Hier macht Lernen Spaß
Besuch bei einer kinderfreundlichen Grundschule in Sri Lanka
Zum Abschluss meiner Berichte möchte ich Sie mitnehmen zu meinem fröhlichsten Besuch. Wir fahren zu der kleinen Grundschule von Thispanekanda in den Höhen der Teeregion.
Die Schule liegt auf der Strecke zwischen den beiden touristischen Knotenpunkten Kandy und Nuwara Eliya. Zu beiden Städten sind es zwar nur cirka 45 Kilometer, aber bei den engen Windungen, mit denen sich die Sträßchen durch die landschaftlich hinreißenden Berge schlängeln, dauert unsere Anfahrt von Kandy mit dem Auto knapp zwei Stunden.
Das Dorf Thispanekanda ist von weitläufigen Teeplantagen umgeben. Die Dorfbevölkerung besteht zu 60 Prozent aus Menschen, die keine Arbeit auf den Teeplantagen haben. Das bedeutet, dass sie de facto gar keine Arbeit haben. Die restlichen 40 Prozent sind teils Teeplantagenarbeiter sowie einige Regierungsangestellte und Inhaber kleiner Läden.
Die Menschen, die nicht auf den Teeplantagen arbeiten oder wohnen, sind die allerärmsten der Region. Für sie ist noch nicht einmal die Grundversorgung im Hinblick auf einfache Unterkünfte, eine medizinische Behandlung, die Betreuung der Kleinkinder und eine Vor- bzw. Grundschulbildung ihrer Kinder sichergestellt.
Kleine Schulen von Schließung bedroht
Ein nicht unwesentlicher Faktor bei der Vor- bzw. Grundschulbildung der Kinder ist der allmähliche Ausbau des Straßen- und Bussystems. Dieser hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder mit dem Bus oder dem Dreirad zu weiter entfernt liegenden Grundschulen in größeren Gemeinden schicken. Die vorhandenen Grundschulen verlieren dadurch immer mehr Schüler – ihnen droht eine komplette Schließung aus Kostengründen. Damit verschlechtert sich der Zugang zu frühkindlicher Bildung für die Kinder aus den besonders verletzlichen, armen Familien noch mehr. Oder er wird gar unmöglich.
Wegen dieses neuen Trends, die Kinder weiter weg einzuschulen, drohte das Schicksal der Schließung auch der Thispanekanda Primary School. Im Jahre 2011 bestand sie lediglich noch aus elf Schülern in fünf Klassen. Alle Schüler waren Kinder aus besonders armen Familien. Eine Schulschließung hätte bedeutet, sie von schulischer Erziehung quasi auszuschließen und sie zurückzulassen, so berichtet der quirlige Rektor gleich zu Beginn unseres Besuchs. Denn die Eltern haben schlichtweg kein Geld, um lange Anfahrtswege zu bezahlen.
Auf Intervention und mit der finanziellen Unterstützung von UNICEF Sri Lanka konnte dies verhindert werden. UNICEF überzeugte die zuständigen Schulbehörden der Region davon, eine Vorschulklasse in der Grundschule zu eröffnen. Offiziell war das parallele Unterrichten von Vorschulkindern und Grundschulkindern bis zu diesem Zeitpunkt nicht gestattet. UNICEF gelang es jedoch, einen Testfall genehmigen zu lassen und bezahlte den Ausbau eines Klassenzimmers für eine Vorschulklasse. Die Kosten dafür beliefen sich auf 250.000 Srilankische Rupien, das sind knapp 1.700 Euro.
Kinderfreundliche Erziehung fängt schon im Vorschulalter an
Eine Erzieherin wurde ebenfalls für die Thispanekanda Schule angestellt und gemeinsam mit weiteren 30 Lehrern nach dem kinderfreundlichen Ansatz in Vorschulkonzepten, gewaltfreier Erziehung, Erstellung von preiswerten Unterrichtsmaterialien, koedukativem Unterrichten unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen religiösen Herkünfte, etc. ausgebildet.
