Flüchtlingskinder: Vier Cousins und ihr Weg allein nach Deutschland
Kindheit kann nicht warten, Teil 5
Was müssen Kinder im Krieg durchmachen? Wie erleben sie Vertreibung und Flucht? Wie geht es ihnen, wenn sie in der Fremde leben müssen? Lesen Sie im fünften Teil unserer Blog-Serie "Kindheit kann nicht warten – Flüchtlingskinder erzählen von ihrem Schicksal" die bewegende Geschichte von Anas (7), Abdelhamid (9), Mohamed (9) und Mahmoud (8) aus Syrien.
Vier Cousins aus Aleppo, Syrien
Sie sind noch so jung! Ganz allein sind die vier syrischen Cousins Anas (7), Abdelhamid (9), Mohamed (9) und Mahmoud (8) nach Deutschland geflohen. Ihre Eltern und Geschwister mussten in der Türkei zurückbleiben, weil das Geld nur für je ein Familienmitglied reichte. Ich kann mir kaum vorstellen, wie beängstigend die Überfahrt auf dem Schlauchboot für die Kinder gewesen sein muss, und wie verzweifelt die Eltern gewesen sein müssen, um solch eine schwere Entscheidung zu treffen. Zum Glück haben die vier Jungen in ihrer neuen Heimat Bonn entfernte Verwandte, die sich liebevoll um sie kümmern. Und sie haben einander.
„Wir sind beste Freunde“, sagen die Jungen, während sie auf dem Sofa in einer Bonner Wohnung von Verwandten sitzen. Die Schwester von Mahmouds Oma ist seit drei Jahren in Deutschland und hat die vier Cousins bei sich aufgenommen. Eigentlich hatte sie nur damit gerechnet, dass ihr Großneffe zu ihr kommt, aber zur Erleichterung von allen hat sie sich sofort bereit erklärt, alle vier Kinder aufzunehmen. So können sie zumindest zusammen bleiben in diesem fremden Land, in dem sie die Sprache nicht verstehen. Eine andere entfernte Verwandte, die in Deutschland geboren wurde, hat die Vormundschaft übernommen und hilft bei allen Behördengängen.
Vier der jüngsten „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge“ in Deutschland
Die vier Cousins sind die jüngsten „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge“, wie es in der Fachsprache heißt, von denen ich bisher gehört habe. In ihrem jungen Leben haben sie schon sehr viel durchgemacht. Der Krieg kam in ihre einst beschaulichen Dörfer in der Nähe der syrischen Stadt Aleppo und trieb sie mit ihren Familien in die Flucht, zunächst zu Fuß und dann mit einem Auto in die Türkei.
Ein Jahr lang versuchten sie, dort Fuß zu fassen, zogen von einem Ort zum nächsten auf der Suche nach Arbeit und einer Möglichkeit zu überleben. Zuletzt wohnten die Cousins mit ihren Familien – insgesamt mehr als 30 Personen – in einer kleinen Wohnung in sehr beengten Verhältnissen in Izmir. Die Kinder konnten nicht zur Schule gehen, die Familien hatten kaum Geld.
Deshalb trafen die verzweifelten Eltern eine schwere Entscheidung: In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft kratzten sie ihr letztes Geld zusammen, um wenigstens je ein Kind auf den Weg nach Deutschland zu schicken. Zusammen mit anderen Syrern – “fremden Leuten”, wie Mohamed es ausdrückt – waren sie acht Tage lang unterwegs.
Mit seiner Angst war Mohamed (9) auf sich allein gestellt
„Ich hatte große Angst”, erzählt Mohamed. Besonders schlimm war die Überfahrt nach Griechenland mit einem Schlauchboot.
Mit seiner Angst war Mohamed wie mit allem anderen auf sich allein gestellt. In Griechenland mussten die Kinder hohe Felsen hochklettern und eine lange Strecke laufen, erzählen sie. Durch Mazedonien fuhren sie mit einem Auto, in Serbien liefen sie stundenlang durch einen Wald, mit einem Zug kamen sie schließlich in Bonn an.
„Ich finde Deutschland sehr sauber und schön”, sagt Mohamed. Die in Deutschland geborene Verwandte – die Jungen sagen zu ihr „Tante“ - hat dafür gesorgt, dass die vier Jungen schon wenige Tage nach ihrer Ankunft in die Schule gehen konnten. Das ist zwar nicht leicht für Anas, Abdelhamid, Mohamed und Mahmoud, die erst die deutsche Sprache lernen müssen. Aber sie finden die Schule trotzdem das Beste, das ihnen in Deutschland passiert ist. Sie alle sind jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben Schüler, das Lernen und Spielen mit anderen macht ihnen Spaß.
Flüchtlingskinder in Deutschland: Zum ersten Mal im Leben Schüler
Mohamed strahlt, wenn er von der Schule und seinem liebsten Hobby Fußball erzählt. Fußball spielen mit anderen Kindern kann man auch, ohne die Sprache zu können. Aber oft verraten Mohameds Augen seine Traurigkeit. Die Gewalt und den Schrecken des Krieges kann der Neunjährige nicht vergessen. Zwei Cousins und einen Onkel hat er in Syrien verloren. Er vermisst sein Dorf und vor allem seine Familie. Mohamed träumt von dem Tag, an dem seine Familie wieder zusammen ist. Dass seine Mutter, die schwer erkrankt war, in der Türkei gestorben ist, weiß Mohamed noch nicht. Seine Verwandten haben es noch nicht über das Herz gebracht, es ihm zu sagen.
Alle vier Jungen vermissen ihr Leben vor dem Krieg und ihr altes Zuhause und wünschen sich, eines Tages nach Syrien zurückgehen zu können. Abdelhamid träumt: “Sobald der Krieg endet, würde ich gerne heimkehren. Jeder darf dann wieder in seinem Dorf wohnen und dort in Frieden leben.”
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit der freien Journalistin Samar Heinein entstanden.
Lesen Sie hier alle Beiträge der Serie "Kindheit kann nicht warten: Flüchtlingskinder erzählen"
Die Kinder unter den Flüchtlingen werden häufig übersehen. Wir möchten ihnen eine Stimme geben und stellen Ihnen im Blog Mädchen und Jungen vor, die auf der Flucht sind. Einige von ihnen haben wir in Deutschland interviewt, andere sind in Syrien aus ihren Häusern vertrieben worden oder sind nach Jordanien oder Libanon geflohen. Egal, wo sie sind – sie sind in erster Linie Kinder.
Erfahren Sie hier mehr darüber, wie UNICEF Kindern in Syrien und seinen Nachbarländern und auf den Fluchtrouten hilft.