Wenn Nachrichten Angst machen: Wie spreche ich mit meinem Kind? Tipps für Eltern
Kinderpsychologin Dr. Kathrin Mikan gibt im Interview mit UNICEF wertvolle Tipps für Eltern. Sie nennt praktische Beispiele, wie Eltern mit ihren Kindern über schreckliche Nachrichten und beklemmende Bilder kindgerecht sprechen können.
Eltern stehen oft vor einer herausfordernden Aufgabe, wenn es darum geht, Kindern zu erklären, was sie in den Nachrichten sehen. In Zeiten, in denen Konflikte und Kriege auf der Welt – auch durch soziale Netzwerke – sichtbarer und zugänglicher denn je sind, können Ängste von Kindern wachsen.
Sie hören Begriffe und sehen Bilder, die sie beunruhigen und Fragen aufwerfen. Für einen offenen und kindgerechten Umgang mit diesen sensiblen Themen sind kindgerechte Erklärungen von entscheidender Bedeutung.
Kinderpsychologin Dr. Kathrin Mikan gibt Eltern wertvolle Ratschläge, wie sie mit ihren Kindern über bedrückende Nachrichten sprechen können.
Wenn Nachrichten Angst machen – Gespräch mit einer Kinderpsychologin
UNICEF: Durch Social Media erfahren wir viel schneller als je zuvor, was an verschiedensten Orten dieser Welt passiert. Das fühlt sich oft nach einer Überflutung von negativen Nachrichten an. Das kann zu Ängsten, Stress und Emotionen wie Ungewissheit und Sorgen führen. Was raten Sie Kindern hier?
Dr. Kathrin Mikan: Kindern rate ich, dass sie sich mit ihren Ängsten und Sorgen an eine vertraute Person wenden sollen. Denn es ist ganz normal, Ängste, Sorgen oder Stress zu empfinden, wenn wir von schrecklichen Nachrichten hören.
Außerdem ist es auch wichtig, zu merken, wenn es einem zu viel wird. Vor allem wenn Kinder schon selbst Zugang zu sozialen Medien haben, rate ich dazu, auch einmal eine Medienpause einzulegen oder bestimmte Kanäle auf stumm zu schalten, wenn von einer Person immer wieder verstörende Bilder geteilt werden.
Wenn man sich traut, kann man diese Person ansprechen und ihr mitteilen, dass die Fotos für manche Menschen vielleicht sehr verstörend sein könnten, und dass solche Fotos besser nicht geteilt werden sollten. So kann Sensibilität geschaffen werden.
Außerdem ist es wichtig, ein „leichtes Gegengewicht“ zu „schweren Nachrichten“ zu schaffen: Sich bewusst zu machen, dass wir hier in Deutschland in Sicherheit sind und dass es viele schöne Dinge in der Welt gibt.
UNICEF: Kriegsbilder und verstörende Gewaltdarstellungen – wie hilft man Kindern bei der Verarbeitung?
Dr. Kathrin Mikan: Zunächst einmal ist mir hier ganz wichtig zu betonen, dass Kinder vor Nachrichten, die für Erwachsene gedacht sind, geschützt werden sollten! Das heißt: Erwachsene sollten darauf achten, Nachrichten, die verstörende Gewaltdarstellungen beinhalten, nicht im Beisein der Kinder zu schauen.
Falls es doch passiert, kann sich ein solches Bild ganz tief in den Kopf der Kinder eingraben und Ängste verursachen. Wichtig ist dann erstmal, für die Kinder da zu sein und nicht ihre Ängste herunterzuspielen. Statt zu sagen: „Du brauchst gar keine Angst zu haben“ ist es oft besser zu sagen: „Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst und dass diese Bilder Angst machen. Was weißt du denn schon über diese Situation?" Man kann im Verlauf dann zum Beispiel auf der Karte nachschauen, wo der Krieg stattfindet und aufzeigen, dass er weit weg ist und die Menschen hier in Deutschland in Sicherheit sind.
Ein weiterer hilfreicher Schritt bei der Verarbeitung solch schrecklicher Bilder kann sein, selbst aktiv zu werden: Darüber zu sprechen, was Krieg ist und was wir selbst dazu beitragen können, dass wir hier in Deutschland in Frieden leben können. Auch mit Kindergartenkindern kann man schon darüber sprechen, wie man einen Konflikt mit Worten klären kann statt mit Fäusten.
