Nigeria: Mädchen und Jungen erzählen vom Terror
„Das ist ein Mann von Boko Haram, der ein Auto anzündet. Und hier wird einem Menschen der Kopf abgeschnitten.“ So beschreibt der 10-jährige Sani aus Nigeria das Bild, das er gemalt hat. Das ist keine schlimme Phantasie oder aus einem Horrorfilm entnommen, sondern das hat Sani selbst erlebt, als sein Dorf von der Terror-Miliz überfallen wurde.
Seit einigen Jahren verbreitet die Terrorgruppe Boko Haram vor allem im Nordosten von Nigeria Angst und Schrecken. Vor einem Jahr sorgte ein besonders krasser Fall weltweit für Aufsehen: Im April 2014 wurden auf einen Schlag 276 Mädchen in Nigeria von Terroristen aus einer Schule entführt. Während einige von ihnen fliehen konnten, werden rund 200 Mädchen immer noch vermisst.
Über ihr Schicksal ist nichts bekannt. Doch andere Mädchen und Frauen, die entführt wurden und fliehen konnten, berichten von schwerer Misshandlung, Vergewaltigung und Zwangsheirat. Es gibt Berichte über Mädchen, die gezwungen wurden, sich als Selbstmordattentäter in die Luft zu sprengen. Aber auch Jungen werden entführt und als Kindersoldaten missbraucht.
Die Gewalt in Nigeria ist im vergangenen Jahr eskaliert, die humanitäre Situation hat sich dramatisch verschlechtert. 1,5 Millionen Menschen, darunter 800.000 Kinder, sind inzwischen vor Boko Haram und vor den Kämpfen zwischen den Terroristen, Regierungstruppen und bewaffneten Bürgerwehren auf der Flucht und brauchen dringend Hilfe.
Mütter, Väter und Kinder – Opfer von Boko Haram erzählen
Was sie durchgemacht haben und wie sie buchstäblich um ihr Leben zu laufen mussten, berichten hier Mütter, Väter und Kinder in ihren eigenen Worten.
Rose: Flucht war zu viel für 2-jährigen Sohn
Rose (rechts) liegt erschöpft mit zwei ihrer Kinder auf einer Pritsche. Männer von Boko Haram haben ihr Dorf im Norden Nigerias überfallen und anfangen, alle Männer zu töten – einschließlich des Mannes von Rose. Das Letzte, das sie von ihrer Heimat sah, war ihr brennendes Haus. „Wir konnten nichts mitnehmen, wir sind einfach gerannt. Mein zweijähriger Sohn ist auf der Flucht gestorben, es war zu viel für ihn. Ich hoffe, dass wir bald nach Hause und ernten können, damit wir etwas zu essen haben.“ Rose lebt mit ihren Kindern in einer Flüchtlingsunterkunft in Yola.
Hassan: „Wo sind meine Kinder?“
„Wo sind meine Kinder?“ Hassan zeigt Fotos seiner 18-jährigen Tochter und seines 6-jährigen Sohnes, die beide von Boko Haram entführt wurden. Auch zwei Monate später weiß der Vater nicht, ob die beiden noch leben und wie es ihnen geht. Die Männer haben auch sein Haus niedergebrannt und alle seine Kühe erschossen. Hassan konnte mit dem Rest seiner Familie in das Flüchtlingscamp Gire bei Yola fliehen.
Salamatu: „Wir sind um unser Leben gerannt“
Salamatu war nicht reich, aber mit der Farm und dem Verkauf von Lebensmitteln verdiente die Familie genug, um alle neun Kinder gut zu ernähren und in die Schule zu schicken. All das ist jetzt verloren. Als Boko Haram ihr Dorf Askira Uba in Borno angriff, trennten sie die Männer von den Frauen und begannen, die Männer zu töten, auch Salamatus Bruder. „Dann sind wir alle um unser Leben gerannt“, sagt sie. Darunter ein überlebender Bruder - dann fiel ein Schuss, und auch er starb. „Sie haben unsere Häuser abgebrannt. Es ist nichts mehr übrig“, sagt Salamatu. Sie konnte mit ihrem Mann und den Kindern fliehen. Drei Wochen und vier Tage haben sie gebraucht, um das Flüchtlingscamp in Yola zu erreichen. „Wir sind barfuß gelaufen. Wir konnten nichts mitnehmen.“ Die nigerianische Regierung sorgt für Nahrung, UNICEF unterstützt die Flüchtlinge mit Medikamenten und richtet Notschulen ein.
