Kongo: reiches Land - arme Bevölkerung
Reisetagebuch aus dem Kongo – Tag 4
„Es ist nur eine Stunde entfernt, und auch auf guten Straßen zu erreichen." Gemeint ist ein Dorf an den Berghängen in Süd-Kivu. Hoch über dem See und immer wieder das Ziel der Überfälle von Rebellen. Hier treffe ich die beiden Frauen Risiki und Isabella.
Also: wir fahren los, in Bukavu, am Südende des Kivu-Sees gelegen. Ich will mit Frauen sprechen, die jahrelang im Regenwald überleben mussten, weil die Rebellen in ihrem Dorf alles verbrannt und gestohlen hatten. Mit den anderen Frauen reden, die nicht geflohen sind und die Vergewaltigungen und Gewaltakte gegen ihre Männer und Kinder überlebt haben.
Bis zum nationalen Flughafen Bukavu, eine Autostunde entfernt, ist die Straße für die kongolesischen Verhältnisse tatsächlich hervorragend. Nur wenige Schlaglöcher, alles geteert. Die Seitenränder nicht zu tief in Gräben abfallend. „Wir sind gleich da“, sagt unser Übersetzer Fiston. Aber wieder einmal zeigt sich, dass Entfernungen und Zeiten nicht die besondere Stärke der Kongolesen sind. Denn was jetzt beginnt ist die abenteuerlichste Autofahrt meines Lebens. Gleich nach der Abfahrt zum Flughafen endet die Teerdecke. Die dreckige Straße besteht ab jetzt nur noch aus Löchern, Gräben, Rinnen, herausgepresst von den Wassermassen nach den üblichen Regenschauern hier. Aus Hügeln und Kratern, die mich fühlen lassen wie in der wilden Maus auf dem Oktoberfest.
Der Fahrer versucht mit rund 60 Stundenkilometern den schlimmsten Löchern auszuweichen. Der Geländewagen schlingert und schaukelt, wackelt und springt auf und ab. Mein Genick wird aufs Äußerste strapaziert. Ich erinnere noch den Satz einer Kollegin über eine Fahrt in Afrika: “Immer locker bleiben." Leicht gesagt - eine halbe Stunde vielleicht. Aber rund eineinhalb Stunden? So lange dauert die Fahrt dann tatsächlich ab dem Flughafen in das MYAP-Zentrum in Kalehe. So heißt das Dorf.
Ich kann vor lauter Wackel- und Schaukel-Bewegungen im Wagen gar nicht auf die grünen Felder und reichen Böden rundum schauen. Mir fällt nur immer wieder auf, wie gut die Menschen hier von Landwirtschaft leben könnten, wenn sie denn in Frieden ihre Böden bewirtschaften dürften.
Inzwischen regnet es. Wir laufen durch den Matsch in ein ordentliches Steinhaus. Geschützt von einem großen Eisentor. Zwei Männer in engen Bürozimmern erklären mir ihr Projekt. Nicht sehr engagiert. Sie stehen nicht mal auf, als wir hereinkommen. Nur mühevoll geben sie mir die Hand. 575 Frauen würden sie betreuen rund um Kalehe. Ihr Ziel: Nahrung sicherzustellen und die Armut in den Dörfern zu beenden. Wie das funktioniert? Indem sie sich auf die Verbesserung der Landwirtschaft konzentrieren. Auf Gesundheit und Ernährung und vor allem die Säuglingssterblichkeit reduzieren wollen. Frauen sollen unterstützt werden und man will alles tun, um Epidemien zu vermeiden. Klingt anspruchsvoll und ist sicherlich richtig. Nur von der Basis-Arbeit von UNICEF weiß ich, wie schwer das alles letztlich ist, wenn es ans Umsetzen geht.
Wo ich denn jetzt in dem Dorf ein paar Frauen sprechen könnte? Mir ist der authentische Bericht, das Zuhören, Ansehen, das Gefühl für einen Menschen immer wichtiger, als nur den Organisatoren zu trauen. „Gleich wenige Minuten mit dem Auto, um die Kurve, den Berg hinauf“, sagen die beiden Männer. Und wollen auch gleich bei uns einsteigen. Wir sind allerdings schon vier, und einer muss zurückbleiben, nachdem er sich nicht auf den Ersatzreifen im Kofferraum setzen wollte.
Fast ahnte ich es schon: aus den fünf Minuten wird wieder eine halbe Stunde. Ruckel, ruckel, rauf und runter, hoch und fast im Kreis - so schaukelt sich der tapfere Fahrer mit dem Geländewagen in weitere Höhen. Landschaftlich wunderschön, immer mit dem Blick auf den Kivu-See und seine unzähligen Inseln. Allmählich rinnt uns die Zeit davon. Wenn wir bei beginnender Dunkelheit wieder in Bukavu sein wollen, bleibt wenig Raum für ein Gespräch, geschweige denn für ein Kennenlernen. Wir sind jetzt sage und schreibe viereinhalb Stunden unterwegs.
Eine freundliche Frau, Risiki, 30 Jahre alt, führt mich dann in ihr wirklich hübsches Haus. Massive Wände, ein dichtes Dach und innen hübsche schwere Holzsessel am rechteckigen Tisch. Wir erklären ihr, warum wir so spät dran sind und warum so wenig Zeit bleibt, ihr zuzuhören. Sie ist nach dem ersten Überfall von FDLR-Rebellen mit Mann und sechs Kindern in den Regenwald hoch in die Berge geflohen. Drei lange schwere Jahre haben sie dort überlebt. Immer in Angst, aber wenigstens mit anderen Dorfbewohnern. Und einem Boot. Mit dem sie nachts auf eine Insel paddelten um dort Lebensmittel zu bekommen. Umsonst, denn Geld hatten sie keines. Das haben ihnen die Rebellen schon längst gestohlen. Die Menschen auf der Insel haben die Flüchtlinge selbstlos mit unterstützt. Die junge Frau muss mit ihrem Mann unglaublich fleißig gewesen sein, wenn die beiden mit ihren sechs Kindern heute wieder in einem derart soliden Haus in ihrem Dorf leben können.
Ihre Nachbarin Isabella ist damals im Dorf geblieben. Die gleichaltrige Freundin musste dann aber mehrere Überfälle durchstehen. Und eine bittere Vergewaltigung in ihrer Hütte von zwei Rebellen. Ihr Mann war derzeit in einem anderen Raum gefesselt worden. Aber ihre damals drei Kinder mussten sich das alles mit ansehen. Isabella schüttelt es noch heute. Aber sonst, sagt sie mir, sei sie wieder stabil. Nach zwei Tagen Gefangenschaft ist erstaunlicherweise ihr Mann wieder gekommen und hat sie sofort in das Panzi Hospital nach Bukavu gebracht. Dort habe man ihr geholfen. Auch psychologisch. Vor allem ihr Mann ist wohl eine große Stütze. „Das ist nicht das Ende des Lebens“, hat er seiner Frau gesagt - und danach haben die beiden auch noch zwei weitere Kinder bekommen. Ein außergewöhnliches Verhalten eines kongolesischen Ehemannes. Isabella ist froh und sehr glücklich mit ihm. Wenngleich sie sagt, dass sie bis heute nachts von der Vergewaltigung träumt und oft schweißgebadet aufwacht. Allerdings können sie alle sonst jetzt wieder ziemlich ruhig schlafen. Denn die MONUSCO-Leute sorgen für Sicherheit, und ständig sind kongolesische Soldaten in diesem Gebiet auf Patrouille. Das ist schon mal ein Fortschritt in dieser Region. Ein Lichtschimmer am Ende eines dunklen Tunnels.
