Drei Jahre Corona – können wir mit der Pandemie und ihren Folgen abschließen?
Für viele von uns spielt Corona im Alltag schon fast keine Rolle mehr. Aber einige Kinder und Jugendliche in Deutschland kämpfen noch immer mit den Folgen der Pandemie. Wir dürfen sie und ihre Rechte nicht vergessen. Wir müssen mit ihnen gemeinsam nach passenden Formen der Unterstützung suchen und uns fragen, was wir aus der Pandemie für die Zukunft lernen können.
Vor drei Jahren sah Deutschland ganz anders aus: Landesgrenzen wurden geschlossen, weltweite Reisewarnungen ausgesprochen, Lockdowns verhängt, Treffen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit verboten, Geschäfte machten dicht, Schulen, Kitas und sogar Spielplätze waren verwaist, Kinder und Jugendliche spielten nur noch drinnen statt draußen, viele Eltern arbeiteten im Home-Office.
Mittlerweile wurden nahezu alle Maßnahmen, die zum Schutz der Bevölkerung während der Covid-19-Pandemie erlassen wurden, aufgehoben. Kinder und Jugendliche gehen wieder regelmäßig zur Schule oder in die Kita. Ihre Eltern kehren aus dem Home-Office zurück ins Büro.
Aber ist die Pandemie wirklich einfach vorbei? Was ist mit den Kindern und Jugendlichen, die es während der Pandemie besonders schwer hatten und die möglicherweise noch immer mit den Folgen kämpfen? Und sollte es eine ähnliche Krise in den nächsten Jahren nochmal geben: Wären wir besser vorbereitet, sodass möglichst alle Kinder und Jugendliche damit umgehen könnten?
Kinder und Jugendliche: Viel gefordert, selten befragt
Zu Beginn der Pandemie musste alles sehr schnell gehen. Kontakte sollten reduziert werden, um Infektionsketten zu unterbrechen. Dementsprechend wurden Kontaktbeschränkungen und Lockdowns erlassen. Mitte März 2020 wurden Schulen und Kitas geschlossen. Kinos, Jugendzentren, Sportvereine und alle Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche treffen, mussten ihr Angebot einstellen. Sogar Spielplätze waren in vielen Bundesländern wochenlang abgesperrt. Angebote der Kinder- und Jugendhilfe konnten nur noch digital, eingeschränkt oder gar nicht stattfinden.
Für Kinder und Jugendliche waren das sehr schwierige Monate und Jahre. Sie sollten nicht mehr zur Schule gehen, aber trotzdem weiterlernen. Nur digital – was angesichts der geringen Erfahrungen mit dem digitalen Unterricht, der schlechten Ausstattung der Lehrer*innen und teilweise auch der fehlenden freien Computer bei den Kindern zuhause besonders schwer war. Sie sollten drinnen spielen und ihre Freund*innen nur noch in virtuellen Räumen treffen. Sie sollten nicht mehr zum Sport gehen und auf die Jugendtreffs, Kinos oder Büchereien verzichten. Aus Solidarität mit ihren Mitmenschen haben sie auf Vieles verzichtet. Manches können sie nachholen, anderes, wie Abschlussfeiern oder besondere Familientreffen, nicht.
Es wurde viel über Kinder und Jugendliche gesprochen – mit ihnen wurde nur selten gesprochen. Kinder und Jugendliche, ihre Sichtweisen und Rechte spielten nur eine untergeordnete Rolle. Sie waren nie Teil von Corona-Beiräten der Bundesregierung oder der Länder. Daher überrascht es nicht, dass Kinder und Jugendliche sich in der Pandemie noch weniger beteiligt fühlten als zuvor. Und das, obwohl der UN-Kinderrechtskonvention zufolge, bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist.
Größere Chancen für die, die ohnehin in einem guten Umfeld aufwachsen
All das blieb nicht ohne Folgen. Bei vielen Kindern und Jugendlichen hat sich die Pandemie und die mit ihr verbundenen Maßnahmen nachteilig auf ihr Wohlbefinden ausgewirkt: auf ihre psychische Gesundheit, schulischen Leistungen, ihre Beziehungen zu den Eltern und Freund*innen oder den Medienkonsum.
Das zeigt auch der Abschlussbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“, der im Februar 2023 vorgestellt wurde. Die Autor*innen stellen über alle betrachteten Studien hinweg eine erhöhte psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie fest und sehen auch mehr als zweieinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie deutliche Hinweise auf anhaltenden psychosomatischen Stress.
Der Bericht zeigt aber auch, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen betroffen sind. Viele sind gut durch die Pandemie gekommen. Sie konnten sich auf ihre Eltern oder Freund*innen, auf engagierte Lehrer*innen oder bedürfnisgerechte Angebote in ihrer Umgebung und insgesamt ein starkes Umfeld verlassen.