Aisha (13): Vater ermordet, Mutter entführt
Aisha, 13, versteckt ihr Gesicht. Sie musste mit ansehen, wie Männer von Boko Haram ihre Heimatstadt Gwozo überfielen, ihren Vater töteten und ihre Mutter verschleppten. Mit ihrer älteren Schwester zusammen gelang Aisha die Flucht in ein Flüchtlingscamp in Yola. Die Mädchen helfen sich gegenseitig. Aisha hat psychologische Hilfe erhalten und fühlt sich jetzt stark genug, um die UNICEF-Schule im Camp zu besuchen. „Mir gefällt die Schule hier“, sagt Aisha, „aber ich möchte wieder nach Hause.“
Samson (16): Will wie sein Vater gegen Boko Haram kämpfen
Der Vater von Samson, 16, starb vor einigen Jahren als Regierungssoldat im Kampf gegen Boko Haram. Als diese Nachricht sie erreichte, erlitt Samsons Mutter einen Schock und starb kurze Zeit später. Samson lebte bei seiner Großmutter, als ihn vor einigen Monaten die Gewalt wieder einholte: Boko Haram griff die Kirche in seinem Dorf in der Gegend von Michika an. Viele Männer wurden getötet, Frauen und Kinder, unter ihnen Samson und seine Großmutter, flohen in großer Angst. „Wir sind immer weiter gerannt“, sagt Samson. In einem Flüchtlingscamp in Yola besucht er eine UNICEF-Schule. Doch sicher fühlt er sich nicht. Deshalb will er später in die Fußstapfen seines Vaters treten. „Ich möchte Soldat werden. Ich möchte Boko Haram besiegen“, hat Samson mit Kreide an eine Mauer geschrieben.
Lydia (15): „Ich möchte Ärztin werden“
Lydia, 15, lächelt tapfer, aber sie hat immer noch Angst: „Als die Schießerei in meinem Dorf Gidel begann, sind wir in Panik in die Berge gerannt.“ Von dort sahen sie, wie Häuser und Schulen in Flammen aufgingen. Zwei Wochen lang versteckten sie sich in den Bergen und trauten sich nur nachts, nach Essbarem zu suchen. Sieben Tage lang flohen Lydia und andere Dorfbewohner dann zu Fuß, bis sie das Flüchtlingscamp in Yola erreichten. Ein Onkel und ein Cousin wurden bei dem Angriff getötet, sechs ihrer Freunde werden vermisst. Mit Hilfe von UNICEF besucht Lydia eine Schule im Flüchtlingscamp. „Ich möchte gerne Ärztin werden und anderen Menschen helfen“, sagt Lydia.
Amos: Bringt als freiwilliger Lehrer Kinder zum Strahlen
Amos Asaai ist selbst vor dem Terror geflohen und kümmert sich jetzt als freiwilliger Lehrer um die Kinder im Gire 2 Flüchtlingscamp in der Nähe von Yola im Nordosten Nigerias. Mitglieder der Boko Haram-Miliz brannten Amos Asaais Haus in Gwoza nieder und töteten vor seinen Augen zwei seiner Brüder. „Ich hatte riesiges Glück, dass ich entkommen konnte. Ich bin gerannt und habe mich mit meinen beiden Töchtern in den Bergen versteckt.“ UNICEF sorgt zusammen mit dem nigerianischen Bildungsministerium dafür, dass Kinder, die vor der Gewalt fliehen mussten, trotzdem zur Schule gehen können.
UNICEF sorgt auch dafür, dass die Kinder psychologisch betreut werden. Bei einer Session ist auch die Zeichnung des 10-jährigen Sani entstanden, der mit seiner Familie jetzt in einem Flüchtlingscamp in Niger in Sicherheit ist. So erschütternd dieses Bild ist: Es ist ein erster Schritt, dass Sani über seine Erlebnisse sprechen und sie langsam verarbeiten kann.
Auf unserer Themenseite Nigeria erfahren Sie mehr darüber, wie wir Kindern in Nigeria und den Nachbarländern helfen und wie Sie uns dabei unterstützen können.