© UNICEF/UNI569272/ErolKriminalität in Haiti: Bandengewalt nimmt zu und immer mehr Menschen müssen fliehen.
Kinder weltweit

Kriminalität in Haiti: Kinder und Familien leiden unter den Folgen der eskalierenden Gewalt

Die Lage in Haiti ist hoffnungslos: Drei Millionen Kinder sind von Bandengewalt bedroht und kämpfen ums Überleben. Essen, sauberes Wasser, medizinische Versorgung, ein sicherer Ort – es fehlt an allem. Die Situation spitzt sich zu und mit jedem Tag wird die Verzweiflung größer. Wichtige Fakten, die Sie vielleicht noch nicht kennen.


von Katharina Kesper OO

Haiti in der Krise: Kinder von Bandengewalt bedroht

In Haiti spitzt sich die humanitäre Lage seit Februar dieses Jahres dramatisch zu. Kinder und ihre Familien sind zunehmend von Bandengewalt bedroht und leben in Gemeinden, die von Konflikten und Unsicherheit geprägt sind.

Über 360.000 Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, während Hunger und Mangelernährung ein Rekordniveau erreichen. Besonders besorgniserregend: Mehr als 58.000 Kinder sind akut von einer Hungersnot bedroht, wie unsere Kolleg*innen vor Ort berichten. Zwei von drei Kindern sind in Haiti dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Situation und zeigen, wie wir den betroffenen Kindern helfen.

Kriminalität in Haiti: Zehntausende Familien auf der Flucht vor Bandengewalt

Die Lage in Haiti ist zum Verzweifeln: Fünfeinhalb Millionen Menschen, darunter drei Millionen Kinder, kämpfen täglich ums Überleben.

© UNICEF/UNI519099/Joseph

Kriminalität in Haiti: Bandengewalt eskaliert

"Nirgends ist es sicher – nicht einmal zuhause"

Wie schlimm die Lage vor Ort gerade ist, zeigt die Geschichte von Virginia. Die 13-Jährige wird in ihrem eigenen Zuhause angeschossen und schwer verletzt. Während ihre Mutter Charitée auf dem Markt einkaufen ist, hört sie plötzlich Schüsse. Als sie nach Hause eilt, findet sie ihre Tochter blutend vor. Eine verirrte Kugel hatte das Zeltdach durchschlagen und Virginia am oberen Rücken getroffen.

Verzweifelt und voller Sorge bringt sie ihre Tochter gemeinsam mit Nachbarn in das nächstgelegene Krankenhaus. Die Ärzte erklären, dass eine Operation riskant sei, da sich die Kugel an einer schwer zu entfernenden Körperstelle befindet. Eine Lähmung sei nicht auszuschließen. Dank der Unterstützung von UNICEF wurde Virginia in ein spezielles Krankenhaus gebracht, wo man ihr helfen und sie sicher operieren konnte.

Trotz ihrer physischen Genesung leidet Virginia unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, konnte lange Zeit nicht zur Schule gehen.

„Wenn ich Schüsse höre, schrecke ich hoch und schlage auf mich ein. Ich habe Angst, zu Hause zu bleiben. Ich habe Angst, wenn meine Mutter mich allein lässt", erzählt sie.

„Ich will wieder zur Schule gehen, wenn es mir besser geht, aber ich habe Angst um meine Freunde, die noch näher an den Orten leben, an denen ständig Gewalt eskaliert“, sagt sie.

"Das meine Tochter überlebt hat, ist trotz allem ein Hoffnungsschimmer für mich inmitten dieser Gewalt, die das Leben von so vielen Kindern in Haiti bedroht", sagt ihre Mutter.

Kriminalität in Haiti: Virginia ist nirgendwo in Sicherheit.

Bild 1 von 3 | Die 13-jährige Virginia konnte wegen der anhaltenden Gewalt in ihrer Nachbarschaft nicht zur Schule gehen. Auch zu Hause war sie nicht sicher: In ihrem Zimmer wurde sie von einer verirrten Kugel getroffen und verletzt.

© UNICEF/UN0824427/Joseph
Kriminalität in Haiti: Kinder leiden unter den Folgen der Gewalt.

Bild 2 von 3 | Die Wunde auf Virginias Rücken verheilt langsam. Doch die Erinnerung an die Schusswunde lässt sie nicht los.

© UNICEF/UN0824428/Joseph
Kriminalität in Haiti: Einschusslöcher von Querschlägern in Häusern.

Bild 3 von 3 | Virginias Mutter zeigt das Einschussloch des Querschlägers, der ihre Tochter getroffen hat. Sie ist erschüttert und besorgt, dass ihre Tochter nirgendwo sicher zu sein scheint.


© UNICEF/UN0824441/Joseph

Zehntausende Familien auf der Flucht vor Bandengewalt

„Sie schossen die ganze Nacht in der Nähe unseres Hauses"

"Ich fühlte mich gezwungen zu fliehen“ sagt Johanne, Mutter von vier Kindern. "Wir fühlten uns in unserer Wohnung nicht mehr sicher. Also entschied ich, das Haus mit meinen vier Kindern zu verlassen und nahm alle Habseligkeiten mit, die ich greifen konnte."

