Mädchen in Afghanistan: „Es ist unser Recht, in die Schule zu gehen!“
Ein Jahr nach dem Machtwechsel in Afghanistan hat sich die zuvor schon dramatische Situation der Kinder in Afghanistan weiter verschlechtert, insbesondere für Mädchen. Vielen von ihnen bleibt der Zugang zu Bildung verwehrt.
Zusammen in der Schule lernen, Freund*innen treffen, Hausaufgaben machen: Was in Ländern wie Deutschland für Jungen und Mädchen selbstverständlich ist, davon können viele Mädchen in Afghanistan nur träumen. Zwar besuchen jüngere Mädchen die Grundschule. Doch viele jugendliche Mädchen dürfen anders als gleichaltrige Jungen nicht am Unterricht der Sekundarstufe teilnehmen.
Im März hat die De-facto-Regierung erklärt, die weiterführenden Schulen für Mädchen nicht wieder zu öffnen. Ein schwerer Rückschlag für eine ganze Generation heranwachsender Mädchen: Denn dadurch bleibt ihnen nicht nur der Zugang zu höherer Bildung und damit zu wichtigen Zukunftschancen verwehrt, sondern dadurch steigt auch das Risiko, dass sie Opfer von Ausbeutung oder Missbrauch werden oder früh verheiratet. Rund 1,1 Millionen Mädchen in der Sekundarstufe sind von den Bildungseinschränkungen betroffen. Fest steht auch: Wenn Mädchen keine weiterführende Schule besuchen dürfen, wirkt sich das auf die ganze Gesellschaft aus. In den vergangenen zwölf Monaten verlor die afghanische Wirtschaft hierdurch mindestens 500 Millionen US-Dollar.
Mädchen aus Afghanistan erzählen uns ihre Geschichte
Was genau diese Entscheidung für Mädchen in Afghanistan bedeutet, können sie am besten selbst schildern. In unserem Blog berichten Meher, Maryam und Fatema aus Kabul, wie sich ihr Leben verändert hat und welche Sorgen sie um ihre Zukunft haben. Um die Mädchen zu schützen, nutzen wir Fotos, auf denen ihre Gesichter nicht zu erkennen sind.
Meher: „Das ist einfach nicht fair!“
Bevor die Schulen für Mädchen ab der siebten Klasse geschlossen blieben, gehörte die 16-jährige Meher zu den besten Schüler*innen ihres Jahrgangs. Für dieses Jahr hatte sie große Pläne: Sie wollte sich auf ihre Abschlussprüfungen vorbereiten und sich für ein Studium an der Universität qualifizieren. Doch nun kam alles anders. Während ihre Brüder in die Schule gehen, muss Meher zuhause bleiben: „Die Schulen waren schon einmal wegen Covid-19 geschlossen, aber das hat nicht so weh getan wie jetzt. Wir dürfen nicht in der Schule lernen, während Jungen in unserem Alter hingehen dürfen. Das ist nicht fair."
Während Meher nicht zur Schule gehen kann, verfolgt sie zuhause den Unterricht, der im Fernsehen übertragen wird. Chemie ist ihr Lieblingsfach, denn ihr großer Traum ist es, Ärztin zu werden. Trotzdem hofft sie, auch bald wieder offiziell Schülerin zu sein: „Ich wünsche mir, dass meine Schule wieder geöffnet wird, damit ich dort wieder hart lernen kann, um meine Ziele zu erreichen."
Mariya: „Es ist unser Recht in die Schule zu gehen und zu lernen“
Mariya geht eigentlich in die 10. Klasse. Nur noch drei Schuljahre liegen vor ihr bis zum Abschluss. Nachdem die Schule für sie seit März geschlossen blieb, hofft sie sehnlichst, dass sie bald wieder zurückkehren und weiterlernen kann. Sie vermisst den Unterricht und ihre Mitschülerinnen. So wie Mariya leiden Mädchen im ganzen Land unter der derzeitigen Situation, manche sind wahrlich verzweifelt. „Von einigen Freundinnen und Klassenkameradinnen habe ich gehört, dass sie an Depressionen leiden“, sagt Mariya besorgt.
Mariya findet es wichtig, dass sich alle, auch Jungen und Männer, für die gleichberechtigte Bildung von Mädchen einsetzen. „Ich bin frustriert, dass Unterschiede zwischen Frauen und Männern gemacht werden. Wir können die schmerzliche Situation nicht länger hinnehmen. Es ist unser Recht in die Schule zu gehen und zu lernen.“
Fatema: „Manchmal vergesse ich, dass die Schulen geschlossen sind.“
Tasche gepackt, Schuhe an und dann ab zur Schule! Das wünscht sich die 15-jährige Fatema so sehr, dass sie beinahe verdrängt, dass sie nicht am Unterricht teilnehmen kann. „Ich mache mich wie immer bereit, zur Schule zu gehen, und dann stelle ich fest, dass ich nicht mehr zur Schule gehen darf", erzählt sie traurig. Statt ihren eigenen Schultag vorzubereiten, hilft Fatema ihrer Mutter im Haushalt und ihrem Bruder dabei die Hausaufgaben zu erledigen. Das frustriert das 15-jährige Mädchen umso mehr: „Ich fühle mich schlecht, wenn ich meinem Bruder helfe, sich für die Schule fertigzumachen, aber selbst nicht hingehen kann.“
Fatema hat große Pläne für ihre Zukunft. Wie ihre Mutter möchte sie Wirtschaft studieren und eine erfolgreiche Geschäftsfrau werden. Dafür ist ihr die Schulbildung wichtig und eröffnet ihr Chancen. Doch die Schule ist für Fatema mehr als nur ein Ort zum Lernen: Hier trifft sie ihre Freundinnen, zu denen sie sonst keine Möglichkeit hat Kontakt zu halten.
UNICEF setzt sich für die Bildung aller Kinder in Afghanistan ein
Schon vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 konnten rund vier Millionen Kinder in Afghanistan die Schule nicht besuchen – drei von fünf der Kinder sind Mädchen. Fest steht: Wenn Kindern der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt – zum Beispiel, weil sie arbeiten müssen oder früh verheiratet werden – hat dies Auswirkungen auf ihren gesamten weiteren Lebensweg. Deshalb setzen wir von UNICEF uns mit aller Kraft dafür ein, dass alle Kinder zur Schule gehen dürfen.
In vielen Gemeinden in Afghanistan gibt es Bemühungen, die Schulen offen zu halten und das Lernen für Mädchen zu ermöglichen. Wir unterstützen diese Bemühungen, verteilen Lernmaterialien und richten gemeindenahe Schulen ein. Außerdem bildet UNICEF mehr als 1000 Lehrerinnen aus und setzt sich verstärkt dafür ein, dass sie weiter unterrichten dürfen. Gleichzeitig suchen wir nach alternativen Wegen, beispielsweise indem wir kleinere Bildungsinitiativen unterstützen oder den Unterricht über digitale Formate, das Radio oder das Fernsehen fördern.