Im Land der Unverwüstlichen
Zerstörte Schönheit
Tacloban hat einen Spitznamen: The Beauty City by the Bay – die schöne Stadt an der Bucht. Schon bei meiner Ankunft wird mir klar, dass von der Schönheit Taclobans nicht mehr viel übrig sein kann. Abgedeckte Dächer, zerstörte Gebäude, Berge von Schrott und Holz am Straßenrand – auf dem Weg vom Flughafen zum UNICEF-Büro begegnen mir die Spuren der Verwüstung.
Vielerorts sind aber auch schon wieder kleine provisorische Holz- und Blechhütten dort entstanden, wo vorher Häuser und Hütten standen. „Die Menschen verwenden die Überreste, um sich neue Unterkünfte zu bauen – schon wenige Wochen nach dem Taifun waren die Straßen wieder befahrbar“, erzählt Willibald Zeck von UNICEF. Er wird uns in den nächsten Tagen begleiten.
Unser erster Besuch führt uns zur Gesundheitsstation in Tanauan. Taifun Haiyan hat auch hier gewütet und Zerstörung hinterlassen. Einige Teile sind bereits repariert oder wiederaufgebaut. Die Entbindungsstation, die es am schlimmsten erwischt hat, ist jedoch nicht wieder einsatzbereit.
Heute ist Impftag. Das Wartezimmer platzt bereits aus allen Nähten. Viele Mütter sind mit ihren Babys gekommen. Die meisten Babys schlafen oder schauen sich neugierig das rege Treiben auf der Station an. Geschrei gibt es höchstens mal, wenn ein Baby von einer Impfnadel gepiekst wird.
„Als das Wasser kam, habe ich mein Baby eng am Körper getragen“
Ich unterhalte mich mit den Müttern darüber, wie sie den Taifun erlebt haben. Christina ist erst 17, ihr Sohn fünf Monate alt. Sie arbeitete während der Katastrophe mit ihrem Mann in einer Bäckerei. Ihr Baby hatte sie bei sich. Das war ihr großes Glück – denn ihr Haus wurde völlig zerstört. „Als das Wasser kam, habe ich mein Kind in Tücher gewickelt und ganz eng am Körper getragen“, erinnert sie sich. Jetzt bauen sie das Haus wieder auf. Aber Christina erzählt mir, dass sie Angst hat, dorthin zurück zu gehen.
Da sie noch sehr jung ist, möchte ich wissen, ob sie noch mehr Kinder haben möchte. Sie rümpft die Nase und verneint. Die Geburt wäre sehr schmerzhaft gewesen, sie hatte einen Kaiserschnitt. Sie fürchtet sich vor erneuten Schmerzen. Mir kommt sie vor wie ein schüchternes kleines Mädchen. Ein kleines Mädchen, das aber bereits um ihr Leben und das ihres Kindes kämpfen musste. Viele der Mütter hier sind noch sehr jung.
Wir unterhalten uns auch mit Ritchel Manaogs. Ihr sechs Monate alter Sohn Alexander wird gegen Tetanus geimpft. Ritchel ist Mutter von insgesamt fünf Kindern. „Wir wurden von der Polizei vor dem Sturm gewarnt und sind alle rechtzeitig geflohen. In der Gemeindehalle haben wir Zuflucht gesucht. Viele dachten aber, dass der Sturm nicht so schlimm wird – das es nur einer dieser Stürme wie sonst sein würde“, erzählt sie. „Aber unser Haus wurde völlig weggeschwemmt. Wir hatten noch nicht mal mehr etwas anzuziehen. Jetzt leben wir alle in einem Zelt.“
Dankbar für die Hilfe
So wie viele Mütter hier sind auch das Klinikpersonal und die Ärzte sehr dankbar und glücklich über die Hilfe, die sie in den letzten Wochen und Monaten von UNICEF erhalten haben – wie zum Beispiel die Hebammen- und Ärztesets. In diesen großen Kisten finden die Ärzte alles, was sie zur Versorgung der Patienten benötigen. Auch Kühlgeräte wurden von UNICEF gestellt. Im Falle eines Stromausfalles garantieren diese modernen Kühlboxen noch weitere zehn Tage eine ausreichende Kühlung.
Nach dem Taifun war es ein großes Problem, dass Impfstoffe in dem warme Klima verdorben sind. „Der Pentalvalenz-Impfstoff ist in den letzten Wochen ausgegangen oder war durch den Taifun unbrauchbar geworden“, erklärt mir Arlene Santo, eine Ärztin der Gesundheitsstation. „Daher hatten viele Kinder ihre notwendige Impfung bisher nicht erhalten.“
Ich bin sehr beeindruckt, mit wie viel Freude und Herzlichkeit hier gearbeitet wird. Die Schwestern kümmern sich ganz rührend um ihre kleinen Patienten und die Mütter. Sie machen Späße und es wird viel gelacht. „Die Menschen auf den Philippinen sind sehr resilient“ höre ich immer wieder als Antwort auf meine Frage, wie sie diese Katastrophe überstanden haben. Das englische Wort resilient bedeutet belastbar, federnd, unverwüstlich.
Am Ende unseres Besuches verabschiede ich mich von der unverwüstlichen Arlene Santo. Sie und ihr Team haben in den letzten Wochen extrem hart gearbeitet, damit die Gesundheitsstation endlich wieder mit mehr Verlässlichkeit und Routine arbeiten kann. Sie drückt mich zum Abschied ganz fest und erklärt mit Tränen in den Augen, wie viel ihnen die Hilfe von UNICEF und den Menschen aus Deutschland bedeutet. Völlig überrumpelt von so viel Emotionen und Ehrlichkeit verlasse ich diesen warmen, leuchtenden Ort und verspreche Arlene, dass wir die Menschen auf den Philippinen auch weiterhin in unseren Gedanken behalten werden.
Lesen Sie im nächsten Teil mehr von außergewöhnlichen Menschen und deren Geschichten.
Reisetagebuch Eva Padberg
» Teil 1: Im Land der Unverwüstlichen
» Teil 2: Außergewöhnliche Menschen und Geschichten
» Teil 3: „Mein kleiner Sohn hat es fast nicht geschafft“
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