Reiseeindrücke: Unsere Kolleg*innen berichten aus der Ukraine
Christine Kahmann und Christian Schneider von UNICEF Deutschland sind gerade in der Ukraine unterwegs. Hier nehmen sie uns mit auf ihre Reise und erzählen, was sie vor Ort sehen und erleben.
Von Montag, dem 6. November an, waren Christine Kahmann (Sprecherin von UNICEF Deutschland) und Christian Schneider (Geschäftsführer von UNICEF Deutschland) für einige Tage vor Ort in der Ukraine. Sie besuchten UNICEF-Projekte in Charkiw (Ostukraine) und anderen Teilen des Landes. Sie sprachen mit Kindern und Familien und erfuhren, wie es ihnen nach mehr als 600 Tagen Krieg geht. Bei ihrem Besuch schauten sie sich an, was die UNICEF-Hilfe in der Ukraine für die Kinder ganz konkret bewirkt. In Tweets, Fotos und kurzen Videos schildern sie uns hautnah ihre Eindrücke zur aktuellen Lage der Kinder in der Ukraine.
Wir haben daraus für Sie diesen Blogartikel zusammengestellt, den wir zum Zeitpunkt der Reise immer weiter fortgeschrieben haben.
+++ Dienstag, 7. November 2023, vormittags +++
U-Bahn-Schule in Charkiw
Gleich nebenan fährt die U-Bahn vorbei, wenige Meter über ihnen herrscht gerade Bombenalarm – und trotzdem sind diese Kinder in Sicherheit. Denn mitten in einer Metrostation von Charkiw hat UNICEF Schulräume eingerichtet, in denen die Kinder weiter lernen können.
Charkiw liegt in der Ostukraine und ist eine der am stärksten vom Krieg betroffenen Regionen. Christine Kahmann und Christian Schneider haben sich die Klassenzimmer im Metrosystem von Charkiw angesehen und waren beeindruckt von der Fröhlichkeit der Kinder.
Nach >600 Tagen Krieg prägen Angriffe, Angst & eine ungewisse Zukunft den Alltag der Kinder in #Charkiw - Präsenzunterricht kaum möglich. Doch in einer einzigartigen U-Bahn-Schule können Kinder trotz Alarm & Angriffen oben & U-Bahnen nebenan an einem sicheren Ort weiter lernen! pic.twitter.com/RQunDkluHL
— Christine Kahmann (@c_kahmann) November 8, 2023
Die vielleicht ungewöhnlichste Schule der Welt
"Alle Schulen in Charkiw sind für den Präsenzunterricht geschlossen – und das in einer Millionenstadt", sagt uns Christian Schneider nach seinem Besuch in dem unterirdischen Klassenzimmer. "Ich habe hier sicher eine der ungewöhnlichsten Schulen der Welt kennengelernt."
UNICEF hat die ukrainischen Behörden dabei unterstützt, in fünf Metrostationen Klassenräume einzurichten – inzwischen sind es bereits ganze 76. Unterhalb der Schulklassen fährt die Metro weiter, oberhalb ist manchmal bis zu zehnmal am Tag Luftalarm, und dazwischen lernen Kinder von der ersten bis zur elften Klasse Mathe, Englisch und alles, was sie in einer normalen Schule auch lernen würden.
+++ Dienstag, 7. November 2023, nachmittags +++
Sicherheit, Wärme und Kreativität: Geschützte Räume für Kinder
Am Nachmittag steht der Besuch eines von UNICEF unterstützten Kinderschutzzentrums in Charkiw auf dem Programm. An vielen Orten in der Ukraine hat UNICEF diese Zentren mit aufgebaut. Die Kinder können dort spielen, in Ruhe lernen oder auch mit psychologisch ausgebildeten Helfer*innen über ihre Sorgen sprechen. Und: In dem Kinderschutzzentrum, das unsere UNICEF-Kolleg*innen jetzt in Charkiw besucht haben, können die Kinder sogar Musik aufnehmen und sich als "DJs von morgen" ausprobieren, wie Christine Kahmann schreibt. Dem ist nicht mehr viel hinzuzufügen, außer: Ton an!
