei Weiterbildungen lernen Lehrer*innen, wie sie auf die bestimmten Lernbedürfnisse der Kriegskinder eingehen, und dabei auch die seelische Versorgung der Kinder immer im Blick haben können.
7. Ein Arztbesuch? Auch im Notfall häufig keine Option!
Der Syrienkrieg hinterlässt täglich Spuren: Bomben zerstören ganze Stadtteile und gefährden immer wieder Menschenleben. Seit des Beginn des Konflikts 2011 sind laut den Vereinten Nationen 13.000 Kinder getötet oder verletzt worden. Häufig sterben Kinder auch, weil die ärztliche Versorgung im Land zusammengebrochen ist.
Nur etwa die Hälfte der Krankenhäuser und Gesundheitsstationen in Syrien sind voll funktionstüchtig. Für viele Familien eine extreme Belastung: Denn nicht nur für verwundete Kinder und Erwachsene mangelt es an ausreichender Versorgung; sondern auch Patient*innen mit chronischen Krankheiten wie etwa Diabetes fehlt es zum Beispiel an Insulin. Immer wieder werden Gesundheitsstationen auch ganz gezielt attackiert: Es ist nicht überraschend, dass so mehr als die Hälfte des medizinischen Personals entweder geflohen ist oder getötet wurde.
UNICEF unterstützt daher mobile Kliniken, die mit Medikamenten und medizinischem Equipment ausgestattet sind. Sie fahren direkt dorthin, wo medizinische Unterstützung am dringendsten benötigt wird. Außerdem impfen wir Millionen Kinder gegen Krankheiten wie Polio, Masern oder Cholera (siehe Fakt 11).
8. Syrische Kinder mit Behinderungen haben es besonders schwer
Tausende Kinder müssen ihren Alltag auch mit teils schweren Behinderungen bewältigen. Nur selten gibt es für sie Behandlungen, Operationen oder Physiotherapie, die ihre Entwicklung fördern und ein Stück Lebensqualität zurückbringen können. Die Zahl der Menschen mit Behinderungen schnellt immer weiter in die Höhe, auch, weil vielerorts Minen nicht geräumt werden können.
Fast jeder dritte Syrer und jede dritte Syrerin, die älter als zwei Jahre ist, lebt mit einer Behinderung. Ohne ausreichende medizinische und psychologische Behandlung erholen sich die Kinder nur schwer von ihren Verletzungen und den traumatischen Erlebnissen.
Die 12-jährige Maram ist eine von ihnen. „Mama, wird mein Fuß wachsen, wenn ich mehr Gemüse esse?“ Das fragte Maram ihre Mutter Sahar, als sie mit vier Jahren bei einem Angriff ihr Bein verlor. Zu jung, um zu verstehen, welches Unrecht ihr geschehen war, musste das kleine Mädchen mit ihrer Familie immer wieder vor Kämpfen fliehen.
Zur Schule ging sie nur selten: Die Flucht, die Angst vor lauten Stimmen und Geräuschen, aber auch die fiesen Kommentare von anderen Kindern machten ihr zu schaffen. Endlich zurück in ihrer alten Nachbarschaft besuchte Maram eines der UNICEF-Kinderzentren. „Die Freiwilligen haben uns zugehört und ermutigt, wieder in die Schule zu gehen. Sie haben uns Stück für Stück darauf vorbereitet. Ich habe mich wieder selbstbewusster gefühlt. Ich wusste, ich kann das. Und ich will wieder zur Schule gehen.“
UNICEF unterstützt in Syrien vor allem auch Kinder mit Behinderungen und hilft Schulen, sie besser in den Unterricht zu integrieren.
9. Der Syrienkrieg hinterlässt unsichtbare Wunden – die Kinderseelen leiden
Nicht alle Spuren, die der Syrienkrieg hinterlässt, kann man direkt sehen. Immer wieder berichten unsere Kolleg*innen vor Ort, dass sie Kinder treffen, die viel zu still sind. Die regungslos an den kalten Wänden ihrer behelfsmäßigen Unterkünfte lehnen. Denen Struktur im Chaos um sie herum fehlt. Die Kinder mussten in ihrem kurzen Leben viel erleben, viel aushalten: Schätzungen gehen davon aus, dass etwa Dreiviertel aller syrischen Geflüchtete unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Dabei gibt es ganz Syrien nur wenige Psychiater*innen und psychologische Hilfe ist eine absolute Seltenheit.
Umso wichtiger sind die psychosozialen Zentren von UNICEF. UNICEF hilft jedes Jahr zehntausenden Mädchen und Jungen mit psychosozialer Hilfe in Kinderzentren und durch mobile Teams.
