Flüchtlingskinder: In Deutschland angekommen – und jetzt?
Jetzt sitzt Chimen (13) also in einem Zimmer einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin, das er sich mit seinen Eltern und seinen drei jüngeren Schwestern teilt.
So, wie Chimen mir davon erzählt, habe ich den Eindruck, er hat auch ein halbes Jahr später den plötzlichen Aufbruch in ein neues Leben noch nicht ganz realisiert.
Der Aufbruch aus seiner Heimat, der kurdischen Region in Syrien, musste ganz schnell gehen. „Eines Tages kam ich in Qamishly von der Schule nach Hause und meine Eltern haben mir gesagt: Wir gehen jetzt nach Deutschland. In der Stadt waren die ganze Zeit Schüsse zu hören und mein Vater hat gesagt, es ist zu gefährlich, wir müssen sofort weg. Wir hatten keine Zeit zu packen und konnten fast nichts mitnehmen. Es war sehr schwer für mich, einfach alles zurückzulassen.“
„In Deutschland habe ich zum ersten Mal Ruhe“
Was das Beste an Deutschland ist, da muss Chimen nicht lange überlegen. „In Deutschland habe ich zum ersten Mal Ruhe, zum ersten Mal keine Angst. In Qamishly war jeder Tag gefährlich, man wusste nie, was kommt.“
Klar, am Anfang war da nur die Erleichterung, aus dem gefährlichen Bürgerkrieg entkommen zu sein und die Strapazen der Flucht überstanden zu haben.
Aber in einer Flüchtlingsunterkunft zu leben und nur ein Zimmer für die ganze Familie zum Wohnen, Schlafen, Spielen und Lernen zu haben ist schwer für den Teenager.
„Hier ist mir oft langweilig. Zu Hause hatte ich viele Freiheiten, hier ist alles verboten: Ich muss in unserem Zimmer leise sein, wenn meine kleinen Schwestern schlafen, man darf nicht auf dem Flur spielen und nicht laut sein. Zu Hause hatte ich ein eigenes Zimmer und einen Fernseher, hier kann ich nichts machen, oft sitze ich auf dem Bett und gucke in die Luft, es ist wie ein Gefängnis. Hier in der Unterkunft habe ich keine Freunde. Mit vielen kann ich mich nicht verständigen, weil sie eine andere Sprache sprechen.“
Flüchtlingskinder bleiben immer länger in Notunterkünften
Wie Chimen geht es vielen geflüchteten Kindern und Jugendlichen: Wie der aktuelle UNICEF-Lagebericht zur Situation der Flüchtlingskinder in Deutschland zeigt, müssen viele Familien über immer längere Zeiträume in Notunterkünften oder Erstaufnahme-Einrichtungen verbringen, die wenig kinderfreundlich sind. Oft vergehen Monate, bis die Kinder in einen Kindergarten oder eine Schule gehen können.
Chimen hat dabei noch verhältnismäßig Glück, weil er als Syrer nicht ganz so lange auf einen Platz in der Schule warten muss wie andere Flüchtlingskinder. Besonders düster sind die Aussichten für Kinder mit angenommener „schlechter Bleibeperspektive“, von denen man also annimmt, dass das Asylgesuch der Familie wahrscheinlich abgelehnt wird.
Das betrifft zum Beispiel Kinder aus den Westbalkanstaaten. Sie gehen oft gar nicht zur Schule, obwohl sie häufig sechs Monate oder noch länger in einer Flüchtlingsunterkunft verbringen. Das ist eine gefühlte Ewigkeit für die Mädchen und Jungen, und es ist verlorene Zeit für ihre Entwicklung, die sich nur schwer wieder aufholen lässt.
Chimen wünscht sich nur eines: ein normales Leben
Chimen ist sehr froh, dass er nach über vier Monaten, die er schon in der Berliner Unterkunft ist, endlich zur Schule gehen kann und etwas zu tun hat. Als ich ihn Anfang Juni getroffen habe, ging er gerade seit vier Tagen in eine Willkommensklasse in Berlin. Während der Wartemonate hat er sich mit Büchern schon selbst etwas Deutsch beigebracht. Er möchte einmal Apotheker werden, wie sein Vater.
Dass er in absehbarer Zeit nicht nach Hause zurück kann, ist Chimen klar.