Rohingya in Bangladesch: Der Monsun naht
Warten auf den Regen – Wettlauf gegen die Zeit
Nach dem Aufwachen geht der erste Blick vieler Rohingya besorgt Richtung Himmel: Bringen diese Wolken bereits die jährlich gefürchteten Monsun-Regenfälle mit sich?
Um das Schicksal der nach Bangladesch geflüchteten Rohingya war es die letzten Monate ruhig geworden. Aber jetzt habe ich erfahren, dass den Rohingya mit dem nahenden Monsun eine Katastrophe bevorstehen könnte. Die heftigen Regenfälle setzen in dieser Region normalerweise im Mai oder spätestens im Juni ein.
Was sich in dem ohnehin schon schwierigen Leben der Rohingya durch den Regen verändern könnte, möchte ich Ihnen heute erzählen. Und auch, wie UNICEF den geflüchteten Familien in dieser Extremsituation helfen kann.
Eskalierende Gewalt 2017 führte zur Massenflucht
Im letzten Jahr waren Hunderttausende Rohingya vor der eskalierenden Gewalt in Myanmar geflüchtet. Die Rohingya sind eine muslimische und staatenlose Minderheit, die in Myanmar schon seit Jahrzehnten diskriminiert und verfolgt wurde. 2017 eskalierte die Gewalt: Ganze Rohingya-Dörfer wurden niedergebrannt. Viele Rohingya erzählten von brutalen Massentötungen und Vergewaltigungen.
Die meisten Rohingya flohen ins Nachbarland Bangladesch. Mittlerweile leben dort rund 1,2 Millionen Rohingya als Flüchtlinge. Mehr als die Hälfte von ihnen – 720.000 – sind Kinder. Nach der anstrengenden Flucht haben sie sich in riesigen Flüchtlingscamps niedergelassen, vor allem in der Küstenregion Cox's Bazar.
Erste Regenschauer kündigen Regenzeit in Bangladesch an
Die Regenzeit rückt bedrohlich näher. Kürzlich hat es schon kleine Schauer gegeben – erste Vorboten für die Stürme und die anschließenden schweren Regenfälle, vor denen alle in den Camps Angst haben. Der Monsun könnte für die Menschen in den Flüchtlingscamps schnell zur Katastrophe werden. Wie immer, sind auch hier die Kinder diejenigen, die am stärksten gefährdet sind.
Die schweren Monsun-Regenfälle setzen in dieser Region Bangladeschs normalerweise im Mai ein. Sie dauern meistens bis August. In dieser Zeit regnet es extrem viel. Der durchschnittliche Niederschlag pro Monat erreicht im Juli mit über 900 Millimetern seinen Höhepunkt. Grob gesagt, regnet es damit in einem Monat mehr als durchschnittlich bei uns in Deutschland im ganzen Jahr.
Slum-ähnliches Leben im Flüchtlingscamp
Auch ohne Monsun sind die Bedingungen, unter denen die Rohingya in den Flüchtlingscamps leben, kaum auszuhalten. Die provisorischen Flüchtlingssiedlungen waren in kürzester Zeit quasi aus dem Nichts aus dem Boden gestampft worden. Sie sind eng und total überfüllt. In dem größten Flüchtlingslager, Kutupalong, leben momentan etwa 500.000 Menschen.
Ihre Hütten haben die Rohingya aus dem Wenigen zusammengebaut, was sie finden konnten: Zeltplanen, Bambusstangen, Plastiktüten, Schlamm. Gegen den herannahenden Monsun bieten diese instabilen Hütten kaum Schutz. Und die Zeit läuft.
UNICEF-Mitarbeiter berichtet aus dem Flüchtlingscamp
Unser UNICEF-Kollege Ingo Neu hat den Zustand dieser Hütten täglich im Blick: Er arbeitet im Flüchtlingslager Kutupalong und kümmert sich darum, dass die Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden.
Mitte April hat er uns per Video erzählt, wie die Situation im Flüchtlingscamp gerade aussieht und was die größten Herausforderungen sind. Und er berichtet, wie sich UNICEF auf den nahenden Monsun vorbereitet.
Die komplette Playlist auf YouTube gibt es hier.