10. Heiße Sommer – eisige Winter
Kniehoher Schnee, eisige Hagelstürme mit bis zu 80km/h und wochenlang Minusgrade: Nicht die erste Assoziation, die die meisten Menschen in Deutschland mit Winter im Nahen Osten haben, aber immer wieder bittere Realität in Syrien und den Nachbarländern.
Vor allem im Nordwesten Syriens, an der Grenze zur Türkei, sinkt das Thermometer auf bis zu -15 Grad. In den Zeltstädten kann man dann den Atem der Kinder in ihren zerrissenen Hemden und Flipflops sehen – so kalt ist es. Immer wieder erfrieren auch Kinder, die der Nässe und Kälte des eisigen Winters nur wenig entgegenzusetzen haben.
Auch Menschen, die außerhalb der Camps in Städten unterkommen, sind im Winter besonderen Gefahren ausgesetzt. Aufgrund der Wirtschaftskrise und des anhaltenden Konflikts haben viele kein Geld für Heizöfen, Gas und warme Kleidung. „Im Winter lasse ich meine Kinder nicht vor die Tür. Es ist zu kalt und sie haben keine warme Kleidung“, berichtet die 21-jährige Heyham, Mutter von drei kleinen Kindern.
Nach den schweren Erdbeben in der Region Anfang Februar 2023 sind weitere hunderttausende Menschen ohne Dach über dem Kopf und der Kälte schutzlos ausgeliefert.
Unsere UNICEF-Kolleg*innen vor Ort berichten auch, dass Kinder schwere Rauchvergiftungen bekommen. In ihrer Not verbrennen sie Reifen, Schuhe und Müll, um warm zu bleiben. Für ihre Gesundheit und die Umwelt hat das schwere Folgen, und immer wieder brechen auch Brände in den Lagern aus, bei denen auch Kinder ersticken. „Die Situation ist besonders schlimm, wenn es regnet oder schneit. Die Kinder kommen dann komplett nass und voller Matsch in die Schule“, berichtet Jalal Tatari, Direktor eines UNICEF-Lernzentrums in Zabadani.
Während die Winter in Syrien kalt sind, erreichen die Temperaturen im Sommer bis zu 47 Grad. Ohne Ventilatoren knallt die Sonne unbarmherzig auf die Zeltdächer und heizt die Luft so sehr auf, dass sie den Menschen ins Gesicht zu schneiden scheint. Sandstürme fegen immer wieder über die Camps hinweg, zerreißen die Zelte und verursachen Atemwegserkrankungen bei den Bewohner*innen.
Im Nordosten Syriens hat es seit Jahren nicht genug geregnet. Die Dürre bedeutet für die vielen Bauern und Bäuerinnen, dass ihre Ernten verkümmern, Lebensmittel ausgehen und sie kein Einkommen erzielen können.
Die Hitze ist auch deswegen so gefährlich, weil nur die Hälfte der Menschen ausreichend und sauberes Wasser haben. Mancherorts findet man schon ganze Geisterdörfer, da alle Menschen ihr Zuhause auf der Suche nach Wasser und Nahrung verlassen haben.
Zwar sind Dürren und Schneefall in der Region nichts Ungewöhnliches, aber der Klimawandel hat diese Extreme in den letzten Jahren enorm verschlimmert. Trockenzeiten, Hitzewellen und Schneestürme stellen immer wieder neue Rekorde auf.
Selbst Aufzeichnungen der NASA zeigen: In der ganzen Region ist die Dürre seit Jahren so schlimm wie das letzte Mal vor 900 Jahren. Die Winter und Sommer werden immer lebensbedrohlicher und härter, während vor allem Kinder auf der Flucht den Wetterextremen immer weniger entgegensetzen können.
Um Kinder in den heißen Sommern und kalten Wintern zu unterstützen, liefert UNICEF sauberes Wasser in großen Tanks in die Flüchtlingslager in Syrien und den Nachbarstaaten. Für die kalte Jahreszeit verteilt UNICEF warme Kleidung, Decken und wasserfeste Stiefel und auch Bargeld, damit Familien sich das zum Leben Notwendigste kaufen können. Jedes Zelt, jeder Heizofen oder warme Decke kann ein Kinderleben retten.
11. Ausbruch in Syrien: Cholera macht auch vor Trümmern keinen Halt
Im September 2022 kam es in Syrien zu einem Cholera-Ausbruch. Die Darmkrankheit wird über unsicheres Wasser oder kontaminierte Lebensmittel übertragen und führt zu schweren Durchfällen. Insbesondere für Kinder, die jünger als fünf Jahre sind oder an Mangelernährung leiden, ist Cholera lebensgefährlich. In ganz Syrien wurden seit dem Ausbruch mehr als 84.000 Verdachtsfälle gemeldet.
