Vorschulbildung in Indonesien: Spielen hilft!
Was tun die Kinder in Indonesien am liebsten? Klar – spielen! Spaß haben! Neues entdecken, gemeinsam mit anderen Kindern etwas lernen und sich dabei weiterentwickeln.
Leider haben viele Kinder dort in ihren ersten Lebensjahren nicht die Gelegenheit dazu, weil die Betreuung fehlt: beispielsweise in Kindergärten, in denen sie gemeinsam mit anderen Kindern spielen, essen, lernen können. Den Kindern fehlt damit die Grundlage für einen guten, gesunden Start ins Leben. Im Rahmen einer Projektreise durfte ich erleben, wie UNICEF Kindern in Indonesien eben diesen guten Start ermöglicht.
Ein guter Start
Zunächst die Fakten: Indonesien ist riesig. Mehr als 250 Millionen Menschen leben hier, rund 85 Millionen Kinder. Und etwa 30 Prozent davon haben keinen Zugang zu frühkindlicher Bildung: Sie besuchen keinen Kindergarten, können kaum ihre Kreativität erproben, lernen wenig über gesunde Ernährung und werden nicht auf die Schule vorbereitet. Den Eltern fehlen häufig schlicht die Mittel dazu.
Dabei ist ein guter Start so wichtig! Für die Ausbildung von Sprache und Kreativität, kognitive und soziale Kompetenz, motorische Fähigkeiten. Studien belegen, dass in den ersten Lebensjahren die Entwicklung des Gehirns maßgeblich geprägt wird. Ob und wie ein Kind früh gefördert wird, wirkt sich auf das gesamte restliche Leben aus.
Hier bei UNICEF spricht man von „Early Childhood Development“ (ECD). Dieser Begriff wird uns während der Reise in Indonesien begleiten. Gemeinsam mit einer Gruppe unseres Partners IKEA besuche ich ECD-Programme von UNICEF, die mit Spenden der IKEA Foundation finanziert wurden und weiterhin werden. Im Rahmen der Kampagne „Let’s play for Change“ hatte die IKEA Foundation Spenden für diese Programme gesammelt.
Tag 1: Idylle inmitten des Großstadt-Dschungels
Der erste Tag führt uns quer durch Indonesiens Hauptstadt Jakarta – es ist eine abenteuerliche Tour vorbei an hupenden Autos, rasenden Mopeds und durch stetig wechselnde Straßenführungen.
Umso schöner die Ankunft im ersten, UNICEF-unterstützen Kindergarten, dem TK N. Pembina National Kindergarten: eine weiträumige Gartenanlage, Spielgeräte, Spielzimmer und Klassenräume, ein wahres Spieleparadies für die Kinder, die hier täglich einige Stunden geschützt spielen und Spaß haben können.
Wir kommen pünktlich zum „Morning Exercise“ – die Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren tanzen und springen im Takt der Video-Animation. Eine morgendliche Sporteinlage mit jede Menge Spaß.
Im Gespräch mit der Leiterin der Einrichtung sowie einer Vertreterin des Bildungsministeriums erfahren wir viel über das Betreuungskonzept. „Wir betreuen rund 130 Kinder aus ganz Jakarta“, erzählt die Leiterin. „Alle Kinder sind willkommen. Wir beginnen den Tag mit einer kurzen Ruhe-Phase, dann geht es los mit Spielen, gemeinsamem Lernen und Essen.“
In Klassen von rund 25 Kindern stehen täglich wechselnde Aktivitäten auf dem Plan: Gruppenspiele, Sport, Musik, Theater, Kunst und Kreativität. „Kindern diese Anreize zu geben, ist sehr wichtig für ihre Entwicklung“, erläutert die Leiterin. Und zwischendurch gibt es Obst und anderes vitaminreiches Essen – auch eine Lektion für die Kinder.