UNICEF: Können Sie uns etwas über die emotionalen Auswirkungen von Kriegsnachrichten und Bildern auf Kinder erzählen? Warum sind sie besonders anfällig für Ängste in solchen Situationen?
Dr. Kathrin Mikan: Je jünger Kinder sind, desto weniger sind sie in der Lage, Kriegsnachrichten auf dieselbe Weise zu verarbeiten wie Erwachsene. Sie sehen ein Bild oder Video und glauben vielleicht, dass das Ganze hier bei uns passiert.
Für sie kann alles ganz nah und sehr, sehr beängstigend wirken. Wenn Kinder nicht kindgerecht aufgeklärt werden, nachdem sie solche schrecklichen Bilder oder Nachrichten gesehen haben, kann es sein, dass sie in ihrer Fantasie größer und schrecklicher werden, und das kann zu vermehrten Ängsten wie Trennungsängsten oder Schlafproblemen führen. Kinder verarbeiten auch viel im Spiel und es kann sein, dass wir dann mehr „Kriegsspielhandlungen“ bei Kindern beobachten oder auch vielleicht aggressiveres oder ängstlicheres Verhalten als sonst.
Erwachsene Bezugspersonen, egal ob Eltern oder Fachkräfte, sollten darum aufmerksam auf die emotionale Befindlichkeit von Kindern achten und ihnen zu verstehen geben, dass sie nicht alleine sind, sondern dass die Erwachsenen da sind.
UNICEF: Welche Grundsatzansätze oder Empfehlungen gibt es, um Kinder auf altersgerechte Weise über Krieg und Konflikte zu informieren?
Dr. Kathrin Mikan: Prinzipiell würde ich Kinder eher fragen: „Hast du etwas auf dem Herzen, über das du mit mir sprechen möchtest? Gibt es etwas, das dir Sorgen macht?“
Schulkinder könnte man auch fragen: „Im Moment gibt es einen Krieg. Hast du davon schon gehört und hast du Fragen dazu? Ich bin immer für dich da, wenn du Sorgen oder Ängste hast oder du einfach etwas wissen möchtest.“
Wir dürfen nicht vergessen, dass es ein Gegengewicht zum Krieg gibt: den Frieden. Wir können mit den Kindern besonders jetzt „Friedensprojekte“ organisieren und dabei das Thema Krieg und Frieden zum Thema machen. Hier kann man auch gut darüber sprechen, wie Krieg entsteht und wie Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. So stärken wir Kinder schon von klein auf in ihren sozial-emotionalen Kompetenzen.
Es gibt hilfreiche Kinderbücher und Materialien über Frieden und Krieg sowie Nachrichten, die besonders für Kinder gemacht sind. Kindernachrichten sind übrigens auch super für Erwachsene geeignet, wenn wir uns unsicher sind, wie wir Kinder bestimmte Begriffe erklären sollen.
UNICEF: Wie kann man sicherstellen, dass Kinder die richtigen Informationen erhalten, ohne übermäßigem Sensationalismus oder Gewalt ausgesetzt zu sein?
Dr. Kathrin Mikan: Wir Erwachsene sind hier ein wichtiger Schutzfilter. Zuerst sollte man sich zum Beispiel Kindernachrichten lieber selbst ansehen und sich ein Bild davon machen, ob ein bestimmter Beitrag für ein Kind in dieser Altersgruppe geeignet ist.
Wenn verschreckende Bilder oder Videosequenzen gezeigt werden sollten, würde ich den Beitrag nicht zeigen, sondern selbst ins Gespräch mit einem Kind gehen.
Wenn Kinder bereits selbst Zugang zu Medien haben, sollte auch gut darauf geachtet werden, was Kinder konsumieren und wozu sie Zugang haben. Es gibt gute Kinder- bzw. Familien-Apps, über die Eltern die Zugänge regulieren können.
Persönlich finde ich auch, dass es wichtig ist, die Altersvorgaben verschiedener sozialer Medien zu beachten. Für Instagram zum Beispiel ist ein Mindestalter von 13 Jahren vorgeschrieben - und das ist auch absolut sinnvoll.
