Tag der gewaltfreien Erziehung 2025: Akzeptanz körperlicher Bestrafung auf historischem Tiefpunkt
Ablehnung von Körperstrafen laut aktueller Befragung von UNICEF Deutschland und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm so hoch wie nie – rund zwei Drittel sind gegen sie
Knapp 25 Jahre nach der gesetzlichen Verankerung der gewaltfreien Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist die gesellschaftliche Akzeptanz körperlicher Bestrafung so gering wie nie zuvor. Dies zeigt eine aktuelle, repräsentative Befragung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm in Kooperation mit UNICEF Deutschland anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung am 30. April.

Kampagne #NiemalsGewalt
© UNICEF 2025So ist der Anteil der Menschen, die Gewalt anwenden bzw. als angebracht ansehen, seit der Jahrtausendwende insgesamt gesunken. Gaben in einer Befragung aus dem Jahr 2005 noch rund drei Viertel der Befragten an, einen „Klaps auf den Hintern“ als Erziehungsmethode verwendet zu haben, hielten 2016 noch 44,7 Prozent, 2020 noch 42,7 Prozent und 2025 30,9 Prozent diese Strafe für angemessen – immerhin noch fast jede/r Dritte. Im Jahr 2005 berichteten 53,7 Prozent der Befragten, schon einmal eine „leichte Ohrfeige“ als Erziehungsmethode eingesetzt zu haben, zwischen 2016 und 2020 stagnierten die Zahlen hingegen bei 17,0 bzw. 17,6 Prozent. 2025 hielten dies nur 14,5 Prozent der Befragten für angebracht.
Einführung der gewaltfreien Erziehung keine Symbolpolitik – weitere Anstrengungen notwendig
Trotz der bislang erzielten Fortschritte bleibt einiges zu tun. Laut UNICEF Deutschland und dem Kinder- und Jugendpsychiater sowie Psychotherapeut Prof. Dr. Jörg M. Fegert ist es unerlässlich, die Anstrengungen zum Schutz von Kindern vor Gewalt weiter zu intensivieren. Denn noch immer hält ein Teil der Bevölkerung körperliche oder emotionale Strafen für angemessen. Insbesondere psychische Gewalt und emotionale Bestrafung in der Erziehung erfahren nach wie vor nicht die notwendige Aufmerksamkeit – trotz ihrer nachgewiesenen negativen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung.
„Die gesetzliche Verankerung der gewaltfreien Erziehung im BGB war keine Symbolpolitik, sondern ein bedeutender Meilenstein – mit konkreten Auswirkungen auf die Einstellungen und das Handeln vieler Eltern“, sagte Prof. Dr. Jörg M. Fegert. „Doch auch wenn der Trend positiv ist, dürfen wir uns nicht ausruhen. Hinzu kommt, dass die Misshandlungsform der Vernachlässigung – also Gewalt durch Unterlassung – nach wie vor weitgehend unbeachtet bleibt. Auch die Ächtung dieser Form der Gewalt muss endlich gesetzlich verankert werden.“
„Das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung im Jahr 2000 war ein wegweisendes Signal: Gewalt als Mittel der Erziehung ist niemals zu rechtfertigen und jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor jeglicher Form von Gewalt“, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. „Es ist eine dauerhafte gesellschaftliche Verantwortung, Kinder vor psychischer und physischer Gewalt zu bewahren. Diese Aufgabe hat auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.“
„Seit Einführung des Gesetzes erfuhr die Ablehnung der Gewalt in der Erziehung zunehmend mehr Akzeptanz, insbesondere in der jüngeren Generation“, sagte Dr. Christine Bergmann, ehemalige Bundesministerin für Familie, Frauen, Senioren und Jugend. „Doch noch immer werden grundlegende Kinderrechte nicht ausreichend beachtet. Ein Neustart ist nötig: Um zu erreichen, dass bei allen Angelegenheiten, die Kinder und Jugendliche betreffen, zuerst an diese gedacht wird, bedarf es der Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz.“
Weitere Ergebnisse der Befragung
- Die Zustimmung zu der Aussage „Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet“ lag 2016 bei 53,7 Prozent, 2020 bei 52,4 Prozent und sank 2025 auf 36,9
Prozent. - Die Zustimmung zu der Aussage „Eine Ohrfeige hat noch keinem Kind geschadet“ liegt 2025 nun ebenfalls tiefer bei 17,1 Prozent, während sie vom Jahr 2016 mit 23,2
Prozent bis in das Jahr 2020 mit 23,1 Prozent stagnierte. - Die Zustimmung zu der Aussage „Eine Tracht Prügel hat noch keinem Kind geschadet“ sank 2025 auf einen Tiefpunkt mit 5,4 Prozent, während im Jahr 2020 sogar ein Anstieg der Zustimmung zu verzeichnen war. 2016 lag die Zustimmung bei 5,9 Prozent und 2020 bei 7,2 Prozent.