Es handelt sich bei diesem Kindergarten um eine Modell-Einrichtung, die bereits seit einigen Jahren von UNICEF unterstützt wird, finanziell und mit Beratung. Überall im Land sollen mit Unterstützung der Regierung Kindergärten nach diesem Vorbild entstehen. Ein ehrgeiziges Ziel? Natürlich – aber man muss ja schließlich irgendwo anfangen.
Tag 2: Elsa und die tanzenden Pinguine
Am zweiten Tag führt uns die Reise in die ländlichere Gegend südlich von Jakarta. Über geschlungene Schotterpisten erreichen wir einen Kindergarten in den Hügeln westlich der Stadt Bogor, der bislang noch keine externe Unterstützung erhalten hat.
Die 22 Kinder sind zunächst zurückhaltend – solche Besucher bekommen sie nicht häufig zu Gesicht. Schüchtern überreichen sie uns das Willkommensgeschenk: selbst gebastelte Papierblumen. Meine Blume hat heute einen Ehrenplatz im Kölner Büro.
Die komplette Gruppe ist als Pinguin verkleidet, mit einheitlicher Uniform und passendem Pinguin-Hut. Der Eisbrecher ist das „Aufwärmprogramm“ (bei schwül-warmen 36 Grad). Gemeinsam tanzen wir den Pinguin-Tanz, begleitet von Musik und vorgetanzt von den Betreuerinnen. Natürlich kommen wir ordentlich ins Schwitzen.
Doch das macht nichts – denn nun sind wir in der Gruppe angekommen! Die nächste Aufgabe: Zu zweit einen Luftballon mit den Köpfen zusammenhalten und dabei zur Musik tanzen. Gar nicht so leicht! Hier lerne ich die fünfjährige Elsa kennen, beim Luftballon-Spiel freunden wir uns an. Anschließend weicht sie nicht von meiner Seite – sie scheint die Begegnung ebenso spannend zu finden wie ich.
Der gemeinsame Wunsch: eine Perspektive
Zeit für eine Trinkpause! Dela Busih, die Leiterin der Einrichtung, gibt uns einige Hintergründe. Wir befinden uns in ihrem Wohnhaus, das kurzerhand zum Kindergarten umfunktioniert wurde. Die Ausstattung ist karg, die Spielgeräte alt. Die Betreuerinnen sind nicht ausgebildet und arbeiten im Prinzip ehrenamtlich. Gäbe es nicht hin und wieder etwas finanzielle Unterstützung aus der Dorfgemeinschaft, hätten die Kinder gar keinen Anlaufpunkt.
Frau Busih erzählt uns von der hohen Analphabetenrate in der Gegend. Viele Kinder kommen in der Schule nicht zurecht, verlassen die Schule. Die Mädchen heiraten häufig früh und werden Mütter. Einige junge Mütter sind auch heute hierhergekommen, um die ausländischen Besucher zu begrüßen. Sie alle eint ein Wunsch: Sie möchten ihren Kindern eine bessere Perspektive bieten, als es ihnen selbst vergönnt war.
„Um die Kinder hier besser betreuen zu können, benötigen wir vor allem drei Dinge“, erläutert uns die Leiterin. „Ein eigenes Gebäude für die Kinder zum Spielen und Lernen. Ausgebildete Lehrer und Betreuer. Und schließlich müssen wir auch die Eltern in den Dörfern überzeugen, dass es gut ist, ihre Kinder in die ECD-Einrichtungen zu schicken.“
Aus diesen Gründen haben UNICEF und das Bildungsministerium ein Pilot-Programm für die Region rund um Bogor entwickelt: Im gesamten Distrikt werden derzeit 100 solcher ECD-Zentren ausgewählt, viele von ihnen werden Unterstützung in Form von Geld, Beratung und Trainings erhalten.
