Nepal: Die Kinder im Nach-Beben-Land, Teil 2
Sechs Monate nach den schweren Erdbeben in Nepal ist UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider in das kleine asiatische Land gereist und hat beeindruckende Bilder und bewegende Geschichten mitgebracht.
In dem halben Jahr nach dem ersten großen Erdbeben hat UNICEF bereits vielen Menschen und vor allem Kindern geholfen. Doch Hunderttausende leiden immer noch unter den Folgen der Katastrophe, und nun steht der Winter vor der Tür.
Lesen Sie in unserer Blog-Serie „Nepal: Die Kinder im Nach-Beben-Land“, wie sich die Menschen im Obdachlosen-Lager in Kathmandu gegenseitig helfen, wie die erste Baby-Generation nach den Beben das Licht der Welt erblickt hat und wie die starken Frauen im Bergdorf Bhirkot für ihre Kinder kämpfen.
Teil 2: Besuch in Charikot: Ein Schreckmoment, Gespräche mit Jugendlichen und die erste Generation nach den Beben
Bamm. Es ist kurz, nur ein, zwei Wimpernschläge lang. Aber auch ein Beben der Stärke 4,2 auf der Richterskala reicht aus, um mich ansatzweise spüren zu lassen, wie sich die Familien an jenen April- und Maitagen gefühlt haben müssen: der Naturgewalt ausgesetzt, verwirrt, ängstlich. Zweimal knallt es und zittert während meines Besuches im Distrikt Dolakha nordöstlich von Kathmandu die Erde. Hier lag das Epizentrum des zweiten Bebens, das von der Weltöffentlichkeit kaum noch wahrgenommen wurde, hier aber Leben beendet und Tausende Familien weiter in die Armut getrieben hat.
Und plötzlich ist er wieder da, der 12 Mai. Gemeinsam mit Tess Page, Vorstandsvorsitzende der United Internet for UNICEF-Stiftung, die 1,25 Millionen Euro für die UNICEF-Nothilfe mobilisieren konnte, treffe ich in der Stadt Charikot Jugendliche, die Gleichaltrigen helfen, über die Schrecken der Katastrophe hinweg zu kommen. Die jungen Leute berichten von ihrem UNICEF-Training: „Wir haben gelernt, mit der Situation umzugehen, mit unserer Angst und dem Schrecken, und auch, wie wir mit anderen Jugendlichen darüber sprechen können. Wie wir ihnen Zuwendung zeigen“, sagt eines der Mädchen. Bis heute helfen sie anderen Jugendlichen und Kindern, sich wieder aufzuschließen, die Schrecken der Katastrophe zu verarbeiten, ihre Ängste offenzulegen, den emotionalen Stress abzubauen.
So haben die Jugendlichen selbst in der Stadt und in ihren Siedlungen mit Unterstützung durch UNICEF wertvolle Hilfe geleistet, „nachdem wir selbst erfahren haben, wie gut es uns tut“, wie ein anderer Jugendlicher sagt.
Wie sehr ihre eigene Seele durch das furchtbare Beben ins Wanken gekommen ist, merken wir Chhiring Chhoti Sherpa an. Die 19-Jährige erzählt plötzlich, wie sie selbst sich im Mai direkt nach dem Beben voller Verzweiflung auf den Weg zum Dorf ihrer Eltern gemacht hat. „Vor mir, hinter mir, stürzten auf dem Weg immer noch weitere Häuser zusammen. Ich sah viele Verletzte unter den Trümmern, denen ich nicht helfen konnte, auch Tote. Ich war mir sicher, dass auch meine Eltern tot sind“, berichtet sie fast atemlos von ihrem stundenlangen Weg nach Hause. Chhirings Eltern hatten Glück und überlebten, aber ein Cousin kam ums Leben. Und dann stehen die Tränen in den Augen von Chhiring.
Ein sicherer Ort für die ersten Stunden des Lebens
Nur wenige hundert Meter weiter, unterhalb des Distriktkrankenhauses, stehen UNICEF-Zelte. Sie wurden als Notambulanz gleich nach dem Beben genutzt, denn aufgrund der Nachbeben war es im Krankenhaus selbst viel zu gefährlich. Gleich nebenan hat UNICEF in zwei weiteren Zelten einen Shelter für Schwangere und Mütter mit ihren Neugeborenen eingerichtet. Ein einfacher Ort der Sicherheit, an dem die Mütter bis zur Geburt und einige Tage danach bleiben können „Ich bin so stolz, hier die Mütter versorgen zu können", sagt mir die 19-jährige Krankenschwester Swosthani Shrestha. 449 Mütter wurden hier seit dem Frühjahr betreut, ihre Kinder sind die erste Generation Nepals nach dem großen Beben.
Auch hier berichten die Mütter, dass ihr Zuhause zerstört ist und sie nun im Zelt leben. Wie wichtig ist da ein Ort der Zuwendung, an dem sie mit anderen Müttern, aber auch gemeinsam mit ihren Männern oder anderen Verwandten, auf die Geburt warten können und versorgt werden. "Wie schwer es auch sein mag, ich werde alles dafür tun, dass er gut groß werden kann", sagt die stolze Großmutter eines kleinen Jungen im ersten Bett links. Die Sonne wärmt den kleinen Jungen in seiner Decke, die junge Mutter und der Vater sind froh. Er ist einen Tag alt – Familienglück, nachdem alle so viel mitgemacht haben.
UNICEF-Hilfe für 10.000 Mütter und ihre Babys
Das Zelt in Charikot ist, vom lautstarken Geschrei der Säuglinge abgesehen, ein unspektakulärer Ort. Aber mit einfachen Zentren wie diesen und 21 weiteren in den besonders betroffenen Distrikten hat UNICEF seit dem Frühjahr fast 10.000 Müttern eine sichere Geburt ermöglicht – und ihren Kindern einen guten Start ins Leben. Diese UNICEF-Hilfe erreicht vor allem die Familien, die besonders darauf angewiesen sind: Etwa jede sechste dieser Mütter stammt allein aus der benachteiligten Kaste der Dalit.
Die Trümmer der Häuser sind längst nicht alle aus dem Weg geräumt. Für Millionen Kinder geht es vor allem darum, dass sie nun nicht noch weiter in die Armut abrutschen. Für Tomoo Hozumi, unseren japanischen UNICEF-Leiter in Nepal, kommt es darauf an, eine Infrastruktur zu schaffen, die allen Kindern eine faire Chance gibt, gerade nach der furchtbaren Katastrophe. UNICEF, seit vier Jahrzehnten in Nepal für Kinder im Einsatz, arbeitet zum Beispiel mit Hochdruck daran, 74 einfache Gesundheitsstationen aus vorgefertigten Bauteilen aufzubauen – "damit die Menschen nicht Jahre auf eine gute Gesundheitsversorgung warten müssen."
Serie: Die Kinder im Nach-Beben-Land
Lesen Sie alle drei Artikel von Christian Schneiders Reise in das von Erdbeben so schwer getroffene Nepal.
» Teil 1: Besuch im Obdachlosen-Lager in Kathmandu
» Teil 2: Besuch in Charikot: Ein Schreckmoment, Gespräche mit Jugendlichen und die erste Generation nach den Beben