Auch diese Ausbildung wurde von UNICEF finanziell unterstützt und von der regionalen Schulbehörde umgesetzt. Zugleich taten sich UNICEF und die Gemeinden zusammen, um die Menschen in den Dörfern der Region über die Wichtigkeit frühkindlicher Erziehung aufzuklären. Das Konzept von UNICEF zielte darauf ab, ein gutes Beispiel zu schaffen. Die Idee, Vorschulklassen in Grundschulen zu integrieren, die von der Schließung bedroht sind, sollte sich flächendeckend durchsetzen.
Thispanekanda Grundschule – Eine kleine Schule wird wieder belebt
Nun aber zurück zur Thispanekanda Grundschule und zu der Frage, ob die Rechnung aufgegangen ist und was sich seit der Einführung der Vorschulklasse an der Schule verändert hat.
Der Rektor, der Englischlehrer und die Vorschulerzieherin erzählen abwechselnd und mit einer solch ansteckenden Freude und Begeisterung, dass ich kaum dazu komme, mir Notizen zu machen, sondern nur noch per Kamera festhalte, was sie mir alles zeigen. Alle sieben Lehrer haben zwischenzeitlich Lehrgänge in kinderfreundlicher Erziehung absolviert, die Maximen stehen gleich an der Wand zum Hauptgebäude neben der Sri Lanka Karte.
Die Hauptforderungen der kinderfreundlichen Thispanekanda Grundschule
Eine integrative Einbeziehung aller Kinder.
Gut ausgebildete Lehrer.
Gute hygienische Bedingungen im Hinblick auf Wasserversorgung und Toiletten.
Eine beschützende, gewaltfreie Lernumgebung.
Die Beteiligung der Eltern, Lehrer und der Bevölkerung am schulischen Leben.
Der Anspruch, die Lücke zwischen Realität und Anspruch durch dauerhafte Weiterentwicklung zu füllen.
Der Englischlehrer erklärt mir die Hauptforderungen kinderfreundlicher Erziehung. Und all das finde ich umgesetzt! Ich sehe blitzbanke, liebevoll dekorierte Waschbecken und Toiletten, einen überhaupt sehr ordentlichen Schulhof, einen toll gepflegten Gemüsegarten, sorgfältige Mülltrennung und vieles mehr.
Wer dies alles in Schuss hält, möchte ich wissen? Die Antwort erstaunt mich: „Die Eltern.“ Sie kommen morgens vor Schulbeginn, um den Schulhof und die Toiletten in Ordnung zu halten, und nach der Arbeit, um im Schulgarten mitzuhelfen. Die Lehrer helfen hier ebenfalls mit. Das Gemüse aus dem Gemüsegarten wird verkauft, um neue Dinge für die Schule anschaffen zu können und um besonders armen Kindern Schuhe, Hefte, Bücher, Bleistifte, Regenschirme und anderes zu kaufen.
Zwar sind der Schulbesuch frei und die Schuluniform wird gestellt, aber Schuhe und Materialien müssen die Familien selbst kaufen. Den Regenschirm finde ich merkwürdig bei dieser Aufzählung – nachdem ich jedoch einmal erlebt habe, wie Hunderte weiß uniformierter, beschirmter Schulkinder bei tropischem Regen nach Schulschluss zu den Bushaltestellen stürmten, wurde mir klar, warum er quasi zur Uniform dazu gehört.
Gemeinsamer Einsatz von Lehrern, Eltern und Schülern
Die Lehrer zeigen mir stolz das Kassenbuch, in dem alle Einnahmen aus den Gemüseverkäufen sorgfältig aufgelistet sind und nach dem „4-Augen-Prinzip“ protokolliert werden. Mit dem Geld hat die Schule auch ein überdachtes „Grünes Klassenzimmer“ angelegt. Alle Klassen nutzen diesen herrlichen Klassenraum abwechselnd. In einem weiteren nicht überdachten Freilicht-Klassenzimmer findet gerade der Unterricht der vierten Klasse statt.
