Teil 3: Mutiger Kampf für mehr Frauenrechte

Mein Reisetagebuch Afghanistan


Von Maria von Welser, Stellv. Vorsitzende UNICEF Deutschland

Juli 2012 - In unserem Hotel, gesichert von drei Sicherheitsgürteln und Hunderten von Polizisten und privaten Sicherheitsleuten, hängt morgens ab sieben Uhr die „Afghanistan Times“ an der Zimmertüre. Wieviele Anschläge am gestrigen Tage in welchen der 20 Provinzen geschehen sind, lassen mich schaudern. Erklären auch, wenn mal wieder eine Straße abgesperrt ist, wenn nichts mehr geht in der Fünf-Millionen-Stadt. Aber eine Meldung erstaunt mich unter all den anderen dann doch: „Afghanische Frauen gehen in der Burka auf die Straße!“ Ich lese, dass Hunderte von ihnen in der Provinz Parwan gegen das Selbstmord-Attentat auf die beliebte Politikerin und ehemalige Frauenministerin Hanifa Safi Freitag vor einer Woche demonstrieren. Unter ihrem Auto explodierte eine Bombe und tötete sie.

Die Frauen fordern von der Regierung Hamid Karsais Gerechtigkeit und strenge Strafen für die Täter. Denn im ganzen Land wächst die Gewalt gegen Frauen. Ebenfalls in der Provinz Parwan wurde ja gerade erst eine 23-jährige Frau wegen vermeintlichen Ehebruchs hingerichtet.

Laut jüngster Umfrage haben 86 Prozent der afghanischen Frauen Angst vor dem Abzug der NATO-Truppen. Sie fürchten, dass Präsident Karsai im Zug der Verhandlungen mit den Taliban die spärlichen Errungenschaften für die Frauen preisgeben wird: das Recht auf Schule, auf berufliche Tätigkeit, auf Gesundheitsvorsorge und Unterstützung bei der Geburt.

Die 28-jährige bildhübsche dunkelhaarige Maryam Durani kämpft darum umso mehr für die Rechte der Frauen. An zwei Fronten: einmal in dem von ihr gegründeten Radio und dann als Mitglied des Provinzrates in Kandahar. Ausgerechnet da, wo täglich Tausende von Nato-Truppen Kämpfe mit den Taliban ausfechten. Ihre Waffen aber sind die Worte. Sie prangert an, wenn Unrecht geschieht, sie macht ganze Stunden-Sendungen zu häuslicher Gewalt oder wenn ein Mädchen zwecks Hochzeit verkauft wird.
„Ich habe eher indirekte Beziehungen zu den Taliban, wir reden hinter den Kulissen“, erzählt die im schwarzen Hidschab gekleidete junge Frau. Sie kommt mit ihrem Vater zum Interview: “Das ist sicherer“. Denn sie ist erklärtermaßen ein Ziel der Taliban. Jeder von ihnen mit einem Internetzugang kann sich das Video ansehen, auf dem sie, zwischen Michelle Obama und Hillary Clinton stehend, den internationalen Preis für „Frauen mit Mut“ erhielt. Hat sie Angst? „Nein, das hilft auch nicht weiter“, sagt sie auf ihre freundliche Art. Ihr nächstes Ziel ist die Einrichtung einer Frauenklinik. Um die hohe Sterberate von Müttern endlich zu bekämpfen.

Freiwillige Helferinnen im Frauenzentrum der klinik DehNow. ©UICEF/von Welser

Im Frauenzentrum der Klinik DehNow: Die freiwilligen Helferinnen berichten von ihren Erlebnissen bei den Geburten.

© UNICEF/von Welser

In Guldara, nördlich von Kabul, hockt die 39-jährige Rogol mit 18 anderen Frauen auf einem verschlissenen blauen Teppichboden in einem kleinen Haus. Acht Fehlgeburten hat sie durchlitten, erzählt sie mir. Aber ihre Familie hat sie nie zum Arzt gehen lassen. Erst als das Frauenprojekt in der DehNow-Klinik auch mit Hilfe von UNICEF Afghanistan eingerichtet wurde, stellten die Ärzte dort fest, dass eine einfache Impfung helfen könnte. Ihre fünf folgenden Kinder kamen daraufhin alle ohne Komplikationen zur Welt. Zuhause, wie bei über 80 Prozent aller Frauen in Afghanistan. Die Hausgeburt mit meist folgenden Infektionen ist aber einer der Hauptgründe, warum so viele Frauen wie sonst nirgendwo auf der Welt bei einer Geburt sterben. „Meine Schwiegermutter hat mich in das dunkelste Eck im Stall gesteckt, damit niemand meine Schreie hören sollte. Überall Dreck, Abfälle und Tiere. Mit ihrem Knie hat sie mir immer wieder fest in den Rücken gestoßen oder mich an den Schultern hochgezogen und geschüttelt. Das war alles so schrecklich.“ Rogol lächelt zwar bei ihrer Erzählung, aber ihre Not, ihre Angst sind immer noch spürbar.

Damit es anderen Müttern nicht so geht wie ihr, arbeitet sie freiwillig mit den anderen 18 im Frauenzentrum. Geht an den Wochenenden in die Familien rundum in ihrer Gemeinde, versucht den Männern klar zu machen, wie wichtig es für ihre Frauen und ihre Babys ist, dass sie in einer sauberen Umgebung gebären können. Die eigenen meist schlimmen Erfahrungen motivieren diese Frauen. Sie können zwar alle weder lesen noch schreiben. Aber UNICEF hat ihnen Bilderbücher malen lassen. Die zeigen sie dann den Frauen und ihren Männern. So erreichen sie, dass die Babys in einer Mütterstation mit Unterstützung einer ausgebildeten Hebamme zur Welt kommen. Und eben nicht in einem dreckigen Eck im Stall.

Sie alle tragen außerhalb ihres Hauses die hellblaue Burka. „Sonst schlägt mich mein Mann“, sagt die schon 55-jährige Safi. Damit leben sie wohl alle, die Frauen auf dem Land in Afghanistan, mit der Gewalt der Männer und auch der erwachsenen Söhne. Die die Gewalt von den Vätern erlernt haben.

Aber manches ist seit dem Sieg über die Taliban vor nun elf Jahren für sie alle besser geworden. Ihre Töchter können in die Schule gehen, sie selbst dürfen aus dem Haus. Das empfinden sie schon als Fortschritt. „Wenn dann keine mehr von ihnen bei einer Geburt sterben muss, dann ist schon viel gewonnen“, sagt mir auch die 31-jährige Farzana Maruf Sadat, die für UNICEF die Frauenprojekte betreut.

Maria von Welser ist freie Journalistin und stellvertretende UNICEF-Vorsitzende. Das Reisetagebuch aus Afghanistan erscheint als ihr persönlicher Beitrag, der nicht der Meinung von UNICEF entsprechen muss.

Reisetagebuch Maria von Welser

» Teil 1: Ankunft in Afghanistan
» Teil 2: Klinikbesuch
» Teil 3: Mutiger Kampf für mehr Frauenrechte
» Teil 4: Im Flüchtlingslager
» Teil 5: In einer Männergesellschaft

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