Syrien: Augenzeugenbericht aus Madaya zur Situation der hungernden Kinder
Statement der Leiterin von UNICEF Syrien, Hanaa Singer
+ + + + Letzte Aktualisierung: 15. Januar 2016, 13.30 Uhr + + + +
„Wir begrüßen es, dass wir in dieser Woche endlich Zugang zu den eingeschlossenen Kindern erhalten haben. Wir können bestätigen, dass wir schwer mangelernährte Kinder in der belagerten Stadt Madaya gefunden haben. Besonders traurig und schockiert sind wir darüber, mit eigenen Augen sehen zu müssen, wie Ali, ein sechzehnjähriger schwer mangelernährter Junge im örtlichen Krankenhaus starb."
Schwer mangelernährte Kinder in belagerter syrischer Stadt
Im provisorischen Krankenhaus, das UNICEF besuchte, arbeiteten nur zwei Ärzte und zwei Helfer unter überwältigenden Bedingungen. Das Team von UNICEF und Weltgesundheitsorganisation konnte 25 Kinder unter fünf Jahren auf Mangelernährung untersuchen. 22 von ihnen wiesen Zeichen für leichte bis schwere Mangelernährung auf. Sie werden jetzt alle mit Medikamenten und Spezialnahrung behandelt, die die Vereinten Nationen und das Internationale Rote Kreuz am Montag gebracht hatten.
Das Team untersuchte weitere zehn Kinder zwischen sechs und 18 Jahren. Sechs von ihnen zeigten Symptome schwerer Mangelernährung. Ein 17-jähriger Junge ist in lebensbedrohlichem Zustand und muss dringend evakuiert werden. Eine im neunten Monat schwangere Frau muss ebenfalls dringend evakuiert werden.
Obwohl die Beobachtungen nicht repräsentativ sind und wir keine Schlüsse auf die gesamte Situation ziehen können, geben sie einen echten Eindruck über die Lage in Madaya. Das Team von UN und Syrischem Roten Halbmond werden ihre Untersuchung am Sonntag fortsetzen.
Die Menschen, die wir in Madaya getroffen haben, waren erschöpft und schwach. Die Ärzte waren verzweifelt und erschöpft von der pausenlosen Arbeit rund um die Uhr, mit der sie trotz begrenzter Mittel Kinder und Erwachsene behandeln. Es ist nicht hinnehmbar, dass so etwas im 21. Jahrhundert passiert.
Die Teams von UNICEF und WHO haben gemeinsam mit dem Gesundheitspersonal ein Stabilisierungszentrum eingerichtet sowie eine Station, wo mangelernährte Kinder, die bei ihren Familien leben, ambulant behandelt werden können. Das Personal wurde dafür geschult.
14 weitere „Madayas“ in Syrien
Während wir unseren Schock über die Lage in Madaya ausdrücken, dürfen wir nicht vergessen, dass es in Syrien weitere 14 „Madayas“ gibt. In diesen Orten, an denen verschiedene Konfliktparteien Belagerung als Taktik einsetzen, werden Kindern und unschuldigen Zivilisten Zugang zu lebensrettenden Hilfsgütern und Diensten verweigert.
Parallel hat UNICEF als Teil eines gemeinsamen Konvois von UN, Syrischem Roten Halbmond und Internationalem Roten Kreuz zehn Lastwagen mit Hilfsgütern in die belagerten Gebiete Foah und Kafray gebracht, wo schätzungsweise 6.000 Kinder eingeschlossen sind.
UNICEF wiederholt seinen Aufruf an alle Konfliktparteien, die Blockade von Gemeinden in Syrien zu beenden und ungehinderten, freien und nachhaltigen Zugang für humanitäre Helfer zu erlauben, um den Bedarf an medizinischer Hilfe, Nahrung und anderen humanitären Hilfen zu erheben, vor Ort medizinische Hilfe zu leisten und umgehend Kinder und Frauen in kritischem Zustand zu evakuieren.“
11. Januar: Hilfskonvoi in Madaya angekommen
Am 11. Januar hat ein Hilfskonvoi der Vereinten Nationen zusammen mit dem Internationalen Roten Kreuz und dem Syrischen Roten Halbmond die syrische Stadt Madaya erreicht. In der Nacht zum 12. Januar konnten die insgesamt 47 Lastwagen mit hauptsächlich Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kleidung entladen werden.
Helfer haben sofort mit der Verteilung begonnen. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF hat an dem Konvoi teilgenommen und lebensrettende therapeutische Nahrung wie Spezialkekse und Erdnusspaste an die hungernden Familien der belagerten Stadt verteilt. Die UNICEF-Hilfsgüter reichen für 10.000 Kinder.
UNICEF-Augenzeugin: Hungernde Kinder haben Suppe aus Blättern gegessen
Die Leiterin von UNICEF Syrien, Hanaa Singer, hat die Hilfslieferung begleitet und berichtete von erschütternden Begegnungen mit Kindern und Müttern in Madaya. Mehrere Kinder, mit denen sie gesprochen hat sagten, dass sie nur Suppe aus Blättern zu essen hatten. Eine Mutter erzählte, dass ihr Sohn vor kurzem verhungert sei. Die meisten Kinder in Madaya haben sehr ausgemergelt ausgesehen, so Hanaa Singer. Die belagerte Stadt war seit Oktober nicht mehr für humanitäre Helfer zugänglich gewesen.
Nicht nur Madaya: Zwei Millionen Kinder in Syrien von Hilfe abgeschnitten
Nicht nur in Madaya, auch in anderen syrischen Städten ist die humanitäre Situation dramatisch. UNICEF schätzt, dass insgesamt 4,5 Millionen Menschen und davon über zwei Millionen Kinder in Gebieten ausharren müssen, die wegen intensiver Kampfhandlungen oder Belagerungen nicht oder nur unregelmäßig mit humanitärer Hilfe erreicht werden können. Viele Kinder haben seit mehreren Monaten und teilweise Jahren keine Hilfe erhalten.
Anfang der Woche haben Hilfslieferungen auch die ebenfalls belagerten Städte Foua und Kafraya im Norden Syriens erreicht. UNICEF hat dort Hilfsgüter zur Behandlung von 5.000 mangelernährten Kindern verteilt.
UNICEF fordert erneut alle Konfliktparteien dazu auf, die Zivilbevölkerung zu schützen und den uneingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten – insbesondere für Kinder in Not.
UNICEF-Nothilfe in Syrien
Trotz der Herausforderungen gelingt es UNICEF gleichwohl in großen Teilen von Syrien mit einem Team von rund 200 Mitarbeitern vor Ort und einem Netzwerk aus Partnern, jeden Tag Hilfe für Kinder und Familien zu leisten.
So unterstützt UNICEF die Trinkwasserversorgung für Millionen von Menschen, hat 2015 bei der Impfung von drei Millionen Kindern gegen Polio geholfen und unterstützt Notschulen und Kinderzentren. UNICEF versorgt aktuell außerdem rund eine Million syrische Kinder mit Winterkleidung und warmen Decken, um sie vor der Kälte zu schützen.