Kinderarbeit: Zwei Schicksale in Bangladesch
Zum Welttag gegen Kinderarbeit am 12. Juni
Noch immer müssen weltweit etwa 152 Millionen Kinder arbeiten – oft unter ausbeuterischen Bedingungen. Die harte, körperliche Arbeit ist häufig der einzige Weg, die Familie zu ernähren.
Viele Eltern haben keine Wahl: Ihre Kinder müssen in Fabriken, Minen, auf Müllkippen oder Plantagen anstrengende und monotone Aufgaben bewältigen. Zum internationalen Tag gegen Kinderarbeit erzählen wir die Geschichten von Sumon und Mohamed aus Bangladesch.
„Meinen Geburtstag habe ich noch nie gefeiert…“
Sumon (Name geändert) bewegt seinen ganzen Körper im stakkatoartigen Rhythmus der dröhnenden Maschine, als wäre er ein Teil von ihr. Barfuß bewegen sich seine Füße auf dem Boden, der mit scharfkantigen Aluminiumsplittern übersät ist.
Eine Glühbirne beleuchtet den fensterlosen Raum nur spärlich. Es ist laut, staubig und stickig. Seit vier Jahren schuftet der Junge in einer Aluminiumfabrik in Kamrangichar. Die Fabrik ist nicht registriert und damit einer der vielen inoffiziellen Betriebe in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka.
Sein genaues Alter weiß Sumon nicht. „Ich bin elf oder zwölf. Aber Geburtstag habe ich noch nie gefeiert“, erklärt er. Sein 15-jähriger Bruder Sabug arbeitet seit sechs Jahren in der Fabrik. Eines Tages nahm er Sumon mit und lernte ihn an.
Aus runden, flachen Aluminiumscheiben werden Töpfe hergestellt. Die kleinen Gefäße werden für 42 Cent auf den lokalen Märkten verkauft, die großen für einen Euro. 700 bis 1000 Töpfe in unterschiedlichen Größen werden hier jeden Tag produziert.
Sumons magerer Lohn für die Schufterei: Vier Cent in der Stunde. Seine Arbeit ist gefährlich. Aluminiumsplitter können die Augen verletzen, ein Moment der Unachtsamkeit und die Hände geraten in die Maschine.
Jeden Morgen um 6:20 Uhr steht Sumon auf, isst ein bisschen Reis zum Frühstück und legt den kurzen Weg von seinem Zuhause in die Fabrik zurück. Um 7 Uhr morgens startet sein Arbeitstag, der erst um 17 Uhr zu Ende ist. Mittags bekommt Sumon ein bisschen Geld von seinem Chef, um sich etwas zu Essen zu kaufen. Meist nur Biskuits oder ein Stück Brot.
„Ich habe keine Träume mehr“
Sumons Hände und Gesicht glänzen silbern von der Arbeit mit dem Aluminium. „Wenn ich zu Hause bin, wasche ich mich erst einmal. Wenn die Farbe gar nicht abgeht, benutze ich eine leichte Säure.“ Was er sich für die Zukunft wünscht? „Ich habe keine Träume mehr“, sagt Sumon leise. „Ich bin doch noch nie zur Schule gegangen. Vielleicht wäre Fußball eine Möglichkeit?“, überlegt er zaghaft.
Nach der Arbeit geht Sumon nach Hause. Er bewohnt mit seinen Eltern und zwei Geschwistern ein winziges fensterloses Zimmer. Eine einfache Duschgelegenheit und eine Latrine teilen sich mehrere Hausbewohner auf dem Flur.
Eine kleine Chance für Träume und Kind sein
Im Dezember letzten Jahres wurde ein Kinderschutzzentrum eröffnet, ganz in der Nähe von Sumons Fabrik. Ein farbenfroher heller Raum, in dem bis zu sechzig Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren lernen, Musik hören, tanzen und ihre Freunde treffen können.