Die DJs von morgen! Zurück in #Charkiw #Ukraine begegnen wir in einem Spilno-Kinderzentrum jungen Menschen, die große Träume haben: DJ, Programmiererinnen, Tierärztin…Hier können sie ein wenig Halt finden & in einem sicheren, warmen Umfeld ihrer Kreativität freien Lauf geben! pic.twitter.com/ciQVYSxbo6
— Christine Kahmann (@c_kahmann) November 8, 2023
Zwischen Krieg und Dauerbelastung: Spielen mit Hunden in kinderfreundlichen Zentren
Unbeschwerte Momente gibt es in dem Kinderschutzzentrum auch bei der Hundetherapie – die Kinder verstecken Spielzeug und spielen mit den Tieren. Christine Kahmann erzählt uns am Telefon: "Das Strahlen und die Unbeschwertheit, die man in solchen Momenten in den Gesichtern der Kinder sieht, machen einen großen Unterschied. Es zeigt, dass sie einen Moment der Kindheit erleben, der ihnen Halt gibt. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Krieg eine totale psychische Dauerbelastung ist. Jeder Moment, in dem sie abgelenkt werden und lachen können, hilft ihnen, das Erlebte besser zu verarbeiten."
+++ Mittwoch, 8. November 2023, vormittags +++
Winterhilfe in der Ukraine
Am nächsten Tag ihrer Reise sind Christian Schneider und Christine Kahmann erneut in der Region Charkiw unterwegs und besuchen unter anderem ein UNICEF-Hilfsprogramm in der Kleinstadt Balaklija. Viele Familien in der Ukraine müssen den bevorstehenden Winter mit kleinen Öfen überstehen und haben oft nicht genug Geld, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen, erzählt uns Christian Schneider nach seinen Gesprächen mit den Familien. In einer ehemaligen Schule verteilt UNICEF deshalb Winterkleidung, Decken und andere Hilfsgüter an die Familien.
"Jedes Kind, jeder Erwachsene, den wir hier nach seinen Wünschen gefragt haben, sagt: 'Wir wünschen uns, dass der Krieg aufhört'", berichtet Christian Schneider uns von seinen Begegnungen.
In Shevchenkove im Osten der #Ukraine ist spürbar, was 600 Tage der Angriffe für Kinder u. Familien bedeuten. Unser Team @UNICEF_UA sorgt z.B. dafür, dass es im wichtigen Krankenhaus auch über den harten Winter warm bleiben kann. Kinder in der Region erhalten Winterkleidung🙏 pic.twitter.com/L2Skc9K01z
— Christian Schneider (@CS_chneider) November 9, 2023
+++ Mittwoch, 8. November 2023, nachmittags +++
Sicherheitstraining im mobilen Klassenzimmer
Auch am Mittwoch stehen Christine Kahmann und Christian Schneider wieder in einer Art Klassenzimmer. Dieses aber ist mobil unterwegs, auf einem kleinen LKW, und die Kinder lernen darin nicht Schreiben, Lesen und Rechnen, sondern etwas ganz Existenzielles: Wie sie sich am besten schützen können vor Minen und Blindgängern. Die Ukraine ist eines der am stärksten mit Minen verseuchten Länder der Welt. Die große Gefahr: Manche Kinder halten die Minen für Spielzeuge.
Minen & Blindgänger sind eine tägliche Gefahr für Kinder #Ukraine, insb. in Gebieten wie hier in einem Ort in #Charkiw. Viele Kinder können Minen nicht als solche erkennen & halten sie für Spielzeug. Gemeinsam mit Behörden hilft @UNICEF_UA, Kinder über die Gefahren aufzuklären. pic.twitter.com/tRiSi5R98s
— Christine Kahmann (@c_kahmann) November 9, 2023
Hausbesuch von mobilen Gesundheitsteams in Balakliya
Noch eine weitere Station steht am Mittwochnachmittag auf dem eng getakteten Reiseplan von Christine Kahmann und Christian Schneider: In Balakliya schauen sie sich an, wie die mobilen UNICEF-Gesundheitsteams für die Familien im Einsatz sind. Die UNICEF-Gesundheitsprofis ziehen von Tür zu Tür, führen Vorsorgeuntersuchungen durch und leisten individuelle medizinische Hilfe für die Kinder und Jugendlichen.
Die Geschichte der drei Brüder Igor (17), Mickhail (16) und Dmitri (4) und ihrer Mutter hat Christine Kahmann dabei besonders bewegt.
Zurück in Balakliya, kümmern sich Igor und Mickhail liebevoll um ihren jüngeren Bruder Dmitri. Trotz aller Schrecken, die sie erlebt haben, bleiben die beiden Jugendlichen positiv: "Wir geben unser Bestes und bleiben stark", erzählen die Brüder während des UNICEF-Besuchs. "Und wir verbringen gerne Zeit mit unseren Freunden und spielen Karten."