Auf der Heimfahrt diskutiere ich mit meinen beiden kongolesischen Begleitern die derzeitige politische Situation. Schon bei der Zahl der Rebellengruppen, die immer noch Angst und Schrecken verbreiten, plündern und brennen, vergewaltigen und Gefangene nehmen, sind die beiden Männer unterschiedlicher Meinung: 40 sagt der eine, 59, ganz sicher, der andere. Diese Banden, so müsste man sie eigentlich nennen, haben sich immer höher in die Berge Süd-Kivus zurückgezogen. Immer noch sind sie zwischen 400 und 2000 Kämpfern stark. Wenn sich eine solche Bande also ein Dorf aussucht zum Überfall, kann man sich vorstellen, dass auch die relativ kleinen Selbst-Verteidigungsgruppen wenig Chancen haben.
Warum dieser Krieg? Warum diese abartigen Grausamkeiten? Der Schriftsteller Armin Rosen nennt im „The Atlantic“ diesen Konflikt den „tödlichsten“ seit dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen 3,5 bis 5,4 Millionen Tote. Geschätzt. Mindestens 200 000 schwerst missbrauchte Frauen und Mädchen. Seit diesem Krieg ist der Kongo eines der ärmsten Länder der Welt. Auf der anderen Seite ein Land mit den meisten Rohstoffen der Welt und landwirtschaftlich gut nutzbaren Böden.
Ndiaga Seck, UN-Communication-Spezialist und seit fünf Jahren in Goma für UNICEF im Einsatz, hat eine überraschende Erklärung: „Das Land ist zu reich, zu viele wollen an die Bodenschätze, die Minen ausbeuten. Aber niemand kümmert sich wirklich um die Menschen hier. Die machen einfach nur ihr Ding: Geld.“ Fachleute schätzen, dass der Kongo für 24 Trillionen Dollar Bodenschätze besitzt. Die Böden sind so fruchtbar, dass mir die Reise nach Kalehe vorkommt wie das Löffeln eines Fruchtsalates: Bananen, Orangen, Papayas. Dazu Zuckerrohr, alle Formen an Getreide - es könnte ein Paradies sein. Aber ohne eine funktionierende Infrastruktur verrotten die Böden, fallen die Früchte zu Boden, verhungern letztlich die Menschen. Denn wie sollen die landwirtschaftlichen Schätze zu den Märkten, zu den Menschen kommen. Bei diesen Straßenverhältnissen? Bei der vollkommen fehlenden Verkehrsstruktur? Vor allem die Frauen tragen die Produkte auf ihren Köpfen - aber mehr kommt nicht an in den Verkaufsständen, in den Mägen der Bevölkerung.
Am Ende des Tages gewinnen auch hier wieder diejenigen, die Waffen besitzen. Die sich die Bodenschätze von Coltan (für die Mobiletelefone) bis zu Wolfram, Uran, Öl, Gas und Gold unter den Nagel reißen können. Erstaunlicherweise verkauft der Nachbarstaat Ruanda 27 Prozent des Weltbedarfs an Coltan - obwohl es in diesem Land keine einzige Mine gibt.
Und hier schließt sich der Kreis: nach dem Genozid 1994 ist noch lange nicht Frieden zwischen Hutus und Tutsis, zwischen den Stämmen und den Herrschenden. Der Krieg ist nicht vorbei. Das habe ich von den betroffenen Frauen und Kindern gehört. Aber auch in den Gesichtern der Männer gesehen: „Der Kongo ist zu reich." Eine bittere Erkenntnis.
Reisetagebuch Maria von Welser
» Teil 1: Wenn Mädchen schießen müssen und vergewaltigt werden
» Teil 2: Bittere Erkenntnis: Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu
» Teil 3: Ciriri-Klinik: Hoffnung für Frauen und Kinder
» Teil 4: Kongo: Reiches Land - arme Bevölkerung