Statement

Statement des stellv. UNICEF-Exekutivdirektors Ted Chaiban anlässlich seines Besuchs in Israel, dem Gazastreifen und dem Westjordanland beim gestrigen UN Noon-Briefing

New York/Amman/Köln

„Wir alle sind besorgt über die Situation im Libanon und in Israel. Der UN-Generalsekretär hat alle Beteiligten aufgefordert, größtmögliche Zurückhaltung zu üben, um eine weitere Eskalation zu verhindern – jede weitere Eskalation hätte schreckliche Folgen für Kinder. Der 7. Oktober 2023 war ein grausamer Tag. Seitdem war jeder Tag für die Kinder in dieser vierten großen Eskalationsphase innerhalb von zehn Jahren, die das Ergebnis eines ungelösten Konflikts und einer Geschichte der Besetzung ist, ebenfalls schrecklich.

Ted Chaiban in Gaza
© UNICEF/UNI646536/El Baba


Anfang dieser Woche, als ich mit Kindern und Familien in Israel sprach, die am 7. Oktober schrecklichen Horror erlebten, baten sie mich, die Stimme aller Kinder zu sein und ihr Leid weiterzutragen. UNICEF wird mit den zuständigen Ministerien zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass Kinder in Israel unterstützt werden.

In meinen Gesprächen mit den israelischen Behörden habe ich mich dafür eingesetzt, den Zugang für humanitäre und kommerzielle Lieferungen, insbesondere für frische Lebensmittel und Zusatznahrung sowie den Schutz von Kindern, Sicherheitsmaßnahmen und standardisierte Arbeitsprozesse für humanitäre Helfer*innen zu verbessern und die Bewegungsmöglichkeiten für unbegleitete und von ihren Familien getrennten Kinder zu erleichtern.

Bei meinem Treffen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde habe ich dazu aufgerufen, vorrangig in soziale Dienste und insbesondere in Bildung zu investieren, damit Kinder zur Schule gehen können. Es droht eine verlorene Generation, da Kinder monatelang nicht lernen konnten, nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland.

Im Gazastreifen gehen die verheerenden Angriffe auf Schulen, Krankenhäuser und Orte weiter, an denen Vertriebene Zuflucht suchen. Laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium wurden mehr als 14.000 Kinder getötet, und die ohnehin schon überlasteten Krankenhäuser brechen unter der Belastung zusammen.

Ich habe das Kamal Adwan Krankenhaus im Norden des Gazastreifens besucht. Dort befindet sich die einzig verbliebene Pädiatrie in diesem Gebiet. Ich besuchte die pädiatrische Intensivstation und begegnete Sham, einem erst ein paar Monate alten Baby, das schwer von Granatsplittern getroffen worden war. Ihre Mutter war die einzige Überlebende des Angriffs. Die Geschichte von Sham erinnert an die Tausenden von Kindern, die in den vergangenen elf Monaten im Gazastreifen getötet und verletzt wurden.

Ich traf auch die sieben Monate alte Farah, die an schwerer akuter Mangelernährung und Atemwegsinfektionen leidet, sowie viele Kinder, die an Leukämie und anderen Krebserkrankungen erkrankt sind und medizinisch evakuiert werden müssen. Wenn wir sie nicht schnell evakuieren, werden sie nicht überleben. Wir werden gemeinsam mit unseren WHO-Kolleg*innen alles tun, damit diese Kinder zur Behandlung ins Ausland gebracht werden können.

Seit meinem letzten Besuch im Januar hat das Ausmaß der Zerstörung und des Leids der Kinder in Gaza erheblich zugenommen. Die Gesamtzahl der vertriebenen Menschen hat sich von 1,7 auf 1,9 Millionen Menschen erhöht. Auch in sogenannten sicheren Zonen, in die die Menschen sich begeben mussten, gab es Evakuierungsaufrufe und Bombardierungen. Dies zeigt, dass es im Gazastreifen tatsächlich nirgendwo sicher ist.

Seit meinem letzten Besuch haben sich Tonnen von Müll angesammelt. Ich sprach mit Kindern, die in riesigen Abfallhaufen wühlten. Sie erzählten mir, dass sie nach Papierschnipseln oder Kartons suchten, um Feuer zu machen, damit sie mit ihren Familien Essen kochen konnten. Ich besuchte die Geraar Al Qudua-Schule, die zu einer Notunterkunft umfunktioniert wurde. Mitten auf dem Schulhof haben die Menschen behelfsmäßig einen offenen Kanal gegraben, um Abwässer abzuleiten. Direkt dort leben Menschen und Kinder. Bei den derzeitigen Temperaturen sind dies schreckliche Voraussetzungen für Krankheitsausbrüche.

Im südlichen und zentralen Gazastreifen gibt es zwar Lebensmittel auf den Märkten, jedoch sind die Preise exorbitant hoch. Im Norden des Gazastreifens ist das Angebot an Lebensmitteln einseitig, es gibt es zu wenig Obst und zu viele Konserven.

Als ich im Januar das letzte Mal in Gaza war, fuhren im Durchschnitt 99 oder 100 Lkw mit humanitären Hilfsgütern pro Tag ein. Im August waren es aufgrund der Herausforderungen im Hinblick auf die öffentliche Ordnung, Einschränkungen an der sogenannten „Fence Road“ und der zu wenigen offenen Grenzübergänge im Durchschnitt 50 humanitäre Lkw pro Tag, im September nur noch 15.

Viele unserer Hilfsgüter (im Wert von 12 Mio. US-Dollar) warten in Jordanien auf die Weiterfahrt. Die israelischen Behörden haben die Einreise genehmigt, aber wir haben große Bedenken angesichts fehlender öffentlicher Ordnung und der Gefahr von Plünderungen.