+++ Donnerstag, 9. November 2023, vormittags +++
Endlich wieder zusammen lernen im digitalen Lernzentrum!
Christian Schneider und Christine Kahmann hören weiter Geschichten von Kindern, die Mut machen: Heute bei dem Besuch eines digitalen Lernzentrums in Novomoskovs'k. Das Zentrum bietet Kindern, die sonst keinen Zugang zu Online-Unterricht haben, die Möglichkeit, gemeinsam vor Ort zu lernen.
Kinder, die keinen Laptop und keinen Stromanschluss haben, können hier nicht nur den versäumten Unterricht nachholen, sondern sie entdecken auch die Freude am gemeinsamen Lernen wieder. Besonders die Worte von Luka, der kurz vor der Eskalation des Krieges am 24. Februar 2022 aus seinem Heimatort in Cherson in die Gegend gekommen war, zeigen die Bedeutung dieses Ortes: "Hier im Lernzentrum habe ich endlich neue Freunde gefunden." Christine Kahmann betont, wie wichtig es für die Kinder ist, nicht nur zu lernen, sondern auch die Normalität des gemeinsamen Unterrichts zu erleben und vor allem: Freundschaften zu schließen!
In dem Lernzentrum im Osten der Ukraine können Kinder wie Ievhen (12), Illia (12) und Luka (10) seit einigen Wochen endlich wieder gemeinsam vor Ort lernen. Bis vor kurzem hatten die Kinder kaum Gelegenheit, ihre Freunde zu sehen. Die drei Jungs freuen sich, im Unterricht gemeinsam zu kichern und Quatsch zu machen, aber auch ihrer Lehrerin Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstehen.
+++ Donnerstag, 9. November 2023, nachmittags +++
Jugendliche gestalten Workshops für ihre Gemeinden
Am Donnerstagnachmittag sehen unsere beiden Kolleg*innen dann noch ein weiteres Projekt in Dnipro: Im Rahmen des UNICEF-Programms "Upshift" starten Jugendliche trotz Kriegszeiten soziale Initiativen in ihren Gemeinden. In gemeinsamen Workshops lernen sie, im Team zu arbeiten, Probleme zu analysieren und eigene Projekte zu managen.
Besonders beeindruckend ist ein Projekt in Zusammenarbeit mit Professor*innen einer ukrainischen Berufsschule, das bereits Kunsttherapie, Jugendpartizipation und Musik-Workshops umsetzt. Die Angebote finden vor allem online statt und werden von Jugendlichen aus den ländlichen Regionen in Anspruch genommen. Dieses Engagement bietet nicht nur Chancen für die persönliche Entwicklung, sondern ermöglicht es den Jugendlichen auch, positive Veränderungen in ihrer Gemeinde zu bewirken.
+++ Danke, dass Sie unsere Kolleg*innen in den Osten der Ukraine begleitet haben. Sie sind wohlbehalten wieder in Deutschland angekommen. +++
UNICEF-Hilfe geht weiter
Nach mehr als 600 Tagen Krieg sind Millionen Kinder in der Ukraine in Not. Jetzt steht ihnen erneut ein katastrophaler Winter bevor. Um die Familien in der Ukraine so gut wie möglich zu unterstützen, haben die UNICEF-Teams in der Ukraine in den letzten Wochen ihre Hilfe für die Kinder weiter verstärkt. So liefern wir beispielsweise warme Kleidung, lebenswichtige Medikamente und andere Hilfsgüter in die ukrainischen Gebiete. Wir helfen auch mit, die Wasserversorgung zu sichern und den Kindern trotz des Krieges einen Schulbesuch und psychosoziale Hilfe zu ermöglichen.
Helfen Sie Kindern aus der Ukraine
Die Kinder in der Ukraine brauchen unsere Hilfe mehr denn je. Unterstützen Sie sie mit Ihrer Spende. Vielen Dank!
Sie möchten mehr UNICEF-Blogs zur Ukraine lesen? In unseren Blogbeiträgen zur Ukraine schildern wir die aktuelle Situation der Kinder, geben Tipps, wie man mit Kindern über den Krieg sprechen kann, und erklären Ihnen, wie sich der Konflikt über die Jahre entwickelt hat.
* Diesen Blogbeitrag haben Susanne Nandelstädt und Katharina Kesper gemeinsam verfasst und sind dazu im stetigen Kontakt mit den beiden Kolleg*innen vor Ort.