Auch Kinder von Teepflückern haben Rechte!
Zu Besuch im Anwick-Kinderrechte-Club
Am Morgen hatte ich beim Besuch der Mother Support Group im Dorf Kothmale viele sehr positive Eindrücke gewonnen. Am Nachmittag desselben Tages sehe und erfahre ich, wie groß die Not der Menschen ist, die unmittelbar in den riesigen Plantagen leben, um dort den Tee zu pflücken.
So wunderschön und kultiviert die Landschaft auch anzuschauen ist - die Arbeit dort ist eine Plackerei. Schon die Anfahrt zeigt mir, wie abgeschieden die Menschen dort leben. Unsere Fahrt geht zum Anwick Tea Estate, ca. 18 km von Nuwara Elyia entfernt. Hier leben vor allem Tamilen indischer Abstammung, denn die ersten Tee-, Kaffee- und Gummiarbeiter waren im 19. Jahrhundert von den britischen Plantagenbesitzern aus Südindien geholt worden. Ohne Lohn, lediglich gegen spärliche Versorgung und schlechte Unterkunft, waren sie damals für die körperlich sehr harte Arbeit eingesetzt worden.
Harte Arbeit in den Teeplantagen
Seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts sind die Arbeiter gewerkschaftlich organisiert. Ihr Verdienst ist trotzdem immer noch sehr gering, und ihre Unterkünfte sind äußerst ärmlich. Die festgelegten Arbeitszeiten sind von 8.00 bis 16.30 Uhr. In dieser Zeit müssen 18 Kilogramm Teeblätter gezupft und beim Vorsteher abgeliefert werden - das sind in etwa zwei große Säcke. Die Frauen pflücken, die Männer halten die Plantagen in Stand.
Häufig haben die Paare drei und mehr Kinder. Die Kinder werden von klein auf zunächst in Krippen betreut und gehen dann im Alter von sechs Jahren in die Schule. Die Einschulungsquote ist hoch, doch es gibt viele schulische Fehlzeiten und Schulschwänzer („dropouts“). Vor allem die Betreuung für die Jüngsten ist schlecht: Es gibt zu wenig Vorschulen. Stattdessen werden die Kleinkinder von den arbeitenden Müttern in traditionelle Krippen („cratches“) gegeben. Dort betreuen nur zwei nicht sonderlich qualifizierte Krippenmütter ca. 20 Babys und Kleinkinder.
Schlechte Startbedingungen für Kinder
Es gibt einige typische Probleme, die UNICEF gemeinsam mit der Partnerorganisation PALM angeht: Alkoholismus sowohl bei Männern als auch bei Frauen, innerfamiliäre Gewalt und Kindesmissbrauch, schlechte Hygiene und eine unterdurchschnittliche frühkindliche Entwicklung. In den letzten Jahren verlassen auch viele der Frauen ihre Familien mit den oft noch kleinen Kindern, um in den reichen Ländern des Mittleren Ostens (Qatar, Dubai, Oman, Vereinigte Arabische Emirate) als Hausmädchen zu arbeiten und verhältnismäßig viel Geld zu verdienen. Bisweilen bleiben sie ganz in der Ferne und gründen eine neue Familie; dann kann es durchaus vorkommen, dass der zurückgebliebene Ehemann sich die älteste Tochter zur Frau nimmt.
Der Jugendclub im Anwick Tea Estate
Wir besuchen einen Jugendclub im Anwick Estate, der in einem gemeinsamen Kinderschutzprojekt von PALM und UNICEF aufgebaut wurde. Es gibt in der Region noch zwei weitere Clubs. Insgesamt beteiligen sich zur Zeit mehr als 40 Jungen und Mädchen regelmäßig am Clubleben. Sie organisieren kulturelle Programme, Sportwettkämpfe, Tanzkurse und ähnliches für die Kinder ihrer Plantage. Der Leiter des Jugendclubs – der Lehrer Yogandhan, der in der Plantage lebt – hat zusammen mit den Jugendlichen ein tolles Begrüßungsprogramm zusammengestellt. Wieder einmal bekomme ich eine Blumengirlande bei unserer Ankunft, werde dann unter dem großen Interesse nicht nur jugendlicher Besucher in die „Bibliothek“ geführt, die dem Club als Treffpunkt dient. Außerdem darf ich – wie bei hinduistischen Zeremonien üblich – zu Beginn des Treffens eine Kerze anzünden und erlebe dann mit Hingabe tanzende Mädchen, singende Kinder und in sehr gutem Englisch von ihnen vorgetragene Forderungen.
