Pressemitteilung

Hohe Wirtschaftskraft garantiert keine Bildungsgerechtigkeit

Florenz/New York/Köln

Ein unfairer Start ins Leben: Neue UNICEF-Studie zeigt ungleiche Bildungschancen von Kindern in Industrieländern

Kinder, die in reichen Ländern leben, haben nicht automatisch gleiche Chancen auf eine hochwertige Bildung. Kinder in ärmeren Ländern erzielen sogar häufig ein höheres Leistungsniveau, obwohl sie weniger Mittel hierfür aufwenden. Dies ist das Ergebnis der neuen UNICEF-Studie zu Bildungschancen von Kindern in den Industrieländern.

Die Studie „Ein unfairer Start ins Leben“ des UNICEF-Forschungszentrums Innocenti erstellt eine Rangliste aus 41 Industrieländern zu Bildungsungleichheiten in der frühkindlichen Förderung, in der Grundschule und in der Sekundarstufe. Im Mittelpunkt steht die Frage, in welchem Maße in den jeweiligen Ländern Faktoren wie der Berufsstand der Eltern, der Migrationshintergrund, das Geschlecht sowie die unterschiedlichen Schulformen diese Ungleichheiten beeinflussen.

Lettland steht an der Spitze der Tabelle mit der geringsten Bildungsungleichheit zwischen Kindern. Bulgarien und Malta stehen am Ende, Deutschland gehört mit Platz 23 zum unteren Mittelfeld.

„Der internationale Vergleich zeigt, dass Länder Kindern sowohl ein hohes Bildungsniveau als auch mehr Chancengerechtigkeit ermöglichen können,“ erklärte Dr. Priscilla Idele, Leiterin des UNICEF-Forschungszentrums Innocenti. „Aber alle Industrieländer können und müssen benachteiligte Kinder besser fördern, denn diese bleiben am Häufigsten zurück.“

Zentrale Ergebnisse der Studie

Die Studie zeigt, dass sozial bedingte Leistungsunterschiede zwischen Kindern während der gesamten Bildungsphase unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. So liegen zum Beispiel Irland und Slowenien beim Zugang zu vorschulischer Förderung im unteren Drittel des Ländervergleichs. In der Sekundarstufe gehören sie jedoch zu den Ländern mit der geringsten Bildungskluft zwischen den Kindern aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. In den Niederlanden besteht die größte Chancengleichheit für Grundschulkinder; allerdings belegt das Land nur noch Platz 26 beim internationalen Vergleich der Lesekenntnisse von 15-Jährigen. Am Ende der Pflichtschulzeit weisen Irland, Spanien und Lettland die geringsten Ungleichheiten auf.

Der familiäre Hintergrund ist in allen Ländern ein entscheidender Faktor für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen. In 16 der 29 untersuchten europäischen Länder gehen zum Beispiel Kinder aus den ärmsten Familien seltener in Kindertageseinrichtungen als Kinder aus den wohlhabendsten Familien. Selbst bei gleichem Leistungsniveau können sich 15-Jährige, deren Eltern ein höheres Bildungsniveau haben, eher vorstellen auf eine weiterführende Schule zu gehen als Jugendliche aus Familien mit geringerem Bildungsstand. In Deutschland beispielsweise kann sich bei gleichem Leistungsniveau jeder vierte Jugendliche aus bildungsnahen Familien vorstellen, eine weiterführende Schule zu besuchen, verglichen mit knapp jedem siebten Jugendlichen aus einem bildungsferneren Elternhaus.

In 21 von 25 Ländern mit hohen Migrationsraten erzielen 15-jährige Schüler und Schülerinnen der ersten Generation zugewanderter Familien schwächere Leistungen in der Schule als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. In 15 Ländern bestehen diese Leistungsunterschiede auch zwischen zugewanderten Kindern der zweiten Generation und Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund fort. In Australien und Kanada schneiden zugewanderte Kinder der zweiten Generation hingegen besser ab als Kinder ohne Migrationshintergrund.