Seit Anfang Mai fliehen erneut Tausende von Familien aus ihren Häusern, nachdem es in Solino, im Herzen der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince, vermehrt zu Bandenüberfällen gekommen war.

Für viele Familien geht der Schrecken weiter, denn die Kinder sind gezwungen, ihre Schulen, ihre Umgebung und ihr Zuhause zu verlassen. Mehr als 100.000 Menschen sind derzeit (Stand: Mai 2024) auf der Flucht in den Süden und in andere Regionen. Das bedeutet verheerenden Folgen für das gesamte haitianische Sozialsystem.

Kriminalität in Haiti: Kinder fliehen mit dem Nötigsten.

Bild 1 von 2 | „Sie schossen die ganze Nacht in der Nähe unseres Hauses. Ich fühlte mich gezwungen zu fliehen", sagt Johanne, Mutter von vier Kindern.

© UNICEF/UNI569273/Erol
Kriminalität in Haiti: Familien auf der Flucht.

Bild 2 von 2 | Wenn man sich nirgendwo mehr sicher fühlt, nicht einmal in den eigenen vier Wänden, dann ist Flucht die einzige Möglichkeit.

© UNICEF/UNI569271/Erol

Ursachen für die Gewalt in Haiti

Haiti steckt in einer tiefen politischen und humanitären Krise. Schon seit Jahren gilt es als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Anhaltende politische Unruhen, zivile Aufstände und bewaffnete Gewalt verschärfen die ohnehin schwierige Lage im Land. Die steigende Gewalt, die anhaltende Armut und die häufigen Naturkatastrophen machen es der Bevölkerung schwer, eine sichere Zukunft zu sehen.

Kriminalität in Haiti: Eine Fensterscheibe mit Einschusslöchern.

Im Herzen von Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti, ist die eskalierende Gewalt zu einer düsteren Realität geworden.

© UNICEF/UNI519097/Joseph

Bewaffnete Gruppen terrorisieren Familien und kämpfen um Territorium und Kontrolle, insbesondere in der Hauptstadt Port-au-Prince und den benachbarten Regionen. Diese Gruppen blockieren wichtige Straßen, zerstören Geschäfte und behindern systematisch humanitäre Hilfe.

Auswirkungen der steigenden Kriminalität in Haiti

"Haiti wird seit Jahren von schrecklicher Gewalt heimgesucht. In den letzten Monaten war diese durch ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Gesetzlosigkeit, Menschenrechtsverletzungen, Entführungen und einer völligen Missachtung des Wohlergehens von Kindern und ihren Familien gekennzeichnet", sagt UNICEF-Chefin Catherine Russell im März.

Die Situation in Haiti erreicht seit Beginn dieses Jahres ein neues Maß an Grauen. Gewalt und Gesetzlosigkeit bedrohen das Leben von Millionen von Kindern und ihren Familien. Bewaffnete Gruppen tyrannisieren Gemeinden, Schulen und Krankenhäuser werden geschlossen und das normale Leben ist zum Erliegen gekommen.

Krankheitsausbrüche als Folge der Gewalt in Haiti

Rückkehr von Cholera

Für die Kinder in Haiti ist die Gefahr durch Cholera besonders groß. Viele von ihnen sind auf der Flucht und haben keinen Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Einrichtungen, was die Verbreitung der Krankheit begünstigt. Das simple Bedürfnis, sich die Hände zu waschen oder sauberes Wasser zu trinken, wird zu einem Luxus, den sie sich nicht leisten können.

Kriminalität in Haiti: Cholera ist auf dem Vormarsch.

Trotz aller Widrigkeiten ist UNICEF vor Ort: Ein Mädchen lächelt während einer Schulung zum richtigen Händewaschen in Port-au-Prince, Haiti.

© UNICEF/UNI557555/Erol

Kinder, die bereits unter den Schrecken der alltäglichen Gewalt in Haiti leiden, sind zusätzlich der Gefahr von Cholera ausgesetzt. Jeder Tag ist von der Ungewissheit geprägt, ob sauberes Wasser zur Verfügung steht.

Blog

Cholera: Eine große Gefahr für Kinder auf der ganzen Welt

Cholera ist in vielen Vierteln der Hauptstadt ausgebrochen – es wurden bereits mehr als 80.000 Fällen gemeldet. Ärzt*innen warnen, dass das Gesundheitssystem kurz vor dem Zusammenbruch steht. Tödliche Überschwemmungen und Erdbeben haben Haiti deutlich vor Augen geführt, wie verwundbar das Land durch Klimawandel und Naturkatastrophen ist und wie labil das aktuelle Gesundheitssystem des Landes ist.

Kampf gegen Mangelernährung in Haiti

Lehrer, Gesundheits- und Sozialarbeiter*innen und leider auch immer mehr Ärzte und Ärztinnen verlassen in Scharen das Land, um im Ausland Sicherheit zu suchen.

Kriminalität in Haiti: Tausende Kinder sind von akuter Hungersnot bedroht.