UNICEF: Was kann man tun, wenn Kinder selbst extremistisches Gedankengut äußern?
Dr. Kathrin Mikan: Auch hier würde ich in jedem Fall erst einmal nachfragen. „Wie meinst du das?“, „Was genau macht dich so wütend?“. Wichtig ist hier zuzuhören und zu verstehen, was dazu geführt hat, dass diese Gedanken aufkommen.
Gleichzeitig ist es wichtig, in den Meinungsaustausch zu gehen und zu informieren. Zum Beispiel darüber, dass es verschiedene Sichtweisen auf der Welt gibt und Menschen unterschiedliche Gründe für ihr Verhalten haben.
Besonders wenn die Kinder älter werden, gilt es auch sie in ihrer Medienkompetenz zu stärken. Dazu gehört auch, ihnen Begriffe wie „Fake News“ oder „Deep Fake“ zu erklären, um sie vor dem Einfluss radikaler Propaganda zu schützen.
Wichtig ist, mit den Kindern in Kontakt und im Gespräch zu bleiben und ihnen Konzepte von Toleranz, Vielfalt, Respekt und Demokratie zu vermitteln. Angst vor Bestrafung oder Belehrung (= nicht zuhören) kann zu Kommunikationsblockaden und dazu führen, dass Kinder sich zurückziehen und sich so noch mehr zu dem extremistischen Gedankengut hingezogen fühlen.
UNICEF: Welche Sprache sollten Eltern nutzen, um Kinder aufzuklären. Können Sie konkrete Sprechbeispiele nennen: Also: In welcher Sprechweise beschreibt und vermittelt man kriegerische Auseinandersetzungen kindgerecht?
Dr. Kathrin Mikan: Hier sind ein paar Erklärungsversuche:
„Mama/Papa, was ist Krieg?“
Krieg ist, wenn sich zwei Ländern oder Gebiete nicht mehr nur mit Worten streiten, sondern wenn einer oder beide Waffen nutzen, um ihre Meinung dem anderen aufzuzwingen. Dann schicken sie Soldat*innen aus, um gegeneinander zu kämpfen und es wird Krieg ausgerufen.
„Mama/Papa, sterben da Menschen?“
„Ja, leider sterben im Krieg auch Menschen. Es gibt aber auch Abkommen, einen Vertrag, wie die Genfer Konventionen, um die Bewohner*innen im Land vor den Auswirkungen eines Krieges zu beschützen. Wenn Menschen verletzt werden, dann gibt es im Krieg auch Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen, die den Menschen helfen und die sich um die Menschen im Kriegsgebiet kümmern.“
„Mama/Papa, kommt der Krieg auch zu uns?“
Wichtig ist in erster Linie, den Kindern die Ängste zu nehmen und ihnen zu erklären, dass der Krieg weit weg von uns passiert. Wir können den Kindern sagen: „Deutschland ist ein sicheres Land. Du bist hier in Sicherheit - und ich passe immer gut auf dich auf!“
Wir von UNICEF möchten Sie als Eltern unterstützen. Hier finden Sie weitere von uns zusammengetragenen Hilfsangebote unter folgenden Links:
Auf der Seite superheldenkids finden Sie ausführliche Informationen und einen Leitfaden darüber, wie Eltern mit ihren Kinder über Krieg sprechen können.
„SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.“ ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier gibt es ein aktuelles Erklär-Stück.
Auch die Sendung mit der Maus vom WDR hat eine kindgerechte Radionachricht aufbereitet. Falls Sie mit Ihrem Kind zusammen Kindernachrichten hören möchten, finden Sie diese hier.
Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden jeden Tag im Jahr erreichbar. Eltern können unter der 0800-1110111, 0800 1110222, 116 123 oder 0800 3344533 (Info-Telefon Depression).
Die "Nummer gegen Kummer" bietet Telefonberatung für Kinder, Jugendliche und Eltern.
Das Elterntelefon richtet sich an Mütter und Väter, die sich unkompliziert und anonym konkrete Ratschläge holen möchten.
Dr. Kathrin Mikan ist Kinder- und Entwicklungspsychologin in Regensburg und hat das Interview mit Katharina Kesper am 18. Oktober 2023 geführt.