Mädchen schneiden in den untersuchten Industrieländern in der Lesekompetenz insgesamt besser ab als Jungen. Die Kluft wächst sogar, je älter die Kinder werden. Die Ergebnisse variieren auch stark zwischen den verschiedenen Ländern. In Irland schneiden 15-jährige Mädchen zwei Prozent besser ab als Jungen, in Bulgarien sind es sogar über 11 Prozent.

Ein Mädchen liest im Unterricht vor.

Bildungsgerechtigkeit ist laut UNICEF der Schlüssel für einen fairen Start ins Leben.

© UNICEF/UN071960

Empfehlungen für die Politik

Bildungsgerechtigkeit ist laut UNICEF der Schlüssel für einen fairen Start ins Leben. Doch viele Kinder sind bereits zu Beginn ihrer Schullaufbahn benachteiligt - zum Beispiel aufgrund ihrer Herkunft oder der sozialen und wirtschaftlichen Situation ihrer Familien. Schulen und Bildungspolitik müssen ihnen gerechte Chancen eröffnen und dafür sorgen, dass diese Mädchen und Jungen nicht zurückbleiben.

Die UNICEF-Studie nennt Grundprinzipien für mehr Bildungsgerechtigkeit, an denen sich die Politik orientieren sollte. Dazu gilt es,

  • frühkindliche Förderung für jedes Kind zu gewährleisten.
  • Ein Mindestmaß an Kernkompetenzen für jedes Kind sicherzustellen.
  • Soziale und ökonomische Ungleichheiten zu reduzieren.
  • Geschlechterunterschiede bei der Bildung zu verringern.
  • Bessere Daten zu erheben, die länderübergreifend und vergleichbar sind.
  • Den Fokus auf Chancengleichheit zu setzen.

Weitere wichtige Ergebnisse der UNICEF-Studie


Litauen, Island und Frankreich liegen bei der frühkindlichen Förderung im internationalen Vergleich vorne. Die Türkei, die Vereinigten Staaten und Rumänien stehen am Ende der Rangliste. Deutschland liegt hier im internationalen Vergleich im Mittelfeld.
In den Niederlanden, Lettland und Finnland besteht die größte Chancengleichheit für Grundschulkinder; Malta, Israel und Neuseeland gehören hingegen zu den Ländern mit der größten Bildungskluft zwischen den Kindern in dieser Altersgruppe. Deutschland liegt im unteren Drittel der internationalen Rangliste.
Lettland, Irland und Spanien gehören zu den Ländern mit der geringsten Bildungskluft zwischen 15-Jährigen. In Malta, Bulgarien und Israel besteht die größte Chancenungleichheit zwischen den Kindern. Deutschland liegt im internationalen Mittelfeld. Etwa 16 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland erreichen im Alter von 15 Jahren nicht das Grundkompetenzniveau im Lesen (Level 2), das als Vorrausetzung angesehen wird, damit sie effektiv und produktiv am Leben der Gesellschaft teilhaben können.

Quellen der Studie

Für die Studie wurden vergleichbare Daten zu Schlüsselindikatoren für die kindliche Entwicklung aus 41 Ländern der Europäischen Union (EU) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausgewertet.

Für das Kindergartenalter wurden Ungleichheiten beim Zugang der Mädchen und Jungen zu frühkindlicher Förderung untersucht.

Für das Grundschulalter und das Sekundarschulalter wurden Ungleichheiten bei der Lesekompetenz im Alter von 10 beziehungsweise 15 Jahren dokumentiert. Der Indikator für Ungleichheit ist dort der Leistungsabstand zwischen den zehn Prozent der besten und den zehn Prozent der schlechtesten Schülerinnen und Schüler. Gerade die Lesekompetenz am Ende der Pflichtschulzeit ist ein Schlüsselfaktor, denn sie spielt eine entscheidende Rolle für den zukünftigen Lebensweg.

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