Die Erfahrungen und Verbesserungen für die Kinder sollen dann wiederum zum Vorbild dienen, um das Prinzip möglichst landesweit zu verbreiten: Jedes Kind soll vor der Schule mindestens ein Jahr lang die Gelegenheit bekommen, in einem Kindergarten betreut zu werden, zu lernen, sich weiterzuentwickeln.
Tag 3: Singen verbindet
Der dritte und letzte Tag unserer Reise: Wir fahren in den winzigen Ort Cibinong im Bogor Distrikt. Eine Schotterstraße führt uns zum letzten Gebäude der Siedlung. Was auf den ersten Blick einem einfachen Schuppen gleicht, entpuppt sich als provisorischer Kindergarten.
An flachen Bänken sitzend begrüßen uns die Kinder schüchtern. Doch schnell geht man zur Tagesordnung über – unter Anleitung der Lehrerin zeigen die Kinder, was sie schon gelernt haben: Lieder, bei denen sie das Zählen üben und allerlei andere Dinge. Nach und nach fasst sich jedes Kind ein Herz und gibt ein Lied zum Besten.
„Habt ihr früher auch Lieder gesungen, im Kindergarten oder in der Schule?“, möchten einige Kinder wissen.
Wir müssen kurz überlegen – und singen das erste Lied, das uns aus unserer Schulzeit einfällt: „Von den blauen Bergen kommen wir“. Die Kinder verstehen natürlich kein Wort, doch die Melodie scheint ihnen zu gefallen!
Anschließend dürfen wir mit den Kindern spielen, malen, Quatsch machen. Beim Malen und Spielen und im Austausch mit der Lehrerin lernen die Kinder Grundlagen in Landeskunde, Mathematik, Grammatik – aber eben alles sehr spielerisch. Spaß soll es machen, und das tut es offensichtlich auch.
Doch auch hier in Cibinong sind die Mittel begrenzt. Es fehlt an neuem Spiel- und Lernmaterial, nur sehr selten können entsprechende Materialien mit Beiträgen aus der Dorfgemeinde angeschafft werden. Zudem ist das Gebäude baufällig, und die Betreuerinnen können nicht angemessen bezahlt werden.
Die Motivation hingegen ist riesig: Wir dürfen erleben, mit welcher Leidenschaft Lehrer, Betreuer und Eltern versuchen, ihren Kindern etwas Struktur und Perspektive zu bieten. Ohne Zweifel: Mit der richtigen Unterstützung könnten die Dorfgemeinschaften hier vieles aufbauen.
Eine Betreuung über mehrere Stunden am Tag, mit der richtigen Verpflegung, in einer geschützten, kindgerechten Umgebung und mit echtem Spiel- und Lernmaterial – das wünschen sich auch hier die Eltern für ihre Kinder.
Ein langer Weg
Mich persönlich haben vor allem die Begegnungen mit den Kindern unglaublich beeindruckt. Ich habe viel darüber gelernt, wie wichtig es ist, Kindern einen echten „Spielplatz“ zu bieten, eine Umgebung, in der sie Kind sein und sich gesund entwickeln können. Und an vielen Orten in Indonesien haben die Kinder im Vorschulalter eben gar keine solche Möglichkeit – dieser Gedanke bleibt uns stets im Hinterkopf.
Spielerisches Lernen, Geborgenheit, gesunde Ernährung und Anreize für die kognitive Entwicklung: UNICEF möchte gemeinsam mit dem indonesischen Bildungsministerium einen ECD-Standard langfristig in ganz Indonesien etablieren, auch und gerade in den vielen kleineren, entlegeneren Dörfern – nach dem Motto: „One Village, one ECD Centre“.
Bis 2020 sollen rund 120.000 neue Zentren entstehen, von denen etwa 18 Millionen Kinder zwischen drei und sechs Jahren profitieren. Der Weg ist noch lang, Indonesien ist eben riesig. Und auch in vielen anderen Ländern benötigen Kinder mehr Unterstützung in den ersten Lebensjahren.
Doch jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt und – mit einem guten Start.