Monsun im Flüchtlingscamp: Eine Kettenreaktion
Der extreme Regen führt gleich zu einer ganzen Kettenreaktion aus Problemen. Durch den anhaltend heftigen Regen kommt es zu Überschwemmungen. Die Flüchtlingscamps haben keine solide Kanalisation. Weil die Camps sich auf Lehmboden befinden, wird alles schnell schlammig und rutschig. Die instabilen Hütten bieten kaum Schutz und können leicht vom Regen zerstört werden.
Wenn Sie die jetzt schon laufenden UNICEF-Vorbereitungen in den Flüchtlingscamps unterstützen möchten, freuen wir uns über Ihre Spende für unsere Nothilfe-Arbeit!
Überschwemmungen, Erdrutsche, verseuchtes Wasser, Cholera
Noch schlimmer: Die Überflutungen können regelrechte Erdrutsche auslösen, denn Teile der Flüchtlingscamps befinden sich in Hanglange. Eine gefährliche Situation für all die Familien, die genau an diesen Stellen wohnen. Viele Rohingya müssen deshalb ihre bisherigen Hütten verlassen und in sicherere Regionen der Lager umziehen. Durch diese Umsiedlungen müssen die Bewohner noch enger zusammenrücken.
Fatal wird es dann, wenn auch die Wasserstellen und Toiletten überflutet werden: Sobald Fäkalien das Wasser verseuchen, kann es schnell zur Hygiene-Katastrophe kommen. Der Ausbruch von Krankheiten wird dann wahrscheinlicher.
Dazu gehört vor allem die gefürchtete Cholera. Cholera ist eine akute Durchfallerkrankung. Wenn sie nicht behandelt wird, kann ein Kind innerhalb von Stunden daran sterben. Aber auch andere Durchfallerkrankungen können für die Rohingya – vor allem für die Kinder – schnell lebensgefährlich werden.
Zerstörte Infrastruktur – verpasste Chancen
Platz ist Mangelware in den Flüchtlingslagern – erst recht durch die anstehenden Umsiedlungen. Auch so genannte „nicht-kritische Services“ wie z.B. Lernzentren und kinderfreundliche Spielzonen müssen weichen, wenn der Platz anders gebraucht wird.
Die Hütten und provisorischen Gebäude, in denen Kinder lernen und spielen, sind genauso wie die Wohnhütten Stürmen und Regen ausgesetzt. Viele von ihnen könnten in den Niederschlägen der nächsten Monate zerstört werden. Für die Kinder bedeutet das eine verpasste Chance zu spielen, zu lernen und ihre Erlebnisse besser zu verarbeiten.
Vorbereitungen auf den Monsunregen laufen auf Hochtouren
Kein Mensch kann sagen, welche der zahlreichen befürchteten Situationen für die Rohingya eintreten wird. Aber UNICEF bereitet sich schon seit Monaten auf alle möglichen Folgen des Monsuns vor. Denn im Notfall muss es schnell gehen. Damit die Katastrophe, wenn sie schon nicht komplett abgewendet werden kann, doch zumindest abgemildert wird. Der Countdown, bevor der Regen eintrifft, läuft …
Menschen und Infrastruktur vor Überschwemmungen schützen
Ungefähr 100.000 Rohingya allein in Kutupalong leben in Bereichen, die sehr wahrscheinlich überflutet werden. UNICEF-Mitarbeiter suchen deshalb gerade Platz an Stellen, die nicht von Überschwemmungen oder Erdrutschen bedroht sind. Und sie helfen den Familien, dorthin umzuziehen.
Auch Toiletten und Wasserstellen, die in erdrutsch- und hochwassergefährdeten Bereichen liegen, werden in höher gelegene Teile des Camps verlagert. Wenn das nicht geht, nimmt UNICEF sie zumindest rechtzeitig außer Betrieb.
Überhaupt sind Hygiene und sauberes Wasser das A und O für die Menschen im Flüchtlingslager. Das betont auch Martin Worth, der als Wasser- und Hygiene-Experte für UNICEF in Bangladesch arbeitet. Gemeinsam mit seinen Kollegen stellt Martin sicher, dass die Menschen sauberes Wasser bekommen und Hygiene-Maßnahmen einhalten.
