"Das Bild der Verstümmelung einer Grapefruit soll schockieren und aufklären"
An einer Grapefruit wird die brutale Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung / -beschneidung gezeigt: Hannah-Lisa Paul ist die Regisseurin und Kreative hinter dem aufrüttelnden Video. Im Interview erzählt die Studierende der Kunsthochschule für Medien Köln, wie der Spot entstand und was sie damit bewirken möchte.
Liebe Frau Paul, Sie haben sich entschieden, einen Spot gegen weibliche Genitalverstümmelung / -beschneidung zu machen. Warum?
Dieses Thema beschäftigt mich schon sehr lange. Ich habe das erste Mal in den Kindernachrichten "Logo!" davon gehört, als ich noch sehr jung war. Da konnte ich mir aber nichts Konkretes darunter vorstellen. Dann bin ich immer wieder mit weiblicher Genitalverstümmelung durch verschiedene Artikel, durch die Organisation "intact" und einige Filme in Berührung gekommen.
Zum anderen beschäftige ich mich in meinen filmischen Arbeiten viel mit Machtverhältnissen und Geschlechtergerechtigkeit. Weibliche Genitalverstümmelung ist für mich ein sehr grausames Instrument über die Macht der Frau und vor allem über ihre Sexualität. So war für mich sehr schnell klar, dass ich mich mit diesem Thema künstlerisch auseinandersetzen möchte. Der Gedanke zu visualisieren, was dabei wirklich passiert, reifte sehr schnell.
Warum zeigen Sie in dem Spot die Verstümmelung einer Grapefruit?
Das Ziel ist, durch das simple Bild einer Verstümmelung einer Grapefruit zu schockieren und aufzuklären. Ich möchte, dass den Zuschauer*innen nach und nach immer mehr klar wird, worum es bei dem Spot thematisch geht. Er ist mit Absicht so gehalten, dass wir ihn nicht von Beginn an verstehen.
Für mich liegt die Kraft des Spots darin, dass wir exemplarisch zeigen, was bei einer Genitalverstümmelung passieren kann. Viele von uns kennen das Wort, wissen, dass es etwas unvorstellbar Schlimmes ist. Was jedoch genau passiert, wissen nur sehr wenige.
Ich glaube, dass wir durch die Aufklärung der Schritte und Grausamkeit hinter dem Wort der "Verstümmelung", rituell auch "Beschneidung" genannt, zeigen können, welch großes Ausmaß an Gewalt dahinter steht. Ich wollte das brutale Ritual zeigen, ohne es richtig zu zeigen. Wir sehen nur eine Grapefruit, jedoch steht diese exemplarisch für eine Vulva und wenn wir dies begreifen, können wir versuchen, die Schmerzen auch an der Grapefruit nachzuempfinden.
Die ganze Causa Genitalverstümmelung ist für mich einfach nicht greifbar, ich sehe keinerlei Vorteile und kann nicht verstehen, wie Menschen etwas so Brutales, Missbrauchendes durchführen können. Es dürfen nicht noch mehr Frauen diesem furchtbaren Ritual ausgesetzt und missbraucht werden.
In dem Video sehen wir verschiedene Hände mit verschiedenen Hautfarben. Was möchten Sie dadurch ausdrücken?
Ich wollte ganz bewusst möglichst verschiedene Hände, verschiedene Hautfarben, Alter und Größen zeigen, um zu symbolisieren, dass das Ritual in vielen Teilen der Welt praktiziert wird.
Mit welchem Team haben Sie an dem Spot gearbeitet?
Wir waren ein relativ kleines Team, was trotzdem ca. 15 Personen bedeutete. Darunter war unter anderem meine Kamerafrau Laura Emma Hansen und mein Komponist Fabian Kratzer. Er hatte die Idee für die Musik im Video. Ich finde die Lösung mit dem Frauenchor toll, da dieser eine positive Kraft ausstrahlt. Die finale Musikversion war die 9. Fassung und ich bin sehr stolz, dass Fabian einen Chor zusammenstellen konnte, die alle unentgeltlich, wie jede und jeder bei diesem Projekt, gesungen haben. Sie alle waren begeistert, Teil dieses Projekts zu sein, das wirklich eine positive Kraft haben kann.
Regisseurin Hannah-Lisa Paul, Kamerafrau Laura Emma Hansen und Komponist Fabian Kratzer haben uns weitere Fragen im Video-Interview beantwortet:
Wie war die Atmosphäre am Set während der Dreharbeiten?
Es war sehr spannend, da allen bewusst war, wofür bzw. wogegen wir den Spot machen werden. Zu Beginn trauten sich die "Hände" kaum, wirklich zu schneiden. Wirklich jede und jeder hatte großen Respekt und es war ein sehr behutsamer, spannender, achtsamer Dreh.
Immer wieder betonte das Team, wie brutal und unvorstellbar die Praxis der Mädchenbeschneidung sei. Die Thematik hat wirklich jede und jeden mitgenommen. Interessant fand ich außerdem, dass gerade die Männer am Set zu Beginn noch mehr Probleme hatten, beim Beschneiden der Grapefruit hinzuschauen.
Insgesamt war es ein sehr voller und aufregender Tag mit besonderer Atmosphäre, da uns allen klar wurde, wie wichtig dieser Spot ist. Außerdem war es für mich die erste Arbeit, in der ich nicht mit Schauspieler*innen oder Kindern arbeitete, auch eine interessante Erfahrung und nicht unbedingt einfacher.
Was möchten Sie mit dem Spot bewirken?
Meine große Hoffnung ist, mit dem Spot auf die Brutalität von weiblicher Genitalverstümmelung aufmerksam zu machen. Ich möchte zeigen, was passiert, damit schockieren und letztlich meinen Teil dazu beizutragen, dass Genitalverstümmelung abgeschafft wird.
Wenn wir auch nur ein Mädchen davor bewahren können, hat sich der Aufwand mehr als gelohnt. Keinem Menschen auf der Welt sollte diese Gewalt angetan werden. Ich hoffe, dass ich mit diesem Spot dazu beitragen kann, aufzuklären.
Ich wünsche mir für die Betroffenen Heilung, soweit dies möglich ist. Es gibt die Chance, die Klitoriseichel zu rekonstruieren, da heute bekannt ist, dass die Klitoris im Inneren sehr viel größer ist als nur die äußere Kuppe. Ich wünsche mir, dass diese Möglichkeit bekannter wird und dass der nächsten Generation die Genitalverstümmelung erspart werden kann.
Zum Hintergrund: So entstand der Spot
Das Video entstand im Seminar "Social Spots" 2019/2020 an der Kunsthochschule für Medien in Köln. UNICEF war Partner des Seminars.
Die Studierenden durften zu einem von ihnen selbst gewählten UNICEF-Thema Spots entwickeln und realisieren.