Muzoon Almellehan: Die jüngste UNICEF-Botschafterin im Interview
Das Kindermagazin GEOlino stellt in jeder Ausgabe ein UNICEF-Projekt vor. In Heft 10/2020 erschien ein Interview mit der UNICEF-Botschafterin Muzoon, die zeitweise in dem jordanischen Flüchtlingscamp Zaatari gelebt hat.
Seit Muzoon 14 Jahre alt ist, engagiert sie sich dafür, dass Kinder zur Schule gehen können. Damals lebte die heute 21-jährige Syrerin in einem Flüchtlingscamp in Jordanien. Wie es dazu kam und was sie als jüngste UNICEF-Botschafterin antreibt, erzählt sie uns im Interview.
GEOlino: Du stammst aus Syrien und bist mit deiner Familie im Jahr 2014 vor dem
Krieg nach Jordanien geflohen. Erzählst du uns davon?
Muzoon: Vor dem Bürgerkrieg bin ich ganz normal zur Schule gegangen, habe mit meinen Brüdern und Cousins Fußball gespielt. Als der Krieg begann, hat sich alles verändert. Ich war damals zwölf Jahre alt. Wegen der Angriffe trauten wir uns nicht mehr auf die Straße, aber auch aus Angst, festgenommen zu werden. Denn die Regierung sperrte manche Leute einfach so ein, ohne Grund. Wir hörten Geschosse einschlagen. Es fehlte an Essen, der
Strom fiel aus. Mein Vater war Lehrer und wurde schließlich arbeitslos, verdiente kein Geld mehr. Als das passierte, entschieden wir uns zur Flucht. Da war ich 14 Jahre alt.
Wie verlief die Flucht?
Die Leute von der Freien syrischen Armee brachten uns und andere mit Autos bis in die Nähe der jordanischen Grenze. Bei Einbruch der Dunkelheit liefen wir los – stundenlang, fast geräuschlos, in völliger Finsternis. Es war schwer, das Tempo zu halten und die Familie nicht zu verlieren. An der Grenze empfing uns das jordanische Militär, kontrollierte unsere Dokumente.
Kannst du uns die Lebensbedingungen im Flüchtlingscamp Zaatari beschreiben?
Wir hatten kein Privatleben mehr. Wir haben in einer Gemeinschaftsküche gekocht. Täglich Wasser in Kanistern von einer Wasserstelle geschleppt, es war sehr anstrengend. Wir hatten keinen Strom und natürlich auch kein Internet. Alle 15 Tage bekam man seine Ration Reis. Der reichte aber nicht für 15 Tage. Wer Geld hatte, konnte sich etwas vom Markt dazukaufen. Unser Glück war, dass sie meinen Vater bald als Lehrer angestellt haben und
er Geld verdienen konnte.
Konntest du zur Schule gehen?
Nicht sofort, aber nach ein paar Wochen. Ich war extrem glücklich darüber. Umso mehr wunderte ich mich, dass sich nicht alle freuten.
Erkläre uns das näher, bitte!
Ich hörte, wie zwei Mädchen in der Reihe hinter mir tuschelten, sie wollten nicht weiter zur
Schule gehen. Da konnte ich nicht anders und habe mich eingemischt. Rückblickend war dies der Moment, in dem ich mein Engagement für Bildung startete.
Was hast du den Mädchen gesagt?
Dass junge Menschen lernen müssen. Dass unser Land gebildete Menschen braucht, die nach dem Krieg alles wieder aufbauen. Und dass es im Camp sowieso nichts anderes gibt, das man mit seiner Zeit anfangen kann. Die Lehrer haben mitbekommen, wie ich die Mädchen überzeugt habe. Bald sprach ich vor der Klasse, dann in anderen Klassen und an öffentlichen Plätzen im Camp. Hilfsorganisationen wie UNICEF baten mich, sie zu begleiten, wenn sie Eltern überzeugen wollten, ihre Kinder zur Schule zu schicken.
Wie hast du dich dabei gefühlt?
Es war eine tolle Erfahrung, dass meine Stimme gehört wird. Die anderen Helferinnen und Helfer erzählten mir, dass die Menschen eben eher auf jemanden hören, der in derselben Situation ist, als auf Fremde. Das hat mich darin bestärkt, mich immer mehr für Bildung einzusetzen, und zwar für alle Kinder der Welt.
Und wie ist dein Leben heute?
Meine Familie und ich leben jetzt in London, hier studiere ich Politikwissenschaft und bin seit 2017 die jüngste UNICEF-Botschafterin.
Was sind deine Aufgaben als Botschafterin?
Nun rede ich mit Politikerinnen und Politikern, Organisationen und Spenderinnen und Spendern. Ich war im Tschad , um mir die Situation der Schulen dort anzusehen. Kurz gesagt, es gibt kaum welche. Die Kinder dort brauchen meine Stimme.
Wie ist es, Politikern und Spendern gegenüberzustehen?
Ganz einfach. Ich habe ja auch keine Wahl: Ich muss stark sein. Denn ich spreche für Millionen von Kindern, die meine Stimme brauchen. Deshalb sage ich jedem: Von Bildung hängt alles ab. Nur ein Land, in dem die Kinder zur Schule gehen können, kann Ärzte, Anwälte und Ingenieure hervorbringen. Und ohne solche Menschen funktioniert eine Gesellschaft nicht. Von Bildung hängt alles ab. Deshalb werde ich auch nicht aufgeben, und das immer wieder und überall laut sagen.