Die Jugendlichen nutzen den Anlass für ihre Forderungen
Denn diese Kinder wollen sich nicht nur präsentieren. Sie zeigen, welche vielseitigen Talente in ihnen schlummern. Sie verstehen sich nämlich als „Estate Child Right Club“ und haben ein ziemlich klares Bild ihrer Lage. Den heutigen Tag sehen sie als eine willkommene Chance, ihren Problemen, Fragen und Wünschen eine Bühne zu geben. Außer mir sind zudem noch mein sri-lankischer UNICEF-Kollege Sugath und ein Vertreter der PALM Foundation anwesend. Immer wieder, so beschweren sich gleich mehrere Jugendliche, müssten sie ihren Clubraum räumen, weil der von den Anwohnern für alle möglichen Anlässe genutzt werde. Das solle aufhören! Und was sie mit ihrer schulischen Ausbildung machen sollen, fragen sie. Wofür O-Levels (Mittlere Reife) oder gar A-Levels (Abitur), wenn sie danach doch nur von ihren Familien gezwungen würden, auf den Teeplantagen zu arbeiten und kein Geld zum Studieren da sei?
Gemeinsam stehen Sugath und ich Rede und Antwort, wir werden ganz schön in die Zange genommen. Die Ursachen sind komplex, und es gibt keine einfachen Antworten, zumal wir nicht für alle Beschwerden die richtige Adresse sind.
Konkrete Abhilfe ließe sich sicherlich am ehesten schaffen gegen die spärlich bestückte englische Büchersammlung in der Bibliothek, so denke ich für mich – denn auch dies ist eine Beschwerde der Kinder, die die wenigen vorhandenen Bücher in- und auswendig kennen.
Einblicke in die Lebenswirklichkeit der Teepflücker
Nach der intensiven Diskussion gehen wir in Begleitung des Lehrers und einiger Kinder durch die Anlage. So kann ich mir ein eigenes Bild von den Behausungen machen, den so genannten „Linehouses“ – das sind traditionelle Häuser, die häufig über hundert Jahr alt sind. Sie werden so genannt, weil es sich um Reihenhäuser handelt, von denen je zehn Stück in einer Linie aneinander gebaut werden. Jeder Familie steht auf ca. 20 Quadratmetern im vorderen Bereich eine kleine Küche zur Verfügung. Dahinter gibt es ein gemeinsames Schlafzimmer mit einem Bett für alle. Die wirklich nicht sehr einladenden Toiletten sind außerhalb des Gebäudes. Auf der Rückseite sind weitere zehn Reihenhäuser angebaut. Die Zwischenwände zur Seite und nach hinten sind dünn wie Pappe – Privatssphäre gleich Null.
Erfolge bieten Grund zum Optimismus
Bei aller Ärmlichkeit und Tristesse: Es gibt auch Erfolge zu berichten! Seit der Gründung des Jugendclubs im Jahr 2011 ist die Zahl der Kinder, die nicht oder unregelmäßig zur Schule gehen, stark zurückgegangen. Es gibt im Gegensatz zu früher auch keine Fälle von Kinderarbeit mehr. Und in den letzten zwei Jahren sind keine Fälle von Kindesmissbrauch gemeldet worden. Auf jeden Fall sind die Kinder und Jugendlichen deutlich besser über ihre Rechte informiert und haben insgesamt mehr Informationen über Bildungs- und Gesundheitsprogramme, die sie in Anspruch nehmen können.
Sicherlich gibt es noch viel zu tun – aber der Mut, der Stolz und die beeindruckenden sprachlichen Fähigkeiten, mit denen diese Jugendlichen ihre Stimmen an diesem Nachmittag erhoben haben, stimmen mich optimistisch.
Lesen Sie alle Blogbeiträge unserer Kollegin Beate Jung aus Sri Lanka.