Das ist die gute Nachricht des Berichts: Kinder und Jugendliche sind oft stärker als wir denken. Sie können sich auch auf große Herausforderungen einstellen – sogar auf eine Pandemie. Aber sie benötigen dafür das richtige Umfeld.
So ein Umfeld haben jedoch nicht alle Kinder und Jugendlichen. In Pandemie-Zeiten wirkte sich das besonders hart aus. Kinder, deren Familien wenig Geld hatten, deren Eltern sie nicht unterstützen konnten, die in sehr kleinen Wohnungen oder sogar Flüchtlingsunterkünften lebten oder die vielleicht auch schon zuvor psychisch belastet waren, sind bis heute die Leidtragenden der Pandemie. Sie wurden während der Pandemie zu stark vernachlässigt und kämpfen bis heute mit den Folgen.
Die Rechte und das Wohlbefinden aller Kinder und Jugendlichen standen während der Pandemie zu selten im Mittelpunkt
UNICEF hat, wie viele andere Organisationen auch, früh darauf hingewiesen, dass alle Kinder und Jugendlichen auch in der Pandemie Rechte haben. Doch die Rechte von Kindern und ihr Wohlbefinden wurden bei der Entwicklung und Umsetzung der Corona-Maßnahmen viel zu wenig berücksichtigt. Auch die negativen Auswirkungen der Lockdowns auf Kinder und Jugendliche wurden lange zu wenig wahrgenommen und benachteiligte Kinder und Jugendliche nicht bedarfsgerecht unterstützt.
UNICEF hatte zum Beispiel schon früh dafür plädiert, landesweite Schulschließungen zu vermeiden, um das Wohlbefinden von Kindern zu schützen. Doch solche Forderungen wurden häufig mit Verweis auf mögliche Infektionsrisiken überhört – zu Unrecht, wie Expert*innen und Politiker*innen im Nachhinein erklären.
Die Pandemie nicht verdrängen, sondern aus ihr lernen
Die Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie sind größtenteils aufgehoben. Trotzdem sollten wir die Pandemie nicht einfach vergessen, sondern uns mit den weiteren Folgen und Herausforderungen beschäftigen und uns fragen, was wir daraus für die Zukunft lernen können. Hier drei Gründen dafür, warum das wichtig ist.
Erstens leiden viele Kinder und Jugendliche noch immer unter den Folgen der Pandemie. Sie brauchen bedarfsgerechte Angebote, um den Auswirkungen auf Bildung, Gesundheit und Lebensqualität entgegenwirken zu können.
Zweitens kann sich so eine Krise auch in Zukunft wiederholen. Dann sollten wir als Gesellschaft so vorbereitet sein, dass dieses Mal alle Kinder und Jugendlichen die Chance haben, gut durch die Krise zu kommen.
Und drittens hat die Corona-Pandemie auf ganz grundsätzliche, ungelöste Probleme in unserer Gesellschaft hingewiesen. Denn es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Kinder und Jugendliche in der Pandemie zu selten gehört wurden. Es ist auch kein Zufall, dass ihr Wohlbefinden bei der Entwicklung der Maßnahmen zu selten berücksichtigt wurde. Und es ist kein Zufall, dass das Wohl der Kinder und Jugendlichen – unserer Zukunft – bei der Pandemie nicht im Mittelpunkt stand. Denn die Politik achtet bei der Entwicklung von Maßnahmen und Gesetzen immer noch zu selten auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen. Das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ist noch immer nicht der Maßstab für eine gute, nachhaltige Politik.
Unsere Forderungen bleiben aktuell
Für UNICEF Deutschland bedeutet das, dass auch nach dem Ende der Corona-Maßnahmen unsere Forderungen aktuell bleiben. Dazu zählen:
- Kinder und Jugendliche, die besonders durch die Pandemie und ihre Folgen beeinträchtigt wurden, müssen gezielt unterstützt werden. Handlungsoptionen hierzu enthält beispielsweise der neue Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“.
- Kinder sollten als Expert*innen für ihre eigene Situation eingebunden werden. Die UN-Kinderrechtskonvention garantiert Kindern und Jugendlichen das Recht, gehört und beteiligt zu werden. Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche betreffen, können zumeist nur dann erfolgreich sein, wenn sie partizipativ entwickelt werden.
Kinderrechte müssen im Grundgesetz verankert werden. Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass gerade in Krisenzeiten die Rechte der Kinder und Jugendlichen zu selten berücksichtigt werden und sie besonders stark in ihren Rechten eingeschränkt werden. Damit sich eine Situation wie während der Covid-19 Pandemie nicht wiederholt, müssen die Interessen von Kindern künftig bei Gesetzgebungsverfahren strukturell berücksichtigt werden.