UNICEF hat bei der Anschaffung einiger weniger Computer und der Geräte auf dem Schulspielplatz finanziell unterstützt sowie beim Bau eines Werkraums (Activity Room) im Freien. Inklusive einer Dusche zum Säubern nach Töpfer- und Malarbeiten! Diese haben die Eltern gebaut.
Der Rundgang führt dann durch verschiedene Klassenzimmer. Alle Kinder haben zu unserer Begrüßung etwas vorbereitet, ein Lied oder eine kurze Vorführung. Sie sind genauso begeistert wie ich! Und zeigen mir stolz ihre Bilder, ihr Spielzeug und den Schrank, in dem alles verstaut wird, auch die ganz einfachen Dinge wie Nüsse, Samen und Streichholzschachteln für den Rechenunterricht.
Besonders gelungen finde ich auch diese Idee: um Schulfehlzeiten zu verringern, bekommen die Kinder Malblätter, in denen an jedem Schultag eines Monats ein Teil des Bildes bunt auszumalen ist. Wer fehlt, darf nicht ausmalen, das Bild bleibt weiß. Da alle Kinder ein möglichst vollständiges buntes Bild am Ende eines Monats haben möchten, verpassen sie nur ungern einen Schultag!
Zum Abschluss unseres Besuchs gehen wir in die Klasse für die Vorschüler. In 2012, zu Beginn des Experiments, hätten hier drei Kinder begonnen, erzählt der Rektor. Heute seien es elf! Insgesamt wird die Schule heute von 77 Schülern besucht und von einer Schließung ist keine Rede mehr. Die ehemals sehr benachteiligten Kinder des Dorfes erhalten hier heute eine beispielhafte Ersterziehung. Übrigens bleiben auch ältere Schüler der Schule treu und kommen in ihrer Freizeit hierher, um den Garten zu pflegen und ihre Freizeit zu verbringen.
Das Beispiel macht Schule
Mein UNICEF-Kollege Sugath berichtet, dass das Beispiel der Thispanekanda Grundschule im wahrsten Sinne des Wortes Schule gemacht hat: Die Schulbehörden seien so überzeugt von dem Erfolg gewesen, dass mittlerweile in jeder Grundschule mit weniger als 50 Schülern in der Region Nuwara Eliya eine Vorschulklasse eingerichtet werde. Damit hätten mehrere hundert Vorschulkinder aus den abgelegensten Gebieten nun Zugang zu kinderfreundlicher, qualitativ hochwertiger Früherziehung und einen guten Einstieg in ihre schulische Entwicklung.
Mit diesen positiven Ergebnissen und fröhlichen Bildern und einem nachdenklichen kurzen Fazit beende ich meine Blogserie aus Sri Lanka. Einem wunderschönen Land, das einerseits im wirtschaftlichen Aufschwung steht, andererseits aber noch viele strukturelle und Nachkriegsprobleme bewältigen muss. Die Rolle von UNICEF im Land ist gerade auch in dieser Phase extrem wichtig – wie man an diesem Schulbeispiel gut nachvollziehen kann.
Ohne das Einwirken von UNICEF gemeinsam mit den Regierungsbehörden hätte der Ausbau der Infrastruktur mittelfristig dazu geführt, dass gerade die ärmsten und benachteiligsten Kinder im Hochland vom Bildungssystem ausgeschlossen und zurückgelassen worden wären. So aber haben nun auch diese Kinder einen Zugang zu Bildung von kleinauf und damit die Chance auf Teilhabe am gemeinsamen Aufschwung und auf eine bessere Zukunft, wie sie sich jeder in diesem Land wünscht.
Lesen Sie alle Blogbeiträge unserer Kollegin Beate Jung aus Sri Lanka.