UNICEF: Elf Kinder sterben jede Woche bei dem Versuch, das zentrale Mittelmeer zu überqueren
2023 kamen bislang schätzungsweise 11.600 Kinder über die gefährliche Route an den Küsten Italiens an. Die Mehrheit von ihnen war unbegleitet unterwegs oder von den Eltern getrennt.
Laut UNICEF sind in diesem Jahr mindestens 289 Kinder und Jugendliche bei dem Versuch, das zentrale Mittelmeer von Nordafrika nach Europa zu überqueren, gestorben oder werden vermisst. Das bedeutet, dass jede Woche fast elf Kinder auf der Suche nach Sicherheit, Frieden und besseren Chancen sterben oder verschwinden.
UNICEF schätzt, dass seit 2018 etwa 1.500 Kinder auf der zentralen Mittelmeerroute gestorben sind oder als vermisst gelten. Das entspricht jedem Fünften der insgesamt 8.274 Menschen, die auf dieser Route ums Leben kamen oder vermisst werden. Dies geht aus Erhebungen des Projekts „Missing Migrants“ der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hervor.
Bei vielen Schiffsunglücken, die sich bei der Überquerung des zentralen Mittelmeers ereignen, gibt es keine Überlebende oder sie werden nicht erfasst. Die tatsächliche Zahl der ums Leben gekommenen Kinder ist daher kaum zu ermitteln und wahrscheinlich noch deutlich höher. Auch in den vergangenen Monaten starben erneut Babys und Kinder auf der zentralen Mittelmeerroute, aber auch auf den anderen Routen über das Mittelmeer sowie auf der Route von Westafrika über den Atlantik – so auch bei den jüngsten Tragödien vor den Küsten Griechenlands und den Kanarischen Inseln.
„Auf der Suche nach Sicherheit, einem Wiedersehen mit ihren Familien und einer hoffnungsvolleren Zukunft steigen zu viele Kinder an den Küsten des Mittelmeers in Boote, nur um dann ihr Leben zu verlieren oder zu verschwinden“, sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. „Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass mehr getan werden muss, um sichere und reguläre Wege der Flucht und Migration für Kinder zu schaffen und gleichzeitig die Bemühungen zur Rettung von Menschenleben auf See zu verstärken. Letztlich braucht es größere Anstrengungen, um den Ursachen entgegenzuwirken, die dazu führen, dass Kinder ihr Leben riskieren.“
UNICEF schätzt, dass seit Beginn des Jahres 11.600 Kinder – durchschnittlich 428 Kinder pro Woche – aus Nordafrika an den italienischen Küsten ankamen. Trotz der damit verbundenen erheblichen Risiken für Kinder entspricht dies einer Verdopplung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die meisten Kinder machen sich von Libyen und Tunesien auf den Weg, nachdem sie bereits gefährliche Reisen aus Ländern in ganz Afrika und des Nahen Ostens hinter sich haben.
Im ersten Quartal 2023 wurden 3.300 Kinder als unbegleitet oder von ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten getrennt registriert. Das entspricht 71 Prozent aller Kinder, die auf diesem Weg nach Europa kommen. Kinder, die allein unterwegs sind, sind einem größeren Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch zu werden. Insbesondere für Mädchen ist die Wahrscheinlichkeit größer vor, während oder nach der Flucht Gewalt zu erfahren.
Das zentrale Mittelmeer ist zu einer der gefährlichsten Routen für Kinder geworden. Neben dem Risiko auf See zu sterben, sind die Kinder weiteren gravierenden Gefahren ausgesetzt. Dazu gehören auch die Androhung oder Erfahrung von Gewalt, fehlende Bildungs- oder Zukunftschancen, Razzien und Inhaftierung oder die Trennung von der Familie. Diese Risiken werden verschärft durch begrenzte sichere und reguläre Wege der Flucht und Migration für Kinder, den mangelnden Zugang zu Schutz in den Transitländern sowie durch unzureichende und langsame Such- und Rettungseinsätze.
Im Einklang mit den Verpflichtungen aus dem Völkerrecht und der UN-Kinderrechtskonvention fordert UNICEF Regierungen dazu auf, Kinder auf See sowie in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern besser zu schützen, indem sie:
- die Rechte und das Wohl von Kindern im Einklang mit den Verpflichtungen aus nationalem und internationalem Recht schützen;
- sichere und reguläre Wege der Flucht und Migration für Kinder schaffen, einschließlich der Ausweitung der Familienzusammenführung und der Resettlement-Quoten;
- die Koordinierung von Such- und Rettungseinsätzen verstärken sowie eine zeitnahe Ausschiffung an sicheren Orten sicherstellen;
- nationale Kinderschutzsysteme stärken, um Kinder, die dem Risiko von Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt sind, insbesondere unbegleitete Kinder, besser zu unterstützen und zu schützen;
- die Perspektiven für Kinder und Jugendliche in den Herkunfts- und Transitländern verbessern, indem Konflikte und Klimarisiken bewältigt werden und der Zugang zu sozialer Absicherung sowie Lern- und Verdienstmöglichkeiten ausgebaut wird;
- sicherstellen, dass Kinder Zugang zu Informationen haben, um sichere und bewusste Entscheidungen zu den Möglichkeiten und Gefahren, die mit einer Überquerung des Mittelmeers verbunden sind, treffen zu können und
- dafür sorgen, das alle geflüchteten und migrierten Kinder Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen wichtigen Angeboten haben.
UNICEF fordert die Europäische Union außerdem dazu auf, sicherzustellen, dass sich diese Punkte im Migrations- und Asyl-Pakt der EU widerspiegeln, der derzeit verhandelt wird.
UNICEF unterstützt Länder dabei, nationale Systeme zum Kinderschutz, zu sozialer Sicherheit sowie zu Flucht und Migration zu stärken, um so Risiken für geflüchtete und migrierte Kinder vorzubeugen und zu mindern sowie dafür zu sorgen, dass alle Kinder Unterstützung erhalten, unabhängig von ihrem rechtlichen Status oder dem ihrer Eltern.
Service für Redaktionen
- Für diese Pressemitteilung wurden von UNICEF Daten über Ankünfte in Italien aus dem Operational Data Portal von UNHCR (Stand: 9. Juli 2023) sowie zu vermissten migrierten Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute aus dem Projekt Missing Migrants von IOM (Stand: 3. Juli 2023, abgerufen am 10. Juli 2023) ausgewertet.
- Laut UNHCR kamen zwischen 1. Januar und 9. Juli 2023 90.605 geflüchtete und migrierte Menschen über das Mittelmeer nach Europa.
- Die meisten Menschen (69.599 oder 77 Prozent) nahmen dabei die zentrale Mittelmeerroute, darunter rund 11.600 Kinder (16,7 Prozent).
- Die zentrale Mittelmeerroute – die Überfahrt von Nordafrika nach Italien – ist eine der aktivsten und gefährlichsten Fluchtrouten.
- Die Zahl der vermissten Kinder wird auf der Grundlage der Gesamtzahl der vermissten migrierten Menschen und der Bevölkerungsstruktur der ankommenden Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute geschätzt.
- UNICEF hat den Vorsitz des Sekretariats der International Data Alliance for Children on the Move (IDAC) inne und leitet weltweit die Bemühungen, die zur Verfügung stehenden Daten sowie die Qualität von Daten zu verbessern, um Kinder auf der Flucht besser zu schützen. Weitere Informationen stehen hier zur Verfügung.
Referentin Politik/AdvocacyReferentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit