Ein Leben in der Zeltstadt: die Kinder aus Za’atari
Vor fünf Jahren wurde das Flüchtlingslager Za’atari in Jordanien gegründet. Hunderttausende Syrer sind seitdem dorthin geflohen und haben das Camp wieder verlassen. Einige von ihnen haben sich aber auch ein neues Leben dort aufgebaut.
2013 hat unser UNICEF-Kollege Toby Fricker zum ersten Mal Familien im Camp besucht. Vor wenigen Tagen hat er die Familien von damals erneut getroffen und mit ihnen über ihre Hoffnungen gesprochen - und darüber, wie sich ihr Leben im Camp verändert hat:
„Ich war noch ein kleines Mädchen, als ich aus Syrien hierher kam. Ich war gerade einmal elf Jahre alt und habe nur an meine Spielzeuge gedacht. Heute bin ich erwachsener“, erzählt die 16-jährige Omaima. Seit fünf Jahren lebt sie mit ihrer Familie im Za’atari Flüchtlingslager im Norden von Jordanien – fast ein Drittel ihres Lebens.
„Ich habe mir immer vorgestellt, dass es im Camp wie bei einem Picknick sein wird, wie in einem Garten, in dem ich mit meinen Freunden spielen kann. Als wir dann dort angekommen sind, war ich geschockt – dieser Ort war so einschüchternd. Aber es gab eine Schule, und ich war glücklich, endlich wieder lernen zu können.“
Als ich sie vor vier Jahren zum ersten Mal gemeinsam mit meinen UNICEF-Kollegen aus Jordanien getroffen habe, ging sie nicht nur selbst wieder zur Schule, sondern ermutigte auch andere Mädchen im Camp dazu.
„Ich fing an ihnen zu erklären, welche unterschiedlichen Auswirkungen eine frühe Heirat oder ein Schulbesuch auf ihr Leben haben, weil ich sie dazu bringen wollte, ihre Einstellungen zu überdenken“, erklärt Omaima.
Das Za’atari Camp verändert sich
In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Einstellung der Menschen in Za’atari verändert. Kinderschutzexperten haben mir erklärt, dass insbesondere in den ersten beiden Jahren viele im Flüchtlingslager unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten.
Die Familien sind aus einem Land gekommen, in dem Krieg herrschte. Sie waren jeden Tag Gewalt ausgesetzt und haben sich dafür entschieden, ihre Heimat zu verlassen.
„Die Menschen waren anfangs tief geschockt und verstört“, sagt Omaimas Vater Thaer. „Sie haben Tod und Zerstörung miterleben müssen. Diese Erinnerungen werden sie nie vergessen.“
Aber es gebe auch positive Veränderung im Flüchtlingslager, erklärt Thaer weiter: „Die Lehrer haben das Leid der Kinder immer besser verstanden und konnten mehr auf sie eingehen. Für die Kinder gibt es heute viel mehr Lernmöglichkeiten: Die Schulen haben zum Beispiel Büchereien und Computerräume.“
Mehr Schulen und kinderfreundliche Orte
Es wurden mehr Schulen gebaut, und die Einschulungsrate ist gestiegen: Inzwischen können 21.000 der 27.000 schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in Za’atari zur Schule gehen. Es gibt kinderfreundliche Orte mit Spiel- und Lernangeboten, die von UNICEF und seinen Partnern unterstützt werden, verschiedene Sportangebote und berufliche Förderprogramme.
Auch die Infrastruktur hat sich stetig verbessert. Es gibt jetzt mehr dauerhaft eingerichtete Container-Wohnungen und weniger Zelte, mehr festinstallierte Wasser- und Abwasserstellen.
Wir verlassen das Haus von Omaima und besuchen ihre Schule – eine von 14 Schulen im Camp. Gerade sind Sommerferien, aber der Schulbetrieb läuft weiter. Thaer, Omainas Vater, arbeitet in der Schule. Er hat zum Beispiel mitgeholfen, die Klassenräume für Kinder mit einem Rollstuhl besser zugänglich zu machen, und Rampen gebaut.
Die Zukunft der Kinder in Za‘atari
Wir fahren weiter durch das Camp Richtung Hanadis Zuhause. Seit unserem ersten Besuch in Za‘atari haben wir das Mädchen nicht mehr gesehen. Zufällig treffen wir ihren Vater, Abu Kareem, beim Obstkauf auf dem Markt.
„Wir sind erschöpft“, sagt er. „Es ist nicht einfach, in Containern mitten in der Wüste zu leben.“ Und wie die meisten Eltern macht sich auch Abu Kareem darüber Gedanken, wie es weiter gehen soll: „Wir wollen unseren Kindern eine gute Zukunft bieten und machen uns Sorgen, ob wir das hier können.“
Ich frage ihn, wo Hanadi ist, und erfahre, dass sie vor kurzem ausgezogen ist und nun mit ihrem Ehemann zusammenwohnt. Sie erwartet ein Kind. Hanadi ist jetzt 20 Jahre alt und hat gerade ihren Abschluss gemacht. In den vergangenen zwei Jahren ist sie in Zarqa zur Universität gegangen – rund 45 Minuten südlich des Camps.
Ich erinnere mich daran, was Hanadi mir bei unserem ersten Treffen vor vier Jahren erzählt hat. Sie sagte: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich hier studieren kann, aber ich wusste, dass ich alles daran geben würde, zur Uni zu gehen.“ Ihr starker Wille und ihr Einsatz haben sich letztendlich ausgezahlt.
Nun bekommt Hanadi ihr erstes Baby: Jede Woche kommen rund 80 Babys in Za‘atari zur Welt – es wächst eine neue Generation heran. Und während sich Hanadi und ihr Ehemann ihr neues Familienleben im Camp aufbauen, haben viele Za’atari schon wieder verlassen.
In den vergangenen fünf Jahren lebten rund 430.000 syrische Flüchtlinge im Camp. Manche wohnen heute in Jordanien - in den Städten oder auf dem Land - und einige sind auch wieder in ihr Heimatland Syrien zurückgekehrt.