Gut zu wissen

87 Millionen kleine Kinder kennen nichts als Krieg


von Rudi Tarneden

Heute haben einige Medien über eine aktuelle UNICEF-Meldung berichtet: 87 Millionen kleine Kinder weltweit kennen nichts als Krieg.

Was steckt dahinter? Was bedeutet das konkret für die Kinder und wie kann man ihnen helfen? Wir haben die wichtigsten Punkte zu dem Thema aufgelistet.

Die Geschwister Esra und Waleed aus Syrien kennen nur ein Leben inmitten von Krieg, Unsicherheit und Angst.

Kinder wie die vierjährige Esra (links) und ihr dreijähriger Bruder Waleed aus Syrien kennen nur ein Leben inmitten von Krieg, Unsicherheit und Angst.

© UNICEF/UN013172/Al-Issa

1. Fast 87 Millionen kleine Kinder kennen nichts als Krieg. Was bedeutet dies für diese Kinder?

Angesichts der dramatischen Bilder, die wir täglich aus Kriegsländern sehen, übersehen wir leicht, dass dort nicht einfach alle Menschen fliehen. Im Gegenteil, die meisten hoffen auf ein Ende der Gewalt oder sie haben keine Möglichkeit, ihre Heimat zu verlassen. Die ältere Generation in Deutschland, die sich noch an den zweiten Weltkrieg erinnert, kennt die Erfahrung, wie das gesamte Leben über Jahre aus Unsicherheit und Angst, Hunger und Entbehrungen besteht, wie Kinder sich selbst überlassen ohne Bildung und Stabilität aufwachsen. Wenn man nur die Kinder im Alter bis sechs Jahren nimmt, die der UN-Sicherheitsrat regelmäßig auf seiner Agenda hat, kommt man auf rund 87 Millionen Mädchen und Jungen, die in der entscheidendsten Lebensphase schweren Belastungen ausgesetzt sind – mit gravierenden Folgen für die Kinder und ihre Gesellschaft.

2. Die traumatischen Erfahrungen haben Folgen für die Entwicklung des kindlichen Gehirns. Was passiert dort?

Jedes Kind ist nur einmal Kind. Die neuere Hirnforschung hat gezeigt, dass in den ersten Jahren die Grundlagen dafür gelegt werden, ob ein Kind seine Fähigkeiten entwickeln und lernen kann, sein Leben in die Hand zu nehmen. In den ersten sieben Jahren kann das kindliche Gehirn pro Sekunde 1.000 Hirnzellen aktivieren. Jedes dieser so genannten Neuronen kann sich sofort mit 10.000 anderen Neuronen verknüpfen. Diese Verknüpfungen bilden die Basis für die Fähigkeit des Kindes zu lernen, beeinflussen seine Gesundheit und seine emotionale Stabilität. Traumatische Erfahrungen bedeuten die Gefahr, dass Kinder ihr Leben lang unter „toxischem Stress“ leiden, der verhindert, dass sich im Gehirn Neuronen verknüpfen. Ein Kind kommt mit rund 253 Millionen funktionierenden Neuronen zur Welt. Ob es sein Potenzial von etwa einer Milliarde verknüpfungsfähiger Neuronen erreicht, hängt von den Erfahrungen der ersten Lebensjahre ab.

Chiengjiuk aus Südsudan hat sein bisheriges Leben in einem Schutzlager der Vereinten Nationen verbracht.

Südsudan im Mai 2015: Das Baby Chiengjiuk hat die gesamten neun Monate seines bisherigen Lebens in einem Schutzlager der Vereinten Nationen verbracht.

© UNICEF/UNI195911/Rich

3. Wo ist die Situation für die Kinder besonders schwierig?

Ganze Generationen von Kindern zum Beispiel in Syrien, Irak oder Zentralafrika und Südsudan wachsen unter Bedingungen auf, die man als schwer belastend beschreiben muss. Wer diese Länder besucht, begegnet Kindern, die oft äußerlich ganz normal wirken, tapfer sind, die spielen wollen und zur Schule gehen. Doch hinter dieser Tapferkeit und der erstaunlichen Widerstandsfähigkeit von Kindern liegen die emotionalen Wunden, der Verlust von Zuversicht und Vertrauen. Gesellschaftliche Verrohung kann auch Gewaltbereitschaft bei Heranwachsenden nach sich ziehen. Es entsteht also ein Teufelskreis: Je länger ein Konflikt dauert, desto mehr und desto länger werden Kinder in ihrer gesamten Entwicklung beeinträchtigt. Dabei sind sie es doch, die die Zukunft ihrer Länder einmal gestalten müssen.

4. Was kann man tun, um die Kinder im Krieg zu stabilisieren?

Die Erfahrung von UNICEF ist, dass es trotz schwierigster Bedingungen möglich ist, Räume relativer Sicherheit und Normalität zu schaffen. So organisiert UNICEF mit seinen Partnern so genannte kinderfreundliche Orte, wo Kinder spielen können und psychosoziale Unterstützung bekommen. Zudem berät UNICEF Familien mit kleinen Kindern. Im letzten Jahr hat UNICEF für 800.000 kleine Kinder in Kriegsgebieten so genannte „Spiele-Kisten“ mit Spiel- und Lernmaterial bereit gestellt.

Auch Notschulen und Jugendclubs für die etwas älteren Kinder werden eingerichtet. Mit Unterstützung des deutschen Entwicklungshilfeministeriums gibt es solche Programme für hunderttausende Kinder zum Beispiel in Syrien und seinen Nachbarländern. Weltweit sollen ein Viertel aller Nothilfeausgaben für Kinder im Krieg in Bildung und psychosoziale Hilfe fließen.

Hierfür brauchen wir jede Unterstützung!

Rudi Tarneden
Autor*in Rudi Tarneden