Von Ishmael Beah, Internationaler UNICEF-Botschafter
In meinen schlimmsten Träumen hätte ich mir nicht vorstellen können, Kindersoldat zu werden. Mit zwölf Jahren war ich ein ganz normaler Junge aus Sierra Leone. Ich spielte gern Fußball, ging im Fluss schwimmen und träumte davon, später in der Wirtschaft zu arbeiten. Doch als der Bürgerkrieg in Sierra Leone bis in mein Dorf kam, geschah genau dieser Alptraum. Ich war mit Freunden unterwegs zu einem Hip-Hop-Wettbewerb im Nachbarort, als bewaffnete Männer uns überfielen. Sie rekrutierten mich gewaltsam für ihre Kampftruppe.
Ich hatte keine Wahl als das zu tun, was die Kämpfer von mir verlangten. Sie gaben uns Kalaschnikow-Gewehre und zwangen uns, zum „Üben“ zunächst Gefangene zu erschießen. Sie pumpten uns voll Drogen. Ich lernte zu töten, um selbst zu überleben. Ich war ständig Gewalt ausgesetzt und gezwungen, selbst ein Teil von ihr zu sein. Die Waffe wird das, was dich schützt und rettet, was dir Nahrung gibt, was dich am Leben hält. Du hörst auf, ein Kind zu sein. Du hörst auf, Gefühle zu haben. Du hörst mit allem auf, außer damit, überleben zu wollen. All das hält dich im Krieg, bindet dich an diese Truppe, die zur Familie wird.
Meine Eltern und meine beiden Brüder lebten nicht mehr. Ich hatte nichts und niemanden, zu dem ich hätte gehen können. Nach zweieinhalb Jahren erhielt ich endlich Hilfe – von UNICEF. Mitarbeiter sprachen mit den Kommandanten und überzeugten sie, uns Kinder freizulassen. Sie brachten mich in einem Rehabilitationszentrum in der Hauptstadt Freetown unter. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, wer oder was UNICEF war. Meine Rückkehr ins Leben hat lange gedauert. Allein acht Monate habe ich im Rehabilitationszentrum verbracht. Ich musste wieder schlafen lernen, anfangen, anderen Menschen zu vertrauen. Bis heute träume ich oft schlecht und kann nichts dagegen tun.
Wenn ich es mir erlauben würde, dass mich all das niederdrückt, könnte ich nicht weiterleben. Stattdessen möchte ich alles dafür tun, damit Kindern ein Schicksal wie meines erspart bleibt. Deshalb engagiere ich mich als UNICEF-Botschafter. In der Zentralafrikanischen Republik habe ich vor kurzem ein Auffangzentrum für ehemalige Kindersoldaten besucht. Einige der Kinder waren gerade einmal elf Jahre alt. Sie zeigten mir ihre Zeichnungen: Links hingen Darstellungen von brennenden Häusern, angreifenden Hubschrauber, sterbenden Menschen – Bilder von Kindern, die gerade erst ins Zentrum gekommen waren. Auf der anderen Seite des Raumes sah ich Schulen, Kinder mit Büchern und das Wappen des FC Barcelona – gemalt von Jungen und Mädchen, die schon länger dort waren. Ein Zeichen, dass auch sie langsam zurück ins Leben kamen.
Ich spreche viel über meine Erfahrungen - auf internationalen und regionalen Konferenzen, auf Lesungen, bei Besuchen. Ich mache mich gemeinsam mit UNICEF für den Schutz von Kindern stark. Ich will, dass niemand unter 18 Jahren rekrutiert wird, dass Rüstungsexporte strenger kontrolliert werden. Ich bin voller Leidenschaft: Wir müssen alles tun, um Mädchen und Jungen vor Kriegen und ihren Folgen zu schützen, damit sie zur Schule gehen können, nicht in Armut und Schutzlosigkeit aufwachsen. Was mir passiert ist, soll keinem anderen Kind passieren. Damit Kinder weltweit nicht mehr unter Krieg, Gewalt und Ausbeutung leiden – dafür gibt es UNICEF.
Ishmael Beah ist Internationaler UNICEF-Botschafter. Sein Buch „Zurück ins Leben“ erschien 2007 in deutscher Sprache. Die Originalausgabe „A Long Way Gone“ war in den USA lange Zeit auf den Bestsellerlisten und erschien in insgesamt 33 Sprachen. Ishmael Beah lebt in New York.