- Die grundsätzliche allgemeine Zustimmung zu Körperstrafen in der Erziehung von Kindern ist bei Männern größer als bei Frauen. Allerdings sind auch hier starke
Rückgänge im Vergleich zu 2020 zu beobachten. 2025 stimmten noch 40,8 Prozent der Männer im Vergleich zu 33,6 Prozent der Frauen der Aussage „Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet“ zu. - Gerade in der jüngeren Generation scheinen Zustimmungen zu körperlichen Bestrafungen zunehmend zu schwinden.
Notwendige Maßnahmen zum nachhaltigen Schutz von Kindern vor Gewalt
Nachfolgende Ansätze sind entscheidend, um Kinder nachhaltig vor Gewalt zu schützen:
Kinderrechte stärken: Die Geschichte der gewaltfreien Erziehung in Deutschland zeigt, wie gesetzliche Maßnahmen zu nachhaltiger positiver gesellschaftlicher Veränderung führen.
Eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz würde die Rechtsposition von Kindern zusätzlich stärken und so die Rahmenbedingungen für einen wirksamen Kinderschutz und die Teilhabe von Kindern in allen Lebensbereichen verbessern.
Den Begriff der gewaltfreien Erziehung erweitern: Die gesetzliche Norm zum Recht auf gewaltfreie Erziehung berücksichtigt bislang nicht die Misshandlungsform der Vernachlässigung. Während die Ablehnung körperlicher Gewalt und auch zunehmend der emotionalen Gewalt im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist, fehlt es weiterhin an einer breiten Sensibilisierung für die Folgen unterlassener Fürsorge. Der Begriff der gewaltfreien Erziehung sollte daher im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich auf diese Form der Gewalt durch Vernachlässigung ausgeweitet werden.
Datenlage zu Gewalt in der Erziehung verbessern: Die Datenlage zur Gewalt in der Erziehung in Deutschland ist weiterhin lückenhaft. Eine systematische Datenerhebung ist das Fundament für wirksame Prävention und gezielte Intervention. Nur durch fundierte Daten lassen sich das Ausmaß und die Risikofaktoren von Gewalt gegen Kinder erkennen. Darauf aufbauend lassen sich Lösungen erarbeiten sowie politischer und gesellschaftlicher Handlungsdruck erzeugen.
Service für die Redaktionen
Hintergrund: Die Befragung wurde mit Unterstützung von UNICEF Deutschland und mit Förderung durch eine philanthropische Stiftung von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm durchgeführt. Zwischen Oktober 2024 und Februar 2025 wurden 2.530 repräsentativ ausgewählte Personen befragt. Die aktuelle Studie baut auf bestehenden Arbeiten zur Akzeptanz von Körperstrafen auf und untersucht, wie sich Einstellungen seit Inkrafttreten des Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung im Jahr 2000 verändert haben.
Ein ausführliches Faktenblatt zur aktuellen Befragung steht hier zur Verfügung.
Bis November 2025 soll zum tatsächlichen 25-jährigen Jubiläum der Einführung der gewaltfreien Erziehung ein ausführlicher Ergebnisbericht erscheinen. Dieser wird sich neben den Einstellungen zu körperlichen Strafen in der Erziehung von Kindern und deren empfundener Angemessenheit u.a. intensiver mit psychischer Gewalt und emotionalen Strafen in der Erziehung sowie der sogenannten transgenerationalen Weitergabe von Gewalt befassen.
Seit 2000 macht UNICEF Deutschland mit der Kampagne #NiemalsGewalt auf Gewalt gegen Kinder aufmerksam. Weitere Informationen stehen hier zur Verfügung.
Pressekontakte
Emily Sitarski, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, 0173 3490293, emily.sitarski@uniklinik-ulm.de
Christine Kahmann, UNICEF Deutschland, Sprecherin, 0221/93650-315 oder 0159 04139723, presse@unicef.de

Christine KahmannSprecherin - Nothilfe