Pandemie in Malawi: "Covid hat alles verschlimmert"
Welche Folgen hat die Pandemie für Familien in einem der ärmsten Länder? UNICEF-Mitarbeiterin Claudia Berger hat sich in Malawi ein Bild von der dortigen Lage gemacht. Hier erzählt sie von ihren Begegnungen vor Ort und erklärt, wie sich Armut und Hunger in der Krise verschärfen.
Abstand halten, Hände waschen, Maske tragen – so hat es Chimsinsi in der Schule gelernt. Der heute 15-Jährige erinnert sich noch genau, wie plötzlich der Schutz vorm Virus auf dem Stundenplan stand. Das war zu Beginn der Pandemie, Frühjahr 2020. Wenig später schlossen weltweit die Schulen, auch in Malawi fiel der Unterricht aus.
Ich treffe Chimsinsi mit seiner Mutter in Salima im Zentrum Malawis, anderthalb Stunden Fahrtzeit von der Hauptstadt Lilongwe entfernt. Sie sitzen vor ihrem Haus, einer einfachen Lehmhütte. Zum Schutz vor der Regenzeit ist das strohgedeckte Dach mit Plastiktüten verstärkt.
Sieben Monate blieb die Schule geschlossen, erzählt Chimsinsi. "Ich war sehr besorgt und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen soll." Zwar wurde Unterricht über das Radio angeboten, aber ein Radio konnte sich die bitterarme Familie nicht leisten. Bereits vor der Pandemie versuchten sie, Tag für Tag über die Runden zu kommen. Die Krise macht es ihnen nun umso schwerer.
Chimsinsis Vater hat die Familie vor Jahren verlassen. Seine Mutter kauft auf dem lokalen Markt Gemüse, das sie im nächst größeren Ort weiterverkauft. Für den Transport muss sie zunächst ein Moped anmieten, dann in einen Kleinbus umsteigen. Da der Bus zurzeit nur halb besetzt werden darf, hat sich der Fahrpreis erhöht. Das ohnehin knappe Auskommen wird noch weiter geschmälert. "Covid hat alles verschlimmert", klagt sie leise.
Die Krise hat in Malawi viele Folgen
Wie Chimsinsi und seiner Mutter geht es vielen Familien. Die Pandemie trifft die Ärmsten der Armen besonders hart. In Malawi leben die meisten Menschen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag – also von der Hand in den Mund.
Auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen liegt das Land auf Platz 172 von 183. Dürren sowie unberechenbare Regenzeiten setzen die Bevölkerung zunehmend unter Druck. HIV/Aids ist noch immer weit verbreitet. Die Corona-Pandemie verschärft die Not zusätzlich.
Kinderarbeit und Kinderehen hätten zugenommen. Mehr und mehr Mädchen und Jungen seien von Mangelernährung betroffen, sagt Rudolf Schwenk, Leiter des UNICEF-Büros in Malawi. Durch die langen Schulschließungen hat sich die Ernährung zusätzlich verschlechtert, denn viele Kinder sind auf das Schulessen angewiesen. Es sind unmittelbare Auswirkungen der Krise, die Rudolf Schwenk aufzählt. "Die Spätfolgen werden sich erst noch zeigen", sagt er.
Schwenk und sein Team haben in der Pandemie schnell reagiert und etwa Angebote fürs Homeschooling eingerichtet, Informationen zum Infektionsschutz verbreitet und das Gesundheitssystem unterstützt. Seit dem Frühjahr 2021 hilft UNICEF auch dabei, die Corona-Impfkampagne zu organisieren. Zugleich arbeitet das Team daran, die Grundversorgung von Mädchen und Jungen aufrechtzuerhalten – unter Pandemiebedingungen.
Besuch in einem von 734 Gesundheitszentren
In einem Gesundheitszentrum in der Kleinstadt Machinga erlebe ich, wie bei allen Besucher*innen am Eingang die Temperatur gemessen wird. Hände müssen desinfiziert werden, vorher kommt niemand rein. Es ist eines von 734 Zentren, die UNICEF mit therapeutischer Zusatznahrung – sogenanntem RUTF (ready-to-use therapeutic food) – für mangelernährte Kinder versorgt, mit nahrhafter Erdnusspaste etwa oder therapeutischer Milch. UNICEF stattet die Zentren außerdem mit Geräten zum Wiegen und Messen aus und schult das Personal.
Bei meinem Besuch treffe ich auf viele Mütter, die mit ihren Kindern zu Kontrolluntersuchungen in das Gesundheitszentrum gekommen sind. "Wir informieren die Frauen über die richtige Ernährung für ihre Kinder. Dies geschieht spielerisch über gemeinsam gesungene Lieder und anschauliche Informationen", erzählt Gesundheitshelfer Mofolo Salikuchepa. "Heute werden die sechs Essensgruppen vorgestellt, die für eine ausgewogene Ernährung wichtig sind."
Die Mütter singen: "RUTF ist nur für unsere Kinder da. Für niemand anderen. Nicht für den Vater, nicht für die Geschwister. Nur für das kranke Kind." Das ist wichtig, denn manchmal teilen die Mütter die Zusatznahrung mit den Geschwisterkindern, um allen etwas Gutes zu tun. Mit fatalen Folgen: denn dann erhält das mangelernährte Kind nicht die so dringend benötigten Vitamine und Mineralien.
"Die meisten Menschen kaufen Nahrung nur für den Tag"
UNICEF geht davon aus, dass dieses Jahr insgesamt 50.000 Kinder in Malawi auf die Unterstützung durch Zusatznahrung angewiesen sein werden. Die Pandemie habe die Lage verschlechtert, sagt auch UNICEF-Ernährungsspezialistin Elsie Mawala. "Die meisten Menschen in Malawi kaufen Nahrung nur für den Tag", erklärt sie. "Die Preise sind während der Pandemie gestiegen, das hat den Menschen das Überleben sehr schwer gemacht.“ Der Klimawandel tue ein Übriges. „Im letzten Jahr hörte der Regen früher auf als erwartet. Das hatte Auswirkungen auf die Maisernte. Mais ist das wichtigste Lebensmittel hier."
"Der Boden ist gerade sehr rutschig", sagt Mawala. Das ist ein malawischer Ausdruck dafür, wenn man in einer heiklen Situation steckt. "Die Leute bereiten ihre Felder auf die Regenzeit vor. Sie wird über die Zukunft des Landes entscheiden." Sorgenvoll blickt sie in den Himmel. Wenn es zu wenig regnet, werde alles noch viel schlimmer, sagt sie.
Oft sei es hart mit anzusehen, wie es mangelernährten Kindern geht, sagt die Ernährungsexpertin. "Ich hoffe, dass wir noch mehr Kinder erreichen können." Elsie Mawalas Einsatz und der ihrer Kolleg*innen geht deshalb unermüdlich weiter. "Wenn ich ein Kind sehe, das sich erholt, ist das sehr erfüllend für mich."
Kindheit in der Corona-Pandemie
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