Pressemitteilung

UNICEF: 45.000 Erstklässler im Gazastreifen können nicht eingeschult werden

Fehlender Zugang zu Bildung beeinträchtigt die psychische Gesundheit, Sicherheit sowie Entwicklung von Kindern und gefährdet ihre Zukunftschancen

Amman/ Berlin

Während sich Kinder in vielen Ländern des Nahen Ostens auf ihr erstes Schuljahr und ihren ersten Schultag vorbereiten, wird rund 45.000 sechsjährigen Kindern im Gazastreifen das Recht auf Bildung vorenthalten. Die große Mehrheit von ihnen wurde aus ihrem Zuhause vertrieben und kämpft täglich um ihr Überleben.

UNI580025
© UNICEF/UNI580025/El Baba

Gestern sollte in Palästina das neue Schuljahr beginnen, doch im Gazastreifen kann kein Unterricht mehr stattfinden. Zusätzlich zu den Kindern im Erstklässler-Alter wurde bereits 625.000 weiteren Kindern im vergangenen Jahr ein ganzes Schuljahr verwehrt. Ihnen droht jetzt angesichts des anhaltenden Konflikts ein zweites Jahr ohne Bildung.

„Die Kinder im Gazastreifen haben ihr Zuhause, ihre Angehörigen, ihre Freundinnen und Freunde, ihre Sicherheit und ihre Routinen verloren“, sagte Adele Khodr, UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika. „Und sie haben die Zufluchtsorte und die Förderung verloren, die ihnen die Schule bietet. Ihre vielversprechende Zukunft droht durch diesen schrecklichen Konflikt verdunkelt zu werden.“

Seit Oktober 2023 sind alle Schulen im Gazastreifen geschlossen. Unter den Schülerinnen und Schülern, die im vergangenen Jahr nicht lernen konnten, sind 39.000 junge Menschen, die ihr letztes Schuljahr verpasst haben und somit ihre finalen Prüfungen („Tawjihi“-Prüfungen) nicht ablegen konnten. Dies ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ein Abschlussjahrgang im Gazastreifen seinen Abschluss nicht machen konnte.

Bei älteren Kindern hat die Lernunterbrechung zu Unsicherheit und Ängsten geführt. Ohne Schulbildung sind junge Menschen einem erhöhten Risiko von Ausbeutung, Kinderarbeit, einer frühen Verheiratung und anderen Formen des Missbrauchs ausgesetzt. Zudem besteht die Gefahr, dass sie die Schule dauerhaft abbrechen.

Bei jüngeren Kindern gefährdet der fehlende Schulbesuch ihre kognitive, soziale und emotionale Entwicklung. Eltern berichten von erheblichen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das psychosoziale Umfeld der Kinder, einschließlich des Gefühls zunehmender Frustration und Isolation.

Auch die Kinder im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, sind zu Beginn des neuen Schuljahres von Einschränkungen betroffen. Die zunehmende Gewalt und die Bewegungseinschränkungen seit Oktober 2023 haben zu neuen Lernhindernissen für die 782.000 Schülerinnen und Schülern geführt. Laut Daten des Bildungsministeriums und des Bildungsclusters waren seit Oktober 2023 jeden Tag zwischen acht und 20 Prozent der Schulen im Westjordanland geschlossen. Selbst wenn Schulen nicht geschlossen sind, gehen viele Kinder aus Angst vor Gewalt, aufgrund der Bewegungseinschränkungen oder wegen ihrer mentalen Situation nicht zur Schule.

Sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, haben Angriffe auf Schulen und Bildungseinrichtungen in den vergangenen Wochen zugenommen. Im Gazastreifen müssen mindestens 84 Prozent der Schulen vollständig wiederaufgebaut oder erheblich saniert werden, bevor der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, gab es nach Angaben des palästinensischen Bildungsministeriums 69 Angriffe auf Schulen und 2.354 Vorfälle, die Schulen, Schülerinnen und Schüler sowie das Lehrpersonal in oder in der Nähe von Schulen betrafen.

Trotz der kritischen Bedarfe ist Bildung nach wie vor einer der finanziell am unzureichendsten ausgestatteten Bereiche. Lediglich 12 Prozent des UNICEF-Nothilfeaufrufs für Palästina im Bereich Bildung ist finanziert.

UNICEF und Partner haben 39 temporäre Lernräume im Gazastreifen eingerichtet, in denen über 12.400 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Darüber hinaus unterstützt UNICEF Kinder, Jugendliche, Betreuende sowie das Lehrpersonal in Notunterkünften mit Freizeitaktivitäten, Schulmaterialien und psychosozialer Unterstützung.

„Wir müssen Wege finden, das Lernen wieder aufzunehmen und Schulen wieder aufzubauen, um das Recht auf Bildung für die nächsten Generationen in Palästina zu wahren“, so Khodr. „Kinder brauchen Stabilität, um die Traumata zu bewältigen, die sie erlebt haben. Und sie brauchen Möglichkeiten, um sich zu entwickeln und ihr volles Potenzial auszuschöpfen.

Alle Hindernisse, die uns daran hindern, unsere wichtige Arbeit umzusetzen, müssen beseitigt werden. Wir müssen dringend in der Lage sein, in großem Umfang Bildungs- und Spielmaterialien in den Gazastreifen zu bringen, sichere Räume für den Betrieb von Lernzentren zur Verfügung zu stellen und sicherzustellen, dass Schülerinnen und Schüler sowie das Lehrpersonal gefahrlos Zugang zu Schulgebäuden haben und dort leben oder lernen können. Vor allem brauchen wir einen Waffenstillstand im Gazastreifen und eine Deeskalation im Westjordanland, damit alle Kinder in die Klassenzimmer zurückkehren und beschädigte Schulen wieder aufgebaut werden können.“

» Aktuelles Bild-und Videomaterial finden Sie hier.

Christine Kahmann

Christine KahmannSprecherin - Nothilfe

030-275807919presse@unicef.de