Venezuela: Endlich wieder vereint
Janderson stammt aus Venezuela. Doch weil dort eine Wirtschaftskrise herrscht, flüchtete seine Mutter nach Ecuador, um dort Arbeit zu suchen. Der Elfjährige blieb mit seiner Großmutter zu Hause – bis jetzt
Elf Tage dauert die Reise mit dem Bus – für Janderson viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Manchmal erinnert er sich an sein Zuhause in Venezuelas Hauptstadt Caracas, an alles, was er verlässt: seine Freunde, die Schule, sogar seinen Hund. Das macht ihn so traurig, dass er schnell versucht, nach vorn zu blicken und an sein Ziel zu denken: Quito, die Hauptstadt von Ecuador.
Dort leben seine Mutter und sein sechsjähriger Bruder Yubrain schon seit gut einem halben Jahr, um Geld zu verdienen. Denn ihr Heimatland Venezuela steckt seit Jahren in einer schlimmen Wirtschaftskrise. Alles ist knapp: Brot, Benzin, Toilettenpapier. Und was es noch zu kaufen gibt, ist so teuer, dass viele Menschen es sich nicht mehr leisten können. Auch Jandersons Familie verarmte. Als sie keinen anderen Ausweg mehr sah, flüchtete die Mutter mit Yubrain.
Der elfjährige Janderson blieb bei seiner Großmutter in der alten Heimat. Nun sitzt er neben ihr im Bus und starrt aus dem Fenster. Draußen ruckeln grüne Hügel, Berge und Wiesen vorbei. Schließlich werden die Straßen breiter, hohe Häuser recken sich in den Himmel, Autos hupen. Sie sind endlich in Quito angekommen.
Hier erwarten ihn seine Mutter Olga und Yubrain. „Ich war so, so glücklich, als ich die beiden wiedergesehen habe. Ich habe geweint und sie umarmt“, erzählt Janderson. Doch was dann folgt, ist ernüchternd. Die Familie – dazu gehört auch sein Stiefvater Luis – lebt in einer kleinen, dunklen Wohnung in einem großen Haus. Im Treppenhaus verkaufen junge Männer Drogen. Janderson darf mit niemandem reden. Neue Freunde zu finden ist schwierig. Denn wegen der Corona-Pandemie fällt die Schule aus. Stattdessen bekommt Janderson von einer Lehrerin Aufgaben auf das Handy seiner Mutter geschickt, die er bearbeiten soll.
Die Tage gleichen sich so sehr, dass sie sich ziehen wie Kaugummi. Früh um sieben steht Janderson auf, isst ein paar Maisfladen, erledigt Schulaufgaben oder hilft seiner Mutter. Sie verkauft morgens an der Straße Kaffee und Empanadas, gefüllte Teigtaschen, und später Hot Dogs. Wie das Geschäft läuft, erkennt der Junge an seinem Mittagessen: An schlechten Tagen gibt es nur Reis, läuft es gut, serviert seine Mutter dazu Bohnen, Kochbananen und Hühnchen.
Abwechslung bringt einzig ein von UNICEF unterstützter Workshop. In einem großen Haus mit Garten treffen sich Kinder und Jugendliche, um gemeinsam zu singen, zu tanzen und zu malen. Manchmal sprechen sie auch mit Psychologinnen über ihre Probleme. Hier lernt Janderson endlich andere Jungen und Mädchen kennen, denen es geht wie ihm. Davon gibt es viele: Hunderttausende Menschen sind bereits von Venezuela nach Ecuador geflohen.
Janderson bedauert, dass er nicht jeden Tag zu dem Workshop kommen kann. Er hofft, dass zumindest die Schule bald wieder öffnet. Dann könnte er in seiner neuen Heimat endlich richtig ankommen.