Krankenhaus in Port-au-Prince, Haiti: Ein Kind wird auf seinen Gesundheitszustand untersucht. Das Maßband am Oberarm des Kindes zeigt Gelb – das bedeutet, es ist in großer Gefahr, akut mangelernährt zu sein.

© UNICEF/UNI557570/Erol

Tausende Kinder leiden unter Mangelernährung, mehr als 58.000 Kinder sind vom Hungertod bedroht, doch die anhaltende Gewalt erschwert die Hilfeleistung erheblich. Und die Situation verschärft sich, denn die Nahrungskrise wächst, und immer mehr Kinder leiden Hunger.

Blog

Hungersnot, Ernährungskrise, Mangelernährung – Was ist das?

In Port-au-Prince, wo der Zugang zu lebenswichtigen Hilfsgütern durch den anhaltenden Ausnahmezustand behindert wird, ist die Gesundheitsversorgung stark eingeschränkt. Besonders besorgniserregend ist der schockierende Anstieg der Mangelernährung bei Kleinkindern. In Artibonite, einer der zehn Provinzen Haitis, sind nur die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen in der Lage, die Kinder zu versorgen.

Wie hilft UNICEF den von der Kriminalität in Haiti betroffenen Kindern?

Und die guten Nachrichten, fragen Sie sich jetzt? Die gibt es! Wir von UNICEF sind weiter vor Ort und tun alles in unserer Macht Stehende, um den Kindern in Haiti Hoffnung und Unterstützung zu geben, die sie so dringend benötigen. Hier ein paar Beispiele:

Psychosoziale Hilfe

In Haiti erhalten Kinder nicht nur lebenswichtige Nahrung und medizinische Versorgung, sondern auch dringend benötigte psychosoziale Unterstützung. In ihrer Welt, die von Gewalt und Unsicherheit geprägt ist, bieten diese Programme den Kindern einen sicheren Hafen für ihre Emotionen. Hier können sie ihre Traumata verarbeiten, Ängste teilen und für einen Moment einfach Kind sein. Diese Unterstützung schenkt den Kindern Hoffnung und ermöglicht es ihnen, trotz der Widrigkeiten ein Stück Kindheit zu bewahren.

Kriminalität in Haiti: Kinder springen Seil.

Kinder tanzen fröhlich umher, während sie Seil springen und sich in einer liebevollen Umgebung austoben.

© UNICEF/UNI557174/Erol

Medizinische Versorgung

Für die Kinder in Haiti ist medizinische Versorgung mehr als nur ein Service – sie ist ein Lebensretter für alle, die unter den Folgen von Gewalt, Mangelernährung und Krankheiten leiden. UNICEF liefert dringend benötigte Medikamente und mobilisiert medizinisches Fachpersonal.

Gemeinsam mit den Gesundheitsbehörden setzen wir von UNICEF alles daran, das Leben der Kinder und Mütter in Haiti zu schützen. So impfen wir zum Beispiel Kinder und Mütter, um sie vor schweren Krankheiten zu schützen. Dringend benötigt werden gerade vor allem medizinische Materialien und Personal, um die Gesundheitskapazitäten vor Ort zu stärken.

UNICEF ist für die Kinder in Haiti da

Kriminalität in Haiti: Ronialissa schreibt Gedichte, um die Situation besser zu verarbeiten.

Ronialissa (17) schreibt in ihrem Gedicht über Haiti: „Ich wünsche mir mehr als alles andere, dass mein altes Haiti zurückkommt, dass das Glück zurückkommt und dass alle Ängste verschwinden. Damit es keine Sorgen und keinen Kummer mehr gibt.“

© UNICEF/UNI546818/Joseph

In Zeiten der Krise zählt jede Sekunde. Es besteht dringender Handlungsbedarf, um Mangelernährung zu bekämpfen, den Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen zu verbessern und Frauen sowie Kinder vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen. Sie können mithelfen und etwa bewirken. Mit Ihrer Spende.

Gemeinsam können wir Wege finden, um den Kindern und Familien in Haiti zu helfen und eine bessere Zukunft aufzubauen. Ein erster Schritt ist, dass Sie diesen Blogbeitrag gelesen haben. Vielen Dank!

Wo liegt eigentlich Haiti?

Haiti liegt in der Karibik auf der Insel Hispaniola. Die Insel wird von zwei Ländern geteilt: Haiti im Westen und die Dominikanische Republik im Osten. In der Regenzeit kommt es oft zu Überschwemmungen und Erdrutschen – auch Tropenstürme verursachen regelmäßig Schäden.

Haiti zählt zu den ärmsten Ländern der Welt, wobei über 60 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut leben. Bandenkriege und hohe Kriminalität belasten das Land seit Jahren. In Haiti leben etwa elf Millionen Menschen.

Katharina Kesper
Autor*in Katharina Kesper

Katharina Kesper ist Chefin vom Dienst bei UNICEF und bloggt über kraftvolle Geschichten von Kindern, über die Arbeit der Organisation auf der ganzen Welt, über UNICEF-Helfer*innen und besondere Begegnungen.