Im Auge des Sturms
UNICEF-Foto des Jahres 2021
Das UNICEF-Foto des Jahres 2021 hält die Ohnmacht und zugleich die Entschlossenheit eines Mädchens angesichts tosender Naturgewalt fest: Ein verheerender Zyklon im Golf von Bengalen hatte den Teeausschank ihrer Familie hinweggefegt. Das eindringliche Siegerbild des indischen Fotografen Supratim Bhattacharjee aus den indischen Sundarbans zeigt den Überlebenskampf von Kindern angesichts fortschreitender Umweltzerstörung und des Klimawandels.
Die Reportage des indischen Fotografen Sourav Das über einen Lehrer, der während des Corona-Lockdowns ein ganzes Dorf in ein Freiluftklassenzimmer verwandelt hat, erhält den zweiten Preis. Der irakische Fotograf Younes Mohammad wird für seine Serie über Kinder kriegsverletzter Väter mit dem den dritten Preis ausgezeichnet.
„Der Blick des Mädchens auf dem UNICEF-Foto des Jahres 2021 kann niemanden unberührt lassen“, sagte UNICEF-Schirmherrin Elke Büdenbender. „Mit ihrer Ruhe und ihrer Tapferkeit mitten in einer völlig verzweifelten Situation lässt sie uns spüren, was Umweltzerstörung und Klimawandel für Kinder und Jugendliche bedeuten. Das Siegerbild fordert uns auf, über die Konsequenzen unserer Lebensweise nachzudenken und sie zu verändern.“
„Das Jahr 2021 war für viele Mädchen und Jungen wie die Fortsetzung eines düsteren Katastrophenfilms“, sagt Peter-Matthias Gaede, stellvertretender Vorsitzender von UNICEF Deutschland. „Klimakrise, Corona-Pandemie, Kriege und Katastrophen brauen sich zu einem ‚perfect storm‘ zusammen, der Kinder aus armen Familien mit voller Wucht trifft. Wir müssen ihre Widerstandskraft stärken, damit sie dieser Bedrohung standhalten.“
„Covid-19 hat die Arbeit von Fotoreporterinnen und -reportern auf der ganzen Welt erneut stark eingeschränkt. Trotzdem haben vor allem einheimische Fotografen mit der Kamera bewegende Bilder und Reportagen eingefangen“, sagt Prof. Klaus Honnef, Vorsitzender der Jury. „Die UNICEF-Foto-des Jahres-Jury hat zwölf herausragende Foto-Geschichten ausgewählt, die die kleinen Freuden genauso wie die Härten des Aufwachsens heute in den Mittelpunkt stellen.“
Das Siegerbild: Vom Untergang einer Hoffnung
Ein tropischer Wirbelsturm hat die Wassermassen im Ganges-Delta aufgewühlt, hat den kleinen Tee-Shop der jungen Pallavi und ihrer fünfköpfigen Familie auf der Insel Namkhana fortgerissen. Und damit ihre gesamte Existenz. Der indische Fotograf Supratim Bhattacharjee traf das Mädchen 2020 einen Tag nach der Katastrophe vor den Trümmern ihrer Existenz.
Dass ganze Dörfer weggespült werden, Inseln allmählich versinken, der Weg zur Schule durchs kniehohe Wasser führt, gehört zur leidvollen Erfahrung der Menschen in den Sundarbans, einer Küstenregion Indiens und Bangladeschs. Die fortschreitende Zerstörung der Mangrovenwälder, der Anstieg des Meeresspiegels und die Versalzung ehemaliger Süßwassergebiete nehmen den Familien ihre Lebensgrundlage. Allein in Asien und Afrika wachsen nach UNICEF-Schätzung 530 Millionen Kinder in Überschwemmungs-Regionen auf.
Der zweite Preis: Ein kleiner großer Sieg über die Pandemie
Die Klassenräume verschlossen, Online-Unterricht nicht möglich, weil es kein Internet gibt, oder Handys und Laptops für die Eltern zu teuer sind. Für Millionen Mädchen und Jungen auf der Welt hat Corona bedeutet, dass sie oft über Monate hinweg keinen Unterricht hatten. Dank der Initiative des indischen Lehrers Deep Narayan Nayak, der die Schule in seinem Dorf kurzerhand ins Freie verlegt und die Wände der Häuser in Schultafeln verwandelt hat, konnten die Mädchen und Jungen weiterlernen. Der indische Fotograf Sourav Das hat Szenen aus dem Alltag dieser ungewöhnlich kreativen und liebenswerten Dorfschule eingefangen. Auf dem Höhepunkt der Lockdowns konnten laut UNICEF 1,6 Milliarden Kinder nicht zur Schule gehen.