Auf dem Programm stehen Lesen, Schreiben, Rechnen und Landeskunde. In kleinen Unterrichtseinheiten können die Kinder in ihrem eigenen Tempo arbeiten. Das Zentrum ist ein Rückzugsort, an dem sich die Kinder geborgen fühlen und dem harten Alltag für ein paar Stunden entkommen.
Zudem sprechen die durch UNICEF speziell geschulten Mitarbeiter mit den Kindern und bieten ihnen psychologische Hilfe an. UNICEF und die Regierung stellen Schul- und Spielmaterial zur Verfügung.
Frisch gewaschen und mit sauberer Kleidung kommt Sumon heute zum fünften Mal ins Zentrum. Sozialarbeiter haben den Fabrikbesitzer aufgesucht und ihn um Erlaubnis gebeten, dass auch Sumon für zwei Stunden am Tag das Zentrum besuchen darf. „Das ist der schwierigste Part“, erklärt der Sozialarbeiter Shahanaj Rahman Moni (40 Jahre).
„Die Fabrikbesitzer erlauben es häufig nicht, weil sie für zwei, drei Stunden auf eine Arbeitskraft verzichten müssen. Dann müssen wir mit ihnen verhandeln.“
Sumon macht mit großer Freude bei den Bewegungsspielen mit. Eine kleine Chance, einmal Kind zu sein. Eine kleine Chance für Träume.
Mohamed* in der Ziegelfabrik: Ein Leben zwischen Hitze und Staub
Fünf Schornsteinschlote ragen hoch in den Himmel. Auf einem großen Areal befindet sich eine Ziegelsteinfabrik. Seit einem Jahr ist dies der Arbeitsplatz des 14-jährigen Mohamed* (*Name geändert).
Steine müssen aus feuchtem Schlamm geformt und anschließend ein Stempel mit dem Firmennamen aufgedrückt werden. Drei Kilo wiegt jeder Stein im nassen Zustand. Die Steine müssen auf Karren gestapelt werden. Immer zu zweit werden die viel zu schweren vollbeladenen Karren gezogen und geschoben.
Rund 350 Kilo schiebt der 14-Jährige durch den Staub bis zur nächsten Station. Eine Mischung aus Hitze und Staub empfängt Mohamed in der Trockenkammer. Der Staub legt sich sofort auf Mund und Nase und verklebt die Augen. Keines der Kinder, die hier arbeiten, trägt einen Mundschutz.
In der Trockenkammer wirft Mohamed mit geübten Bewegungen immer drei Steine auf einmal dem nächsten Arbeiter zu, der sie auffängt und in die Höhe stapelt. Wenn die Steine schließlich getrocknet sind, werden sie bis zum Abtransport zwischengelagert. Ein immer gleicher, nie endender Kreislauf.
Mohameds größter Wunsch ist es, wieder zur Schule gehen. Bis zur dritten Klasse hat er es geschafft, dann musste er seinen Vater zur Arbeit in die Ziegelfabrik begleiten. Ganz in der Nähe der Fabrik liegt eine Schule. Jeden Tag muss er mit ansehen, wie die Schulkinder sich fröhlich auf den Weg dorthin machen. Nah und doch unerreichbar für den Jungen.
„Die Arbeit hier ist sehr gefährlich“, weiß Fatema Kyrunahar, die bei UNICEF Bangladesch für Kinderschutz zuständig ist. „Es gibt viele Krankheiten, die durch den Staub bedingt sind. Allergien, Atemwegserkrankungen und Augenverletzungen, Fieber und Knochenbrüche.“ Für den mageren Lohn von zehn Euro in der Woche setzt der Junge jeden Tag seine Gesundheit aufs Spiel.
Bangladesch zählt zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt – und zu den ärmsten. 44 Prozent der Haushalte in Bangladesch leben unterhalb der Armutsgrenze und haben weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Armut zwingt Eltern dazu, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken statt zur Schule. Ein Schicksal, das 1,7 Millionen Kinder betrifft. Bangladesch gehört damit zu den Ländern mit dem höchsten Anteil von Kinderarbeit weltweit.