Syrien: Ein Leben im Krieg
Seit zehn Jahren herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Kämpfe und Bomben, Flucht und Armut bestimmen seitdem das Leben vieler Mädchen und Jungen. Lest hier, was vier von ihnen durchgemacht haben – und wie sie wieder neuen Mut schöpfen.
Der Krieg beginnt mit einem Grafitti. „Nieder mit dem Präsidenten“ haben zwei 14-jährige Jungen an die Mauer ihrer Schule gesprüht. Sie hoffen, dass die Demokratiebewegung „Arabischer Frühling“ in Syrien zu mehr Freiheit führt – wie unzählige Menschen in anderen arabischen Ländern auch. Dass Männer und Frauen, die den Staatspräsidenten Baschar al-Assad kritisieren, nicht länger in Gefängnissen verschwinden. Dass die Bürger frei wählen dürfen, wer das Land regieren soll.
Doch es kommt anders. Präsident Baschar al-Assad lässt die beiden Jungen ins Gefängnis werfen. Er sagt: „Aufruhr niederzuschlagen ist eine Pflicht. In dieser Sache gibt es keinen Kompromiss oder Mittelweg.“ Zehn Jahre ist das her.
Die Menschen sind entsetzt und protestieren auf der Straße gegen diese Grausamkeit, fordern lautstark Freiheit. Es kommt zu Massenverhaftungen, Kämpfe flammen auf. Bald fallen Bomben, Menschen sterben, und viele Familie fliehen.
Das UN-Kinderhilfswerk schätzt, dass der Bürgerkrieg inzwischen rund 400 000 Menschen das Leben gekostet hat. Hinzu kommen unzählige Verletzte. Seit 2011 haben mehr als 6,6 Millionen Syrerinnen und Syrer ihr Heimatland verlassen. Die meisten sind in den Nachbarstaaten Türkei, Libanon und Jordanien untergekommen. Ungefähr noch einmal so viele mussten innerhalb des Landes fliehen. Laut UNICEF haben fünf Millionen Kinder ihr Zuhause verloren. Ob sie je zurückkommen können, ist ungewiss.
Trotzdem blicken viele von ihnen tapfer nach vorn – wie Muhammad, der einfach froh ist, nicht mehr unter freiem Himmel schlafen zu müssen, und Hanaa, die fleißig lernt, um Physiotherapeutin zu werden.
Yamin und seine Familie müssen schnell fliehen, als die Gefechte auch in seiner Heimatstadt Hama näher rücken. Mit kaum mehr als der Kleidung am Leib retten sie sich in den Norden und finden Unterschlupf in einem notdürftig aufgestellten Flüchtlingslager nahe der türkischen Grenze. Nur Bettlaken und Handtücher schützen die Familie hier vor Wind und Wetter. Der Achtjährige ist froh, in Sicherheit zu sein. Dennoch trauert er um alles, was er zurücklassen musste – auch um sein Fahrrad, das er gerade erst geschenkt bekommen hatte.
Hanaa lebt in Aleppo. Die zweitgrößte Stadt des Landes ist hart umkämpft. Als eine Bombe explodiert, wird Hanaa verletzt. Sie ist gelähmt, kann ihre Beine nicht bewegen. Monatelang verkriecht sie sich zu Hause, hat Angst, mag nicht einmal mit ihren Schwestern spielen. Doch dann bringen Freiwillige sie in ein Kinderzentrum von UNICEF. Hier atmet sie auf, beginnt zu zeichnen, zu singen. Sie bekommt Krankengymnastik und lernt mit dem Rollstuhl umzugehen. Inzwischen blickt Hanaa wieder nach vorn. Die Schule gibt ihr neuen Mut und ein Ziel: Sie möchte Physiotherapeutin werden und Kindern helfen, so wie ihr geholfen wurde.
Ende 2018 erreicht der Krieg auch den äußersten Osten des Landes, und damit Muhammads Heimatdorf. Soldaten zerstören die meisten Häuser, auch das von Muhammads Familie. Der Zwölfjährige, seine Eltern und drei Geschwister graben Mulden in die Erde, um darin zu schlafen. Doch dann gelingt die Flucht: Drei Tage hockt die Familie auf der Ladefläche eines Transporters, das Donnern der Geschütze in den Ohren, ungeschützt vor Regen oder Wind – und voller Angst. 300 Kilometer rumpeln sie nach Norden bis zum Flüchtlingscamp Al-Hol. Sie sind nicht die Einzigen: Aus den anfangs 10.000 Campbewohnerinnen und -bewohnern werden in kurzer Zeit über 70.000. Familienzelte gibt es nicht mehr. Die sechs Geflüchteten kommen in einem großen Sammelzelt unter. Muhammad ist trotzdem erleichtert: Er hat wieder ein Dach über dem Kopf.
Frieden? Den hat Kinda noch nie erlebt. Als Kleinkind muss sie mit ihrer Familie aus ihrem
Heimatdorf nahe der Stadt Aleppo fliehen. Ihr Vater wird verschleppt. Mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern rettet sie sich von Ort zu Ort. Schließlich, im Jahr 2017, als in ihrem Dorf wieder Ruhe eingekehrt ist, wollen sie heimkehren. Dafür verkauft die Familie ihre letzten Habseligkeiten an einen Schlepper, einen Mann, der sie durch das Kriegsgewirr leiten soll. Die Schüsse und Bomben sind nah. Mit nichts als Badelatschen an den Füßen laufen sie Kilometer um Kilometer. Von Sonnenaufgang bis in die Nacht. Ihre Mutter kann nicht mehr, fleht ihre Kinder an, allein weiterzugehen. Doch Kinda sagt: „Entweder wir leben alle zusammen, oder wir sterben hier.“ Noch jetzt kommen ihr die Tränen, wenn sie daran denkt. Aber sie schaffen es.
Zu Hause ist alles zerstört. Doch sie schuften, bekommen ein paar Schafe und Hühner gespendet. Das Leben geht weiter, irgendwie. Heute ist der Krieg zwar noch nicht vorbei, aber immerhin kann Kinda wieder zur Schule gehen. „Schule ist mein Leben“, sagt sie.