Brasilien: Caio atmet durch
Caio lebt in Itacaré, einem brasilianischen Ferienort. Seit die Schule wegen der Corona-Pandemie geschlossen wurde, sieht er seine Freunde nicht mehr, und lernen kann er ohne Computer auch nicht. Also streift er durch die Natur...
Tock – tock – tock … Wasser tropft durch das undichte Dach und weckt Caio auf. Es ist noch früh in Itacaré, einem Städtchen an Brasiliens Atlantikküste. Seine Mutter bricht gleich auf, geht zur Arbeit und kehrt erst am Abend zurück. Der Zwölfjährige denkt daran, wie er früher vor ihr das kleine Haus verlassen hat. So getan hat, als würde er zur Schule gehen. Tatsächlich versteckte er sich in den nahen Wäldern, um sich das Geschimpfe der Lehrerinnen und Lehrer zu ersparen, ihre verächtlichen Blicke, wenn er wieder einmal eine Aufgabe nicht lösen konnte.
Caio schwingt seine Beine aus dem Bett, zieht sich an, schmiert sich eine Scheibe Brot mit Margarine und sieht ein paar Minuten fern. Seitdem die Corona-Pandemie ausgebrochen ist, sind die Schulen im Land geschlossen. Einerseits eine Erleichterung für Caio, dem das Lernen ohnehin immer schwergefallen ist.
Er besucht die fünfte Klasse zum dritten Mal. Andererseits sieht er nun seine Freunde gar nicht mehr. Das ganze Leben scheint angehalten zu haben: Hotels und Restaurants sind dicht, es tummeln sich keine Touristinnen und Touristen mehr am Strand und auf den Straßen, Fußballspiele wurden abgesagt, und ab acht Uhr abends herrscht in der Stadt Ausgangsperre.
Tagsüber darf Caio allerdings nach draußen. Er wirft noch einen Blick auf den dicken Umschlag mit Aufgaben, den die Schule geschickt hat, und verlässt das Haus. Andere Jungen und Mädchen lernen mithilfe von Laptop oder Smartphone. Aber Caios Familie besitzt weder das eine noch das andere. Und allein kommt er mit den Aufgaben nicht klar. „Ich wünschte, ich könnte das machen, was ich am meisten mag. Dann würde ich mir einen Job suchen, bei dem ich mit Bäumeklettern Geld verdienen kann“, sagt Caio.
Bis vor Kurzem konnte Caio das tatsächlich – wenn auch nicht mit Klettern. Für ein paar Brasilianische Real half er einem Freund der Familie dabei, Hotel-Swimmingpools zu reinigen. Aber seitdem niemand mehr in Itacaré Urlaub macht, gibt es kaum noch etwas zu tun. Caio darf bei den verbliebenen Arbeiten zwar anpacken, wird dafür aber nicht mehr bezahlt.
UNICEF weiß von Caios Situation. Für Kinder wie ihn bietet das Kinderhilfswerk umfangreiche Programme an, stellt Psychologen und Psychologinnen ein, schafft Orte zum Lernen und sorgt für Materialien. So soll auch Caio der Anschluss wieder gelingen, damit er einen Abschluss machen kann. Doch noch ist es nicht so weit.
Draußen schwingt sich Caio erst einmal auf sein Rad, fährt zwischen Palmenplantagen hindurch und versucht, die Natur zu genießen. Später besucht er seine Großmutter. Sie und sein Großvater wohnen nicht weit weg in einer anderen Favela. So nennt man hier in Brasilien die Siedlungen am Stadtrand, in denen die Ärmsten leben.
Bei seiner Großmutter fühlt Caio sich wohl. Sie lässt ihn mit den Schulsachen in Ruhe, packt die Angeln ein und spaziert mit ihm zum Fluss, dem Rio de Contas. Der Junge genießt die Ruhe, das spiegelglatte Wasser, die feuchte Luft. Die Fische, die sie fangen, gibt es nachher zum Abendessen. Darauf freut sich Caio. Und weiter in die Zukunft mag er jetzt nicht denken.