"Wenn unsere Kinder nicht die letzte Generation auf diesem Planeten sein sollen, muss endlich was passieren!"
Gespräch mit Udo Lindenberg anlässlich der Verleihung des UNICEF Ehrenpreises Kinderrechte
Dieses Jahr ist alles anders. Normalerweise treffe ich den Panikrocker zum Interview in seiner selbsternannten "Villa Kunterbunt", Udos Wohnsitz im Hamburger Hotel Atlantik. Dann scannen wir gemeinsam die Weltlage. Udo will es immer sehr genau wissen. Wo sind die drängendsten Probleme auf der Welt? Was macht UNICEF konkret, um zu helfen? Wie ist denn da der Finanzbedarf? Was kann man tun?
Auf meinem Handy schaut er sich dann Fotos an von den Reisen, die ich unternommen habe: Kinderarbeit in Bangladesch, die Folgen der verheerenden Zyklone Idai und Kenneth in Mosambik oder die unerträgliche Situation der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln.
Dabei setzt er manchmal seine dunkle Sonnenbrille ab und ich kann sehen, wie sein Blick weit hinter den Horizont wandert.
Wegen Corona können wir uns ausgerechnet dieses Jahr nicht persönlich treffen. So gerne hätten wir Udo den "UNICEF Ehrenpreis Kinderrechte" direkt überreicht. Aber wir sprechen übers Telefon.
Udo, du bist jetzt schon seit fast 20 Jahren gemeinsam mit UNICEF und anderen humanitären Organisationen am Start für eine gerechtere Welt und eine faire Zukunft für alle Kinder. Warum setzt du dich so konsequent für die Rechte von Kindern ein?
Lindenberg: Ich bin 1946 geboren, genauso wie UNICEF. Wir sind also beide Trümmerkinder, der Schrecken des Zweiten Weltkriegs steckt uns in den Knochen – der Krieg war zwar zu Ende, aber noch nicht wirklich vorbei. Krasse Sprachlosigkeit überall, das große Schweigen … Die Erwachsenen um mich herum waren schwer traumatisiert und konnten nicht drüber reden.
Die UNO-Charta ist genau in dieser Zeit der Schockstarre entstanden. Die Idee, wir müssen jetzt endlich mal ganz neu ansetzen, die Würde des Menschen ernst nehmen. Das hab‘ ich total verinnerlicht … Diese Würde ist mir heilig.
Deshalb will ich nicht nur den Entertainer machen, mit großer Show und so, sondern mich einmischen, vor allem für die Schwächsten, die sich am wenigsten wehren können: die kleinen Menschen, die dem ganzen Schwachsinn, den die Großen abziehen, hilflos ausgeliefert sind. Ich hab‘ nie vergessen, wie sich das anfühlt, ein kleiner Junge mit großen Träumen zu sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Leben und die Träume von Kindern kaputtgemacht werden.
Glaubst du an eine gute Zukunft für unsere Kinder auf diesem Planeten?
Lindenberg: Wenn ich nicht daran glauben würde, könnte ich mir ja gleich die Kugel geben. Greta und Co. zeigen uns, dass Veränderung möglich ist, und dass es sich lohnt, zu kämpfen.
Klar, es ist ganz schön düster auf der Welt, Krisen, Kriege, Katastrophen überall. Manchen Leuten ist das alles zu kompliziert und sie setzen deshalb braune Brillen auf.
Aber Corona hat mir neulich zugeflüstert: Umdenken ist möglich!! Wenn unsere Kinder nicht die letzte Generation auf diesem Planeten sein sollen, muss endlich international gehandelt werden.
Stopp Klimawandel und Kriege, Schluss mit Egomanie und Profitdenken. Die Pandemie zeigt ja, dass vieles geht, was vorher undenkbar war. Lasst uns weltweit neue Prioritäten setzen! Kinderrechte sind Zukunftsrechte.
Was wünschst du dir für jedes Kind?
Lindenberg: Dass die Frage "Wozu sind Kriege da?" irgendwann nicht mehr gestellt werden muss. Krieg ist das Schlimmste, was einem Kind passieren kann. Jedes Kind braucht Frieden, Respekt und Gerechtigkeit. Und Leute, von denen es etwas lernen kann. Sonst haste schon verloren, bevor es überhaupt richtig losgeht.
UNICEF kämpft mit voller Power dafür, dass kein Kind zurückgelassen wird und alle faire Chancen haben. Die sind überall auf der Welt am Start, in Moria, in Syrien, in Somalia, Äthiopien, Sudan, Niger, Jemen ... Das Virus schlägt dort mit voller Härte zu.
Helft doch jetzt mit, Leute – jetzt Weihnachten, Liebe, Frieden und ... Geschenke. Ja, Nächstenliebe! Bitte auch ne Spende für die Kids. Die Kids brauchen unseren vollen Support, wir wollen sie nicht hängen lassen – keiner bleibt zurück – hier Klingeling, Geschenke auspacken, viel scheinheilige Nacht – aber schauen wir nicht weg: Anderswo auf dieser Welt geht‘s ums nackte Überleben.
Was muss sich konkret verändern für eine gerechtere Welt, und was lässt dich hoffen?
Lindenberg: Wenn unser kleiner blauer Planet eine Zukunft haben soll, müssen wir dafür sorgen, dass alle Kinder gesund aufwachsen und was lernen können. Bis heute leben eine Milliarde Kinder in Ländern, die davon noch weit entfernt sind.
Die Wurzel allen Elends auf der Welt sind Waffen, Gewalt, Ungerechtigkeit und Engstirnigkeit. Kriege sind keine Naturgewalten, sie sind vom Menschen gemacht. Deshalb können wir auch etwas daran ändern. Jetzt wo die Welt den Atem anhält, ist doch die beste Zeit für nen Neustart, für ganz neue Wege, Utopien und Visionen!!
Eine andere Welt ist ja möglich, das wissen Politökonom:innen, Zukunftsforscher:innen, Klimaforscher:innen und Soziolog:innen schon lange. Und auch, dass es für einen radikalen Wandel immer eine Krise braucht. Wenn Utopien zum Vorverlegen da sind, wie könnte das aussehen:
Weltweiter Waffenstillstand, und die ganze Rüstungskohle nutzen, um die Gesellschaft und die von uns ausgebeuteten Länder wiederaufzubauen. Nahrung und Ressourcen – ist doch für alle genug da, du musst es nur fair verteilen – und gleiche Bildungschancen für alle! Weniger produzieren, nur das, was gebraucht wird. Kein Wachstums-Exzess mehr, nachhaltig wirtschaften.
Mehr fürs große Ganze denken statt ans persönliche Ego (und Schluss mit: Jeder macht den anderen platt) für eine Gesellschaft, in der ALLE zählen, eine Welt, die auf Menschlichkeit, Solidarität und gemeinsamen sozialen Werten aufgebaut ist – mit reichlich Rock’n‘roll und Toleranz, positiver Power und Respekt – in so ne Richtung, das kriegen wir doch hin!! Jetzt ist die Zeit dafür!!! Let's do it!
Danke Udo für dieses Gespräch. Und herzlichen Glückwunsch zum "UNICEF Ehrenpreis Kinderrechte"!