Der dritte Preis: Leben mit der Verletzung
Wenn der Vater keine Beine mehr hat, wenn ihm die Arme abgerissen worden sind – was bedeutet das für seine Kinder? Die kurdischen Mädchen und Jungen im Irak, die der Fotograf Younes Mohammad porträtiert hat, sind teils noch Babys. Für ein Kriegstrauma noch zu jung, für alle Zukunft aber begleitet durch die Geschichte ihrer Väter, die gegen die Terror-Truppen des „Islamischen Staats“ gekämpft haben, Opfer von Minen, Scharfschützen oder Gefechten geworden sind. Mohammad hat die große Kraft der Kinder festgehalten, mit dem Schicksal ihrer Familien umzugehen, die Behinderungen ihrer Väter anzunehmen, zu lieben und zu lächeln.
Neun weitere Reportagen hob die Jury mit ehrenvollen Erwähnungen hervor:
- Ali Haj Suleiman, Syrien, Reportage: Auf den Müllhalden des Krieges (Syrien)
- Emily Garthwaite, Großbritannien, Reportage: Unterwegs in der Tradition (Iran)
- Emeke Obanor, Nigeria, Reportage: Das Glück, lernen zu dürfen (Nigeria)
- Feli & Pepita von Ehrenfeld, Deutschland, Reportage: Lockdown-Gedanken (Deutschland, Schweiz, Singapur)
- Gordon Welters, Deutschland, Reportage: Zwei Herzen für Clara (Deutschland)
- Jörg Volland, Deutschland, Reportage: Für immer verbunden (Deutschland)
- Matilde Simas, USA, Reportage: Das Haus, das den Kindern Beine schenkt (Philippinen, Äthiopien, Haiti)
- Natalya Saprunova, Russland/Frankreich, Reportage: Uliana, die aus der Kälte kommt (Russland)
- Toby Binder, Deutschland: Reportage: Arm sein in Duisburg (Deutschland)
Eine Ausstellung mit allen prämierten Arbeiten ist bis Ende Januar im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin zu sehen. Anschließend werden die Fotoreportagen vom Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V. ausgestellt und sind ab dem 17. Februar 2022 für die allgemeine Öffentlichkeit im Willy-Brandt-Haus zugänglich.
Zum 22. Mal zeichnet UNICEF Deutschland mit dem internationalen Wettbewerb „UNICEF-Foto des Jahres“ Bilder und Reportagen professioneller Fotojournalistinnen und -journalisten aus, die die Persönlichkeit und die Lebensumstände von Kindern auf herausragende Weise dokumentieren. Voraussetzung für die Teilnahme ist die Nominierung durch eine*n international renommierte*n Fotografie-Expert*in.
Eine Übersicht aller ausgezeichneten Fotoreportagen finden Sie auf www.unicef.de/foto. Im Foyer des Hauses der Bundespressekonferenz in Berlin ist die Ausstellung der prämierten Arbeiten bis Ende Januar zu sehen.
Interview mit dem Preisträger Supratim Bhattacharjee
UNICEF-Mitarbeiterin Caroline Dohmen hat sich mit dem indischen Fotografen Supratim Bhattacharjee zu einem Video-Gespräch getroffen. Sie haben über seine Arbeit als Fotograf und sein Fotoprojekt in den Sundarbans, gesprochen, und darüber, wie es Pallavi, dem Mädchen auf dem Siegerbild, heute geht.
» Zum Interview mit Supratim Bhattacharjee
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Ein kostenloser Abdruck der prämierten Bilder sowie der dazugehörigen Texte ist im Rahmen der Berichterstattung zum „UNICEF-Foto des Jahres 2021“ unter Angabe des Copyrights der Fotografen und den entsprechenden Agenturen sowie des Autors möglich.
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» Interview mit dem Preisträger Supratim Bhattacharjee
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Rudi TarnedenAbteilungsleiter Presse / Sprecher