Cholera-Impfungen und Service-Stationen in Flüchtlingscamps
"Kinder vor Krankheiten zu schützen, muss absolute Priorität haben", sagt Eduard Beigbeder, der Leiter von UNICEF Bangladesch. Um die Mädchen und Jungen zu schützen, haben Impfteams 1,1 Millionen Menschen gegen Cholera geimpft. Bei Kindern unter zwei Jahren achtet UNICEF besonders darauf, dass sie auch alle anderen nötigen Impfungen erhalten.
Für den Fall, dass es trotzdem zum Ausbruch von Cholera oder anderen Durchfallerkrankungen kommen sollte, hat UNICEF einen besonderen Notfall-Plan vorbereitet: Dazu gehören kleinere, überall in den Camps verteilte Service-Points. Dort können die Rohingya schnell Medikamente und eine spezielle Trinklösung erhalten, damit der Körper nicht austrocknet.
Chefin der Notfall-Pläne
Nicht nur für den Cholera-Ausbruch gibt es einen Notfallplan. Patricia Mugenyi ist Leiterin des Warenlagers in einem der Camps und damit auch Chefin gleich mehrerer Notfallpläne. Sie wirkt, als könnte sie so schnell nichts aus der Ruhe bringen – genau richtig also für diesen Job. Vor Bangladesch war sie schon in Nothilfe-Einsätzen in Uganda, Südsudan und dem Kongo im Einsatz.
Hier im Flüchtlingscamp in Bangladesch gibt es für sie immer neue Herausforderungen: „Wir haben einen Bereitschaftsplan für den Fall, dass die Straßen ausgewaschen sind und wir keinen Zugang mehr zum Camp haben sollten. Außerdem gibt es einen Back-up-Plan, falls es einen Erdrutsch gibt“, erzählt sie.
„Und dann muss ich auch vorbereitet sein für den Fall, dass es zu einer erneuten Massenbewegung von Flüchtlingen kommt, die auf der Suche nach einem sichereren Ort sind. Das kann auch bedeuten, dass wir unsere Hilfslieferungen in kleinere Einheiten zerlegen und diese an höheren Stellen hinterlegen.“
Patricia plant auch, an den Straßen alle ein oder zwei Kilometer kleine Versorgungsstationen einzurichten. Die Familien können diese Punkte leicht erreichen und sich dort mit Essen, Medikamenten, Wasser und weiteren Hilfsmitteln versorgen.
Und natürlich hat Patricia auch den besten Überblick, welche der Tausenden Hilfsartikel sie in ihrem Warenlager noch vorrätig hat. Sie weiß z.B., wie viele Hygiene-Sets noch da sind. Insgesamt hat UNICEF 5.000 verschiedene Hilfsartikel im Sortiment. Patricia versucht, sich möglichst viele davon zu merken: „So behalte ich mein Haus in Ordnung“, sagt sie stolz.
Bildung für Rohingya-Kinder in Bangladesch
Wo immer möglich, versucht UNICEF die vorhandenen Lernzentren für die Mädchen und Jungen aufrechtzuerhalten. Wenn das nicht geht, bietet UNICEF den Kindern zumindest „mobile Schulen“ an. So kann die Bildung für die Kinder möglichst nahtlos fortgesetzt werden, und sie haben auch im Flüchtlingscamp weiterhin einen gewissen Grad an Struktur und Routine.
Auch kinderfreundliche Zonen soll es weiter für die Kinder geben. Die Kinder brauchen Räume, in denen sie spielen können und wo Mitarbeiter für sie bereitstehen, mit denen sie reden können.
Rohingya brauchen unsere langfristige Hilfe
Wie lange die Rohingya noch in den Flüchtlingscamps leben müssen, weiß niemand. In ihrer Heimat Myanmar herrscht seit Jahrzehnten ein Klima des Hasses gegen sie. Es sieht nicht so aus, als wenn sie bald in dieses Land zurückkehren könnten – wo sie noch nie richtig akzeptiert und integriert waren.
Umso wichtiger ist es für uns, dass wir den Mädchen und Jungen so lange zur Seite stehen, wie sie unsere Hilfe brauchen. Jede einzelne Spende kann in den Flüchtlingscamps das Leben eines Kindes verbessern oder sogar retten.
Bitte helfen Sie mit, dass aus der Flüchtlingskrise der Rohingya keine Katastrophe wird!