Wenn Mädchen schießen müssen und vergewaltigt werden
Reisetagebuch aus dem Kongo – Tag 1
Es ist ja immer ein großer Unterschied: Du liest über ein Land, die Probleme der Kinder, der Frauen. Die Gewalt der Soldaten und Rebellen. Aber wenn Dir die Opfer gegenüber sitzen, wenn Du in vollkommen tote Kinderaugen siehst, die Kleineren ihre Tränen verstohlen wegwischen, stocken und nur noch mit leiser Stimme weiterreden- dann bist Du mittendrin.
Davor schützt ein großes strahlend blau gestrichenes Tor diesen besonderen Platz für Mädchen. Kinder, die noch vor gar nicht langer Zeit als Soldatinnen und sexuelle Sklavinnen im tiefen Dschungel in einem Soldanten-Camp gelebt haben. Gelebt? Eher vegetiert. Aber jetzt sind sie in Sicherheit. Fast alle kamen entweder schwanger oder mit kleinen Babys im Arm hier an.
Aber von Anfang an: seit 10 Jahren herrscht im Kongo Krieg. Er wird in den Vaginas der Frauen und in den Seelen der Kinder ausgetragen. Vergewaltigung als Waffe. Das zieht sich durch alle Kriege der Welt hindurch. Die kongolesische Armee und die Rebellentruppen greifen sich ebenfalls Frauen, Mädchen und Kinder. Ja- auch Kinder. Sie überfallen die Dörfer vor allem in Süd-Kivu. Bis zum heutigen Tag. Nichts ist vorbei. Sie rauben die Mädchen und zwingen sie zu schießen. Mit Drogen und Alkohol, mit Gewalt und brutalen Schlägen.
Hinter dem blauen Tor in Bukavu, am Rande einer der tausenden fast unbefahrbaren Matschwege verbirgt sich für die Mädchen mit ihren Kindern endlich wieder Sicherheit. BVES nennt sich die Organsation, die seit 1992 zusammen mit UNICEF allein bis zum letzten Jahr 873 Kinder, davon 477 Mädchen aufgenommen hat. Damals schon die Opfer des Genozids in Ruanda, die Strassenkinder der Hutu und Tutsi, die Kinder aus den Gefängnissen. Hinter BVES verbirgt sich im französisch-sprachigen Kongo: „Bureau pour les voluntaires des enfants et de la securite.“ Bei BVES arbeiten heute ausschließlich Frauen. Alle ehrenamtlich. Nur der Direktor ist ein Mann...
Murhabazi Namegabe führt mich den Hang zwischen den Hütten hinunter durch enge, glitschige Gassen. Nach der im März üblichen tropischen Regenflut halte ich mich vorsichtig fest an Steinvorsprüngen und kleinen Haken. Er zeigt mir den Klassenraum mit den lachenden Schulkindern, die allesamt UNICEF-Hefte vor sich liegen haben. Die Nähstube, in der die Mädchen schneidern lernen. Den Kindergarten mit den ganz Kleinen, die elternlos in den Lagern aufgegriffen wurden. Die Bücherei mit der engagierten Lehrerin, die sich vor allem über die französischen Kinderbücher freut.
In einem schmalen Raum sitze ich danach der jetzt 17jährigen Mamy gegenüber. Das ist nicht ihr richtiger Name, den hat sie sich ausgedacht. Fünf Monate „gehörte“ sie im Dschungel einem Kommandanten. Nachdem sie fünf Soldaten beim Einkaufen umzingelt und dann der Reihe nach vergewaltigt hatten. Sie hat gewaschen, gekocht, das Haus geputzt und wurde nicht geschlagen. Das erwähnt sie immer wieder. Dem Kommandanten musste sie zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung stehen.
Der BVES-Direktor weiß, wie viele Mädchen immer noch in den Lagern festsitzen. Bis heute. Darum geht er zusammen mit den Männern und Frauen von MONUSCO, der UN Organisation zur Stabilisierung des Kongo, in die Soldaten-Camps. Verhandelt die Freiheit der Kinder. Manchmal werden sie auch bedroht. Aber die Gruppe kommt immer wieder. Bis die Kommandanten die Kinder rauslassen aus dem Camp, zurück in die Freiheit. Auch für Mamy musste er mehrmals anreisen, mit dem Auto, dann dem Motorrad und schließlich sieben Stunden zu Fuß. Der Kongo ist ein Land ohne wirkliche Straßen und Wege. Inzwischen kommen auch hin und wieder Vertreter der örtlichen Regierung mit. Denn auch ein kongolesisches Gesetz verbietet Sex und Ehe mit Kindern unter 18 Jahren.
Mamy hatte es noch relativ gut. Die anderen Geschichten der Mädchen sind brutaler. Die 17-jährige Chiku musste auf Menschen schießen, wurde geschlagen, wenn sie nur auf Fenster oder Türen zielte. Wenn sie keine Toten „bringen“ konnte. Die Männer haben sie mit Drogen und Alkohol gefügig gemacht. Jeder Soldat im Camp hat sie sich gegriffen und vergewaltigt. Jeder- und jederzeit. Sie war, wie so viele andere auch, eine sexuelle Sklavin. Heute hat sie ein Kind, das sie liebt. Obwohl sie nicht weiß wer von den Soldaten denn tatsächlich der Erzeuger war.
Als damals zu Beginn ihres Leidensweges ihr Dorf überfallen wurde, kam die ganze Familie ums Leben. Jetzt hofft sie auf die Großmutter, die sie in einem Nachbardorf zu finden glaubt. Und eines Tages, so träumt sie, will sie Lehrerin werden. Anderen etwas beibringen. Damit diese dann auch selbstständig ihr Leben gestalten können.
Alle Mädchen hier hinter dem blauen Tor erzählen ähnliche Geschichten. Alle wurden missbraucht, geschlagen, „wie Tiere gehalten“, wie mir Carine erzählt. Sie hat ihr Kind „Hoffnung“ getauft-Espoire. Mit ihrem Kind will sie bald ein eigenes Näh-Business aufbauen, auf eigenen Beinen stehen und ein selbstbestimmtes Leben führen.
Ich wünsche ihr das von Herzen.
Nach zwei Tagen in der „Demokratischen Republik Kongo „fehlt mir allerdings der Glaube an eine Zukunft der Millionen Frauen und Mädchen und Kinder. Denn bis zum heutigen Tage ist von Frieden keine Spur. Die Gewalt nimmt zu. Vor allem gegen Frauen. Dazu morgen mehr, wenn wir mit dem widerstandsfähigen UNICEF-Wagen durch diese unglaublich tiefen Löcher, an den rutschigen Erdrändern und tiefen Graben vorbei in in das Hospital Panzi ruckeln.
Reisetagebuch Maria von Welser
» Teil 1: Wenn Mädchen schießen müssen und vergewaltigt werden
» Teil 2: Bittere Erkenntnis: Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu
» Teil 3: Ciriri-Klinik: Hoffnung für Frauen und Kinder
» Teil 4: Kongo: Reiches Land - arme Bevölkerung