Außergewöhnliche Menschen und Geschichten
Kaiserschnitte in Containern
Viel Zeit nachzudenken bleibt nicht. Denn als nächstes besuchen wir das Provinzkrankenhaus von Palo in Leyte. Hier werden jeden Tag sechs Babies geboren. Die Aufbauleistung bisher ist erstaunlich: Bereits zwei Wochen nach dem Taifun stand das Krankenhaus wieder. Wochenlang hat das Krankenhausteam anschließend hart gearbeitet, um Schlamm und Schrott zu beseitigen.
Wie es zuvor aussah berichtet mir Mitarbeiterin Ofelia Absin: „Das Dach ist zum Teil weggeflogen, der stationäre Bereich war weggespült. Der Schlamm war im ganzen ersten Stock, viele Geräte wurden vernichtet. Es war schlimm, zehn Leichen wurden angeschwemmt. Aber wir haben zum Glück keinen Patienten verloren“. Entbindungen sind noch immer sehr kompliziert, denn einer von zwei Geburtsräumen ist unbrauchbar. „Bei Kaiserschnitten oder anderen notwendigen Operationen bereiten wir die Mütter hier vor, dann müssen wir sie zu einem sogenannten Hospitainer bringen, einem Operationssaal im Container“, erzählt Ofelia weiter.
UNICEF schult Hebammen und stattet die Kliniken aus
Jetzt stehen wir auf dem glänzenden Fliesenboden im OP Bereich und ich kann mir kaum vorstellen, wie es vor nur wenigen Wochen hier noch ausgesehen hat. Die Kranken liegen größtenteils auf Liegen in den Fluren und im Eingangsbereich. Viele von ihnen hängen am Tropf aufgrund zahlreicher Infekte. In einem der größeren Patientenzimmer, welches bereits nutzbar ist, sind die Mütter und ihre neugeborenen Babies untergebracht. Ganz schön voll ist es hier drin und stellenweise hängt der Wandbelag in großen Schollen von der Decke. Ich zähle 14 Betten und ca. 18 Mütter. Annabelles Baby Brentmark ist vor vier Tagen zur Welt gekommen. Sie strahlt, wie nur eine neue Mami es tun kann, fast so als wären die letzten 3 Monate nicht passiert.
Neben den Hebammen- und Ärtzesets, die verteilt werden, kümmert sich UNICEF auch um die Ausbildung der Hebammen. Ich spreche mit der 37-jährigen Hebamme Aileen Fabi: „Ich habe viel Selbstvertrauen gewonnen. Ich weiß jetzt zum Beispiel, wie ich bei einer komplizierten Geburtslage des Babys reagieren kann.“
Gruselige Kulissen und strahlender Sonnenschein
Wir machen noch einen Spaziergang über das ehemalige Krankenhausgelände. Es gleicht einer Szene aus einem schlechten Horrorfilm. Unbrauchbar gewordene Klinikausstattung, alte Betten, Operationsgeräte und Möbel wurden zusammen getragen und stehen nun wie eine gruselige Kulisse vor einem der zerstörten Krankenhausgebäude. Der Sonnenschein und die warme Luft passen nicht so recht zu diesem Bild. Es bleibt noch viel zu tun.
Als letztes besuchen wir an diesem Tag ein Mütter- und babyfreundliches Zelt. Die Stimmung ist wahnsinnig gelöst und sonnig. An den Decken hängen selbst gebastelte Blumen-Mobilees, der Boden ist mit bunten Matten, Kissen und Teppichen bedeckt. Hier erhalten die jungen Mütter wichtige Infos zur Bedeutung des Stillens und zu Themen wie Ernährung, Hygiene, Gesundheit. Sie können sich aber auch einfach nur hier treffen und austauschen. Dies hilft ihnen, die Erlebnisse zu verarbeiten. Mit Hilfe von UNICEF und Partnern wurden 28 dieser Zelte in der Region eingerichtet. Damit werden 20.000 Menschen erreicht.
Ich spreche mit einigen der Mütter. Die 35-jährige Giselle zum Beispiel hat zwei Kinder und ihr Zuhause verloren. Sie berichtet mir: „Ich gehe jeden Tag ins Zelt, um meine Probleme zu vergessen. Der Taifun hat mir zwei Kinder genommen. Ich will da bleiben, wo meine Kinder gestorben sind“. Trotz ihres schrecklichen Verlustes ist Giselle nicht verzweifelt. Sie ist einer dieser Menschen, die man sofort mag, hat ein warmes, offenes Lächeln und man fühlt sich in ihrer Gegenwart einfach sehr wohl. Morgen hat sie Geburtstag und wird die traditionelle Nudelsuppe mit langen Nudeln kochen. Lange Nudeln stehen für ein langes Leben. Hier im Mütter-Baby-friendly Zelt liegen Leben und Tod sehr nah beieinander. Aber das Leben hat gewonnen, das merke ich auch bei einem sehr lauten und lustigen Abschied.
Erfahren Sie im letzten Teil mehr über die Zuversicht und Unverwüstlichkeit der Menschen auf den Philippinen.
Reisetagebuch Eva Padberg
» Teil 1: Im Land der Unverwüstlichen
» Teil 2: Außergewöhnliche Menschen und Geschichten
» Teil 3: „Mein kleiner Sohn hat es fast nicht geschafft“
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