UNICEF: Gewalt gegen Kinder in Kriegen auf einem Höchststand
Situationsbericht warnt vor akuten Gefahren und Langzeitfolgen / UNICEF Deutschland ruft zu Spenden für Kinder im Krieg auf
Jedes sechste Kind weltweit – schätzungsweise 460 Millionen insgesamt – wächst laut UNICEF in einem Kriegs- oder Konfliktgebiet auf. Ob in der Ukraine, im Nahen Osten, im Sudan oder in anderen Krisenregionen – Kinder sind durch Beschuss, Hunger und Krankheiten in akuter Lebensgefahr. Gewalt gegen Kinder in bewaffneten Konflikten ist auf einem Höchststand. 2023 verifizierten die Vereinten Nationen insgesamt 32.990 schwere Kinderrechtsverletzungen – so viele wie nie zuvor. Kinder und Jugendliche leiden massiv unter den körperlichen und psychischen Folgen der Gewalt. Darauf macht UNICEF in seinem heute veröffentlichten Situationsbericht „Kindheit unter Beschuss“ aufmerksam und ruft dringend zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie zu verstärkter Hilfe auf. Laut UNICEF wurden mehr als 57 Millionen Kinder in diesem Jahr in Kriegs- und Krisenländern geboren. Kriege und Konflikte gehören zu den Hauptursachen von humanitären Krisen.
Allein in diesem Jahr wurden in der Ukraine, dem Sudan und dem Nahen Osten Tausende Kinder durch Kampfhandlungen verletzt, verstümmelt oder getötet. Angst und Hunger prägen ihren Alltag. Immer wieder besteht die Gefahr, dass die lebenswichtige Grundversorgung und die Bildung der Kinder unterbrochen werden.
„Das Grauen, das Kinder in Kriegen und Konflikten unserer Zeit aushalten müssen, ist kaum mit Worten zu beschreiben. Im Sudan begegnete ich Kindern, die von Schüssen auf flüchtende Frauen und Mädchen erzählten. Ein Mädchen erzählte, dass ihrer Schwester an einem Checkpoint der Gewehrlauf an den Kopf gehalten wurde. Dies sind Erlebnisse, die kein Kind je erleben sollte – und die kein Kind je vergessen wird“, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, der Ende November im Sudan war. „Eine Kindheit im Krieg – das darf niemals das neue ´Normal` unserer Zeit werden.“
Zu den schweren Kinderrechtsverletzungen gehören die Tötung und Verstümmelung von Kindern, Rekrutierung oder Einsatz von Kindersoldatinnen und -soldaten, Angriffe auf Schulen oder Gesundheitseinrichtungen, Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt, Entführungen von Kindern sowie verweigerter humanitärer Zugang. UNICEF davon aus, dass die Fallzahl in diesem Jahr erneut zunimmt und sich die Situation für Kinder in Konflikten weiter zuspitzt.
„Wir sehen die Zunahme schwerer Kinderrechtsverletzungen mit großer Sorge, auch weil die offiziell verifizierten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Deutlich mehr Kinder werden getötet und verstümmelt. Sie werden vergewaltigt und erleben sexualisierte Gewalt. Gleichzeitig wird Kindern die lebensrettende Hilfe verweigert, auf die sie so dringend angewiesen sind. Immer wieder missachten Konfliktparteien eine der wichtigsten Grundregeln des Krieges: den Schutz von Kindern“, sagte Lucia Elmi, Leiterin der weltweiten UNICEF-Nothilfeprogramme für Kinder.
Situation in Gaza, Ukraine und Sudan
Besonders gravierend ist die Situation zum Beispiel im Gazastreifen, der Ukraine und im Sudan. In Gaza werden jeden Tag durchschnittlich mehr als 67 Kinder getötet oder verletzt. Insbesondere im Norden des Gazastreifens hat die Not ein katastrophales Ausmaß erreicht. Zwar ist es dem UNICEF-Team vor Kurzem gelungen, Hilfsgüter wie Nahrungsmittel und Hygienesets in den Norden zu bringen, aber die Hilfe reicht bei weitem nicht aus. Im beginnenden Winter bieten die behelfsmäßigen Zelte kaum Schutz vor Regen und Kälte.