Der Handelsverkehr ist für das Wohlergehen der Kinder und ihrer Familien im Gazastreifen besonders wichtig. Im Süden des Gazastreifens gibt es Obst und Gemüse und eine größere Vielfalt an Lebensmitteln, insbesondere dank des Handelsverkehrs. Der Privatsektor sollte Seife, Shampoo und andere Hygieneartikel liefern können und die Erlaubnis erhalten, auch in den Norden des Gazastreifens zu liefern. Rund 400.000 Menschen leben noch dort.

Mein Besuch im Norden des Gazastreifens war sehr aufschlussreich. Nicht nur, um mit eigenen Augen das Ausmaß der Zerstörung und des Leids zu sehen, sondern auch, um zu erleben, welche Prozesse unser Team durchlaufen muss, wenn es in den Norden fährt. Wir verließen unser Gästehaus um 10 Uhr. Um 10.30 Uhr erreichten wir den ersten Abschnitt des Kontrollpunkts. Dann dauerte es fünf Stunden, bis wir den Kontrollpunkt passiert hatten. So blieben uns nur wenige Stunden, um unsere Arbeit vor Ort zu erledigen.

Doch trotz aller Herausforderungen können Dinge erreicht werden. Die erste Runde der Polio-Impfkampagne, die gerade zu Ende gegangen ist und in deren Rahmen mehr als 560.000 Kinder unter zehn Jahren geimpft wurden, hat der Welt gezeigt, dass es möglich ist, Kindern im Gazastreifen, auch im Norden, lebenswichtige Hilfe zukommen zu lassen, wenn alle an einem Strang ziehen. Die palästinensischen Mütter sind die Heldinnen dieser Geschichte: Sie stehen an, um ihre Kinder impfen zu lassen, trotz der elf schrecklichen Monate. Wir benötigen stärkere Garantien dafür, dass dies regelmäßig geschehen kann, um die dringenden Bedarfe der Kinder zu decken und sie beispielsweise gegen Masern zu impfen oder mit Seife und anderen Hygieneartikeln zu versorgen. Die Art und Weise, wie die Koordinierungs- und „Deconfliction“-Mechanismen derzeit funktionieren, ermöglicht es uns nicht, unsere Programme effizient umzusetzen. Sie muss gestärkt werden.

Die Situation im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, gleicht einem Pulverfass und hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Mehrere Militäroperationen haben Städte schwer in Mitleidenschaft gezogen und zahlreiche Häuser beschädigt oder zerstört. Die zunehmende Gewalt und die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit seit Oktober 2023 haben neue Lernbarrieren geschaffen. Seit dem 7. Oktober wurden 166 palästinensische Kinder und zwei israelische Kinder getötet. Die Kinder haben Angst zu Hause und auf dem Schulweg.

Das ist unhaltbar, und es braucht Deeskalation und Zurückhaltung.

Was brauchen wir jetzt angesichts von all dem?

Wir brauchen einen Waffenstillstand, wie wir immer wieder gefordert haben, um das Töten und Verstümmeln von Kindern zu beenden und dringend benötigte lebensrettende Hilfe zu liefern sowie die bedingungslose Freilassung aller Geiseln zu ermöglichen, insbesondere der beiden Kinder der Familie Bibas.

Solange es keinen Waffenstillstand gibt, brauchen wir die Art von Pausen, die den Erfolg der Polio-Kampagne ermöglichten. Wir brauchen mehr Sicherheit für unsere Teams und unsere Arbeit. Um dies zu erreichen, benötigen wir einen direkteren Kontakt mit dem South Command des israelischen Militärs, wir benötigen standardisierte Verfahren an den Kontrollpunkten und wir müssen in der Lage sein, mehr Ausrüstung für die Telekommunikation nach Gaza zu bringen, einschließlich Ausrüstung für einen besseren Internetzugang.

Im Hinblick auf Mangelernährung bin ich sehr besorgt darüber, dass weniger Lkw mit humanitären Hilfsgütern nach Gaza gelangen. Vor nicht allzu langer Zeit stand der Gazastreifen am Rande einer Hungersnot, und die Situation könnte sich sehr schnell wieder verschlechtern. Wir benötigen mehr Zugänge zum Gazastreifen, und es sollten jegliche Maßnahmen ergriffen werden, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen und die Sicherheit zu verbessern, damit wir Kinder mit der lebensrettenden Hilfe erreichen können, die sie brauchen.

In Anbetracht der schrecklichen Hygiene- und Sanitärbedingungen müssen Seife und Shampoo in großem Umfang geliefert werden, insbesondere durch kommerzielle Lkw.

Schließlich müssen mehr Kinder mit ihren Betreuenden evakuiert werden, deren Leben nur durch eine medizinische Behandlung im Ausland gerettet werden kann. Und wir brauchen mehr medizinisches Material und medizinisches Verbrauchsmaterial wie Antibiotika für Hautkrankheiten, Ausrüstung für Neugeborenenstationen, Spritzen und Verbandsmaterial für Operationssäle und mehr.

Die anhaltende Zerstörung des Gazastreifens und die eskalierende Gewalt im Westjordanland werden der Region weder Frieden noch Sicherheit bringen. Dies kann nur durch das Verhandeln einer politischen Lösung erreicht werden, bei der die Rechte und das Wohlergehen dieser und künftiger Generationen israelischer und palästinensischer Kinder im Vordergrund stehen.“

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Christine Kahmann

Christine KahmannSprecherin - Nothilfe

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