Meinung

Die Frage nach dem Glück II


von Christian Schneider

Zugegeben – ich habe mich verschätzt. Die Resonanz auf die dritte internationale UNICEF-Vergleichsstudie zum kindlichen Wohlbefinden war viel größer als wir erwartet hatten. Hunderte Artikel und viele Fernsehberichte haben unser Anliegen aufgegriffen, dass nicht zuletzt die eigene Meinung der Kinder wichtig ist, wenn es darum geht ihre Lebenssituation umfassend zu beurteilen.

Mädchen vor Plattenbausiedlung in Berlin (© UNICEF DT/2012/Liesa Johannssen)

Die große Resonanz auf die UNICEF-Studie zur Lage der Kinder in Industrieländern zeigt, wie wichtig die eigene Meinung der Kinder ist.

© UNICEF DT/2012/Liesa Johannssen

Wir sind froh, dass wir damit gerade vor der Bundestagswahl eine breite Diskussion anstoßen konnten. Diese ging weit über Fachkreise hinaus. Viele Eltern, aber auch junge Menschen haben sich in Blogs oder Radiosendungen zu Wort gemeldet und von eigenen Erfahrungen berichtet. Offenbar hat die UNICEF-Studie einen wichtigen Punkt getroffen. Die Debatte werden wir heute in Berlin bei einem Treffen mit Parlamentariern vertiefen.

Die UNICEF-Studie hat – unter anderem – die Einschätzung der Lebenszufriedenheit der Kinder deutlich gemacht. Denn eine repräsentative Befragung – durchgeführt 2009/10 im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation – unter rund 5.000 Mädchen und Jungen ergab: Jeder siebte Jugendliche in Deutschland ist mit sich und seiner Situation eher unzufrieden – trotz insgesamt positiver äußerer Lebensbedingungen.

Sind vergleichende Studien aussagekräftig?

Gemessen wurde dieser Indikator anhand einer Skala von null bis zehn: Null ist der schlechteste Wert, zehn der beste. Sind internationale Vergleiche solcher Ergebnisse zulässig und aussagekräftig? In einigen Kommentaren wurde dies in Frage gestellt. Ich gebe zu bedenken: Beim Spitzenreiter Niederlande sehen 95 Prozent der Kinder ihr Leben eher positiv, das ist ein deutlicher Unterschied. Der gute Wert zeigt uns, was wir erreichen können.

Diese Art der vergleichenden Forschung ist international etabliert. In Deutschland wird sie jedoch vielfach noch nicht wahrgenommen. Eine solche fundierte Betrachtung von außen sollten wir ernst nehmen, auch wenn uns die Ergebnisse nicht immer gefallen. Zum Beispiel auch einen anderen Befund aus der schon erwähnten Studie der Weltgesundheitsorganisation: Deutsche Mädchen und Jungen finden sich demnach oft zu dick, obwohl sie es objektiv gar nicht sind. Sie belegen in dieser Hinsicht international einen eher traurigen Spitzenplatz. Ein schlechtes Körper-und Selbstwertgefühl kann die Entwicklung beeinträchtigen.

Probleme der Kinder ernst nehmen

Solche Probleme sollten wir im Interesse der Kinder angehen. Auch wenn noch nicht für alle Bereiche kindlichen Wohlbefindens international vergleichbare Daten vorliegen – das ist kein Grund, solche Untersuchungen gar nicht in Angriff zu nehmen. Das UNICEF-Forschungsinstitut in Florenz entwickelt diese Studien gemeinsam mit internationalen Forschern kontinuierlich weiter. Die seit Mitte der 2000er Jahre veröffentlichten Untersuchungen haben bereits dazu beigetragen, auch in der Wissenschaft eine mehrdimensionale Sicht auf das Aufwachsen von Kindern in Industrieländern zu fördern.

Wir müssen verstehen, dass Wohlstand und Lebenszufriedenheit nicht automatisch zusammenfallen. Markenjeans und gute Noten bedeuten nicht automatisch Zuversicht. Kinder sind Kinder, nicht Humankapital.

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Autor*in Christian Schneider

Christian Schneider ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Komitees für UNICEF, ein Schwerpunkt der Arbeit ist seit Jahren die Situation von Kindern in Krisenregionen. Er hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Publizistik studiert und war vor der Zeit bei UNICEF als Journalist für verschiedene Tageszeitungen tätig.