Wichtige Infrastruktur wie Wasserwerke und -leitungen sind über die Jahre des Syrienkonflikts und erneut durch die massiven Erdbeben im Februar 2023 zerstört worden. Die Folge: In Syrien sind Wassersysteme kaum noch funktionsfähig und Familien fehlt der Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen. Lange Dürreperioden sorgen dafür, dass Wasser zusätzlich knapp ist. Infektionskrankheiten wie Cholera, Krätze oder auch Covid-19 breiten sich leicht aus, wenn die Menschen ganz grundlegende Hygienemaßnahmen wie Händewaschen nicht einhalten können.
"Nach jahrelangen Konflikten und zwei katastrophalen Erdbeben mögen die Gefahren, die unhygienische Bedingungen und verschmutztes Wasser für Kinder darstellen, weniger gravierend erscheinen, aber wir wissen, dass die Auswirkungen katastrophal sein können", sagte Maddalena Bertolotti, stellvertretende UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika.
Um besonders vulnerable Kinder und ihre Familien in Syrien vor der Infektionskrankheit zu schützen, führt UNICEF gemeinsam mit Partnern Impfungen gegen Cholera durch. Im März 2023 startete eine Impfkampagne im Nordwesten des Landes, wo Familien besonders hart durch die Erdbeben getroffen wurden. In Notunterkünften, wo Familien dicht gedrängt zusammen sind, steigt die Gefahr einer Ansteckung stark. Mehr als 1500 neue Verdachtsfälle wurden bereits gemeldet (Stand: 06.03.23). Im Rahmen des Impfkampagne sind 1400 mobile Gesundheits-Teams in Notunterkünften, Zeltlagern und Wohnhäusern unterwegs, um möglichst viele Familien zu erreichen.
12. Die Finanzkrise macht das Leben der syrischen Kinder noch härter – Hilfe ist heute nötiger denn je!
Der Syrienkrieg hat nicht nur Hunderttausende Häuser zerstört und Menschenleben gekostet, er hat das Land auch finanziell ruiniert. Die Wirtschaft des Landes hat sich seit 2011 halbiert und die Währung des Landes, die syrische Lira, hat seit Beginn des Konflikts einen starken Wertverlust erfahren.
Vor allem der Kollaps der libanesischen Wirtschaft hat diesen Wertrückgang beschleunigt, ebenso wie die US-Sanktionen gegen das Land. Familienmitglieder, die im Ausland leben, können so nur noch schwer Geld an ihre in Syrien verbliebenen Familienmitglieder schicken. Ein giftiger Mix aus Jahren des Kriegs und der Zerstörung, Dürre, Inflation, Arbeitslosigkeit und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs werden arme Familien auch in den kommenden Monaten nicht aufatmen lassen.
Auch die weltweite Corona-Krise hat vielen Familien die Lebensgrundlage genommen und ihre Situation weiter verschärft: Familienväter haben ihre Jobs verloren; während monatelanger Ausgangssperren konnten Menschen ihre Produkte nicht mehr auf den Märkten verkaufen und auch Familien, die vorher noch zur Mittelschicht zählten, gelten nun als arm.
Was bedeutet die Wirtschaftskrise konkret für die Kinder? Die Auswirkungen ziehen sich durch fast jeden Lebensbereich: Die Kinder essen weniger, ihre Familien können sich selbst das Lebensnotwendigste kaum leisten. Immer häufiger schicken Eltern ihre Kinder zum Arbeiten statt in die Schule oder verheiraten ihre minderjährigen Töchter, weil sie sie anderswo besser versorgt hoffen.
Ohne humanitäre Hilfe geht es nicht. Aber nach zwölf Jahren Krieg wird es immer schwieriger, die notwendige finanzielle Unterstützung für Syrien zu bekommen. Schon vor den Erdbeben war der UNICEF Nothilfeeinsatz für Kinder in Syrien drastisch unterfinanziert. Nach der Naturkatastrophe ist die Situation noch dringlicher geworden.
15,3 Millionen Menschen, darunter 7 Millionen Kinder, benötigen allein in Syrien im Jahr 2023 Unterstützung. Hinter jeder dieser Zahlen stecken die Geschichten und Schicksale von Kindern, die auch hoffen, dass sie nicht vergessen werden.
Hilfe für die Kinder in Syrien
Sie möchten den Kindern in Syrien helfen? Dann unterstützen Sie den UNICEF-Einsatz vor Ort mit einer Spende. Wir versprechen: Jeder Beitrag kommt an. Vielen Dank!