In der Ukraine wurden seit Februar 2022 mindestens 2.406 Kinder getötet oder verletzt – das entspricht etwa 16 Kindern pro Woche. Mindestens 1.496 Bildungseinrichtungen und 662 Gesundheitseinrichtungen wurden bereits beschädigt oder zerstört.
Im Sudan wurden allein in diesem Jahr bereits 1.500 schwere Kinderrechtsverletzungen verzeichnet. In der umkämpften Stadt Al-Fashir in Darfur sind Berichten zufolge zwischen April und Oktober 2024 mindestens 150 Kinder ums Leben gekommen. Kinder erleiden die schlimmsten Gräuel: Sie werden getötet und verstümmelt. Sie werden für den Kampf und Dienst bei bewaffneten Gruppierungen rekrutiert. Mädchen werden vergewaltigt und Opfer sexualisierter Gewalt, manche nicht älter als 13 Jahre alt.
Diese Zahlen erfassen weder das volle Ausmaß der schweren Kinderrechtsverletzungen noch die schweren psychischen Folgen für Kinder und ihre Familien.
„Im Gegensatz zu körperlichen Verletzungen bleiben die seelischen Verletzungen aufgrund von Kriegen und Gewalt meist unsichtbar und werden nicht ernst genommen“, sagte Dr. med. Areej Zindler, Fachärztin für Kinderpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Mitglied im Deutschen Komitee für UNICEF. „Massive Entwicklungsstörungen in allen Lebensbereichen der Kinder können die Folge sein – auch für die darauffolgenden Generationen.“
Die Kriege im Sudan, in der Ukraine, im Nahen Osten und an vielen weiteren Orten der Welt halten mit unerbittlicher Härte an. Vielerorts werden die kommenden Wochen für Kinder noch gefährlicher. UNICEF appelliert an alle Konfliktparteien und diejenigen, die Einfluss auf sie haben, Kinder gemäß ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zu schützen. Sie müssen dafür sorgen, dass humanitäre Hilfe Kinder bedingungslos und uneingeschränkt erreichen kann. Angriffe auf zivile Infrastruktur müssen aufhören.
Dringender Hilfeaufruf für Kinder im Krieg
Noch nie wurde so viel dringende Unterstützung benötigt, um Kinder und Familien gerade jetzt mit dem Überlebensnotwendigen zu versorgen und ihnen in der schweren Zeit weiter Hoffnung zu geben. Und mit jedem Tag benötigen mehr Kinder Hilfe.
Zu Weihnachten 2024 ruft UNICEF dazu auf, Kinder im Krieg zu unterstützen. Weitere Informationen finden Sie unter www.unicef.de.
Beispiele der UNICEF-Hilfe für Kinder in Kriegs- und Krisenregionen
UNICEF leistet weltweit lebenswichtige Hilfe für Kinder in Kriegs- und Krisenregionen. Im ersten Halbjahr 2024 hat UNICEF u.a. mehr als 26 Millionen Kinder und Frauen mit grundlegenden Gesundheitsprogrammen erreicht, mehr als 17 Millionen Menschen mit sauberem Wasser versorgt, rund 10 Millionen Kindern Zugang zu Bildungsangeboten ermöglicht, mehr als 570.000 Familien mit Bargeldhilfen erreicht und mehr als 12 Millionen Kinder auf schwere Mangelernährung untersucht.
UNICEF schätzt, dass im kommenden Jahr 213 Millionen Kinder in Krisenregionen humanitäre Hilfe benötigen.
2025 benötigt UNICEF für seine Nothilfeprogramme für Kinder in Krisenregionen, einschließlich Kriegs- und Konfliktgebieten, 9,9 Milliarden US-Dollar.
Service für die Redaktionen:
» Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, hat Ende November die UNICEF-Hilfe für Kinder im Sudan begleitet. Gerne vermitteln wir Interviews.
» Eine Auswahl von Fotos und Videos steht Redaktionen im Rahmen der Berichterstattung auf dieser Seite kostenfrei zur Verfügung.
» Den Situationsbericht „Kindheit unter Beschuss“ finden Sie hier.
Christine KahmannSprecherin - Nothilfe