UNICEF-Aktionen

Generation Unlimited: Interview mit Roberto Benes


von Autor Tim Rohde

Wie sieht die Zukunft aus für junge Menschen und Jugendliche, die ihren Platz in der Welt suchen? Für viele von ihnen ist die Perspektive bedrückend: Weltweit ist jeder fünfte junge Mensch weder in einem Job noch in einer Ausbildung.

Noch viel mehr erlangen nicht die Fertigkeiten, die sie für eine gute Arbeit benötigen – zumal sich die Rahmenbedingen schnell weiterentwickeln und immer spezialisiertere, zunehmend digitale Fertigkeiten gefragt sind.


Es besteht die Gefahr, dass Millionen von jungen Menschen abgehängt werden.

Roberto Benes - Leiter von Generation Unlimited
UNICEF Geschäftsstelle: Henrietta Fore und Roberto Benes führen ein Meeting.

Was tun? Generation Unlimited will jungen Menschen bessere Startmöglichkeiten für ihr späteres Berufsleben geben, unter anderem mit Bildungsprogrammen. UNICEF hat die globale Initiative 2018 gestartet, um Partner aus Politik und Privatwirtschaft zusammenzubringen. Zu den Unterstützern gehört auch SAP. Das Technologie-Unternehmen fördert UNICEF-Programme, die jungen Menschen digitale und Job-Fähigkeiten vermitteln, um sie für den Arbeitsmarkt fit zu machen.

Anlässlich der Partnerschaft zwischen SAP und UNICEF hat Roberto Benes, Leiter von Generation Unlimited, mit SAP News gesprochen – hier das Interview bei uns im UNICEF-Blog:

Generation Unlimited will bis 2030 zwei Milliarden junge Menschen auf die Zukunft vorbereiten. Können Sie uns ein paar Hintergründe zu diesen Zahlen geben und erklären, warum diese Mission so dringend ist?

Roberto Benes: Das ist die größte junge Generation, die es je gegeben hat. Die jungen Menschen möchten mit Qualifikationen ins Arbeitsleben starten, sie möchten Chancen und menschenwürdige Arbeit haben und ihre Träume verwirklichen. Es gibt junge Menschen, denen das vergönnt ist, aber die Wirtschaft schafft nicht so viele Arbeitsplätze, wie wir brauchen. Dazu nur ein Beispiel: In Afrika drängen jedes Jahr 12 Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, aber es werden nur 3,7 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.

Dschibuti: Zwei junge Frauen mit bunten Kopftüchern lächeln in die Kamera.

Junge Frauen aus Dschibuti auf dem Weg in die Zukunft: Auf einem Event für „Life Skills“ informieren sie sich über Bildungschancen und Perspektiven.

© UNICEF/UN0199030/Noorani

Hinzu kommt, dass das Bildungssystem nicht die Fähigkeiten vermittelt, die auf dem Markt gefragt sind – und das ist überall auf der Welt der Fall. Es ist also dringend nötig, diese eklatante Differenz in den Qualifikationen anzugehen, oder es besteht die Gefahr, dass Millionen von jungen Menschen abgehängt werden. Für Generation Unlimited ist es sehr wichtig, dass niemand abgehängt wird. Rund 260 Millionen junge Menschen haben keine Arbeit oder erhalten weder Bildung noch Ausbildung. Das ist eine schwere Bürde. Wenn wir nicht sofort handeln, wird sich das Problem in der nächsten Generation fortsetzen, und zwar in noch verschärfter Form. Das ist die Herausforderung unserer Zeit.

Wie wirken sich die Globalisierung und die digitale Revolution zusammen auf diese Generation aus?

Roberto Benes: Die Nationen rücken immer schneller zusammen. Dies und die digitale Revolution eröffnen enorme Chancen, schaffen aber auch neue Herausforderungen. Ob diese Generation zu den Gewinnern gehört, steht und fällt mit unserer Fähigkeit, uns schnell anzupassen und zu reagieren. Jetzt ist der Zeitpunkt, Jobs in innovativen Branchen und in der Technologie zu schaffen. 71 Prozent der 15- bis 24-Jährigen sind online, was wunderbar ist. Aber das heißt auch, dass 29 Prozent abgehängt sind. Wir müssen uns anschauen, welche Chancen geschaffen werden, und darauf achten, dass niemand zurückbleibt. Das ist gar nicht einfach, denn um im Leben Erfolg zu haben, braucht man die Fähigkeit, Probleme zu lösen, man braucht kritisches Denken und emotionale Intelligenz. Und all das ist schwierig aufzubauen. Deshalb ist die Partnerschaft mit SAP so wichtig. Es ist entscheidend, die digitale Kluft zu schließen, denn sie gefährdet Millionen junger Menschen, die keine Chancen haben.

Jordanien: Die 17-jährige Bodoor lernt für die Schule.

Für Bodoor, 17, ist Bildung der Schlüssel: Sie musste vor dem Krieg in Syrien fliehen, im Flüchtlingscamp in Jordanien kann sie zur Schule gehen.

© UNICEF/UN0263741/Herwig

In welchem Zusammenhang steht die digitale Bildung zu den UN-Nachhaltigkeitszielen?

Roberto Benes: Wir halten digitale Bildung für so wichtig, weil sie auch für alle anderen Nachhaltigkeitsziele eine Rolle spielt. Digitale Bildung ist ein Grundpfeiler von Ziel 4 (Hochwertige Bildung für alle), denn wir alle müssen die Fähigkeit erwerben, über digitale Wege verlässliche, aussagekräftige Informationen zu finden, zu kommunizieren und Technologie bestmöglich zu nutzen.

Zum Beispiel kann ein Landwirt in Ghana über das Handy seine Erzeugnisse verkaufen, was wiederum unter Ziel 1 (Armut beenden) fällt. Eine Mutter kann im Internet wichtige Informationen zur Gesundheit von Kindern finden, was unter Ziel 3 (Gesundheit für alle) fällt. Wir wissen, wie wichtig es ist, sich über digitale Plattformen eine finanzielle Allgemeinbildung aneignen zu können, zum Beispiel für junge Frauen und Mädchen, damit sie Unternehmerinnen werden können. Und wir wissen auch, dass digitale Bildung dazu beitragen kann, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beschäftigung abzubauen, was unter Ziel 5 (Gleichstellung der Geschlechter) fällt. All das macht deutlich, wie enorm wichtig digitale Bildung für Generation Unlimited ist.

Indien: Junge Teilnehmer eines nationalen Bildungsprogrammes in Indien.

Auch diese Jugendlichen in Indien suchen nach Wegen, sich eine Zukunft aufzubauen und ihr Potential bestmöglich zu entfalten.

© UNICEF/UN0239842/Hajra

Wie will Generation Unlimited Lösungen in großem Maßstab umsetzen?

Roberto Benes: In der Entwicklungsarbeit gehört es zu den schwierigsten Aufgaben, etwas in großem Maßstab zu realisieren. Wir wissen heute, dass lineare Fortschritte uns nicht ans Ziel bringen. Das ist zu wenig und geht zu langsam, um Millionen von jungen Menschen für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, besteht darin, mehr Partner in die Durchführung der Projekte einzubinden. Eine andere Möglichkeit ist, Programme, die in kleinem Maßstab gut funktionieren, sichtbarer zu machen und mehr Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Wir erweitern diese kleineren Projekte, indem wir technische Möglichkeiten schaffen und hochqualifizierte Experten einbinden. Dies vergrößert die Reichweite der Projekte und erschließt sie für einen größeren Personenkreis.

Da wir eng mit Regierungen zusammenarbeiten, haben wir die Möglichkeit, solche Projekte in staatlichen Systemen zu verankern und dafür zu sorgen, dass sie in die Staatshaushalte eingehen. Wenn sie nicht in den Staatshaushalten berücksichtigt werden, sind sie nicht nachhaltig. Wir wissen auch, dass wir scheitern werden, wenn es uns nicht gelingt, privates Kapital für diesen breit angelegten Ansatz zu gewinnen. Aber privates Kapital bekommen wir nur, wenn es sich wirtschaftlich rentiert. Generation Unlimited will deshalb Partnerschaften mit privatwirtschaftlichen Akteuren eingehen, die auf einer gemeinsamen Grundlage stehen und von denen alle profitieren. Das ist unsere einzige Möglichkeit, das nötige Kapital zu mobilisieren, um gute Programme auf eine breitere Basis zu stellen.

Vietnam: Die 20-jährige Nguyen in ihrer modernen Hochschule in Ho-Chi-Minh-Stadt.

Nguyen, 20, aus Vietnam lernt an einer Hochschule in Ho-Chi-Minh-Stadt. Sie gehört zu denjenigen, die eine gute Ausbildung erhalten und sich auf die Arbeitswelt von morgen vorbereiten können.

© UNICEF/UN0215750/Viet Hung

Lernen für die Welt von morgen

Es gibt von Staat zu Staat sehr unterschiedliche Meinungen darüber, welche Priorität digitale Bildung unter all den anderen Herausforderungen – etwa sauberes Trinkwasser, zuverlässige Energieversorgung und Gesundheit – haben sollte. Wie motiviert Generation Unlimited Regierungen zum Handeln?

Roberto Benes: Wir müssen sehr überzeugend darlegen, dass es sich lohnt, in junge Menschen zu investieren. Unter anderem argumentieren wir, dass sich Investitionen in die Bildung junger Menschen vierfach bezahlt machen. Außerdem wissen die Regierungen, dass das Risiko sozialer Verwerfungen und des Verlustes des gesellschaftlichen Zusammenhalts extrem hoch ist, wenn sie das Problem der Jugendarbeitslosigkeit nicht angehen. Und wenn sie den jungen Menschen keine sinnvolle gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und nicht massiv in relevante Bildung und vernünftige Arbeitsplätze investieren.

Man muss sich nur den Arabischen Frühling vor einigen Jahren anschauen, der durch Massenarbeitslosigkeit und mangelnde gesellschaftliche Teilhabe ausgelöst wurde. Oder sehen Sie sich an, was heute an anderen Orten passiert, von Hongkong bis Chile, vom Libanon bis zum Irak. Überall verlangen junge Menschen mehr gesellschaftliche Teilhabe, vernünftige Jobs und eine höhere Lebensqualität. In Europa sind vielerorts die Arbeitsbedingungen und die Lebenserwartung der jungen Generation nicht besser als die ihrer Eltern – mitunter sogar schlechter. Die Grundannahme über das Glück und die Selbstverwirklichung des Menschen – dass die eigene Zukunft besser sein wird als die Vergangenheit – besitzt keine Gültigkeit mehr.

Woran bemessen Sie den Erfolg von Generation Unlimited?

Roberto Benes: Generation Unlimited ist seit gut einem Jahr aktiv. Wir haben ein Geschäftsmodell, das in einzelnen Ländern sehr wirkungsvoll ist. Das Arbeitsmodell von Generation Unlimited funktioniert auf Länder-Ebene und basiert auf öffentlich-privaten Plattformen, die wir aufbauen, um Investoren anzuziehen und Investitionen in einem Pool zusammenzuführen. Damit wollen wir Innovationen auf eine breitere Basis stellen und gute Programme ausweiten, um jungen Menschen in großem Maßstab eine bessere Bildung zu ermöglichen, ihnen Fähigkeiten zu vermitteln und ihnen den Weg zu Unternehmertum und menschenwürdiger Arbeit zu ebnen. Zusammen mit unseren Partnern unterstützt GenU nationale Entwicklungspläne und Investitionsprogramme für die Länder – ein Portfolio von skalierbaren und profitablen Initiativen und Innovationen, die mit und für junge Menschen entwickelt wurden, um öffentlich-privates Kapital anzuziehen und auf breiter Front viel zu erreichen.

Das geht nur, wenn die höchsten Regierungskreise sich engagieren und vorangehen, wenn sich die Privatwirtschaft in auf gemeinsamen Werten basierenden Partnerschaften engagiert und wenn auch relevante internationale und lokale Organisationen der Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten. Vor allem aber müssen junge Menschen mitgestalten und Neues umsetzen dürfen.

Afghanistan:

Nicht alltäglich: Junge Frauen in einer Oberschule in Kabul, Afghanistan lernen den Umgang mit Computern.

© UNICEF/Frank Dejongh

Bei unserer Arbeit in den Ländern haben wir einige wunderbare Partner, darunter SAP. Mit Unterstützung von SAP werden wir zunächst in drei Ländern aktiv: Indien, Türkei und Vietnam. Als Nächstes steht generell die Ausweitung von Generation Unlimited zu einer globalen Bewegung an, die in vielen weiteren Ländern aktiv wird.

Unser Erfolg lässt sich auf zweierlei Art bemessen: daran, wie viele junge Menschen wir erreichen, um ihnen Chancen auf Bildung, Ausbildung, Unternehmertum und digitale Bildung zu eröffnen, und daran, wie viele Investoren und Partner wir ins Boot holen können, die diese Programme unterstützen. Wir sind eine Plattform, die Energien bündelt und verstärkt. Die Partnerschaft mit SAP ist für uns wirklich das beste Beispiel dafür, wie ein Unternehmen eine Partnerschaft mit einer Entwicklungsorganisation eingehen kann, um Nachhaltigkeit zu schaffen und die brillanten Ideen und die Energie beider Partner zu vereinen.

Das Interview erschien zuerst im SAP News Center. Das Gespräch mit Roberto Benes führte Jacqueline Prause, Brand Journalist und Senior Managing Editor, SAP.

Tim Rohde
Autor*in Tim Rohde

Tim Rohde berichtet aus der Pressestelle über alle aktuellen UNICEF-Themen.