Der sanfte Rebell
Zum ersten Todestag des Aktivisten, Künstlers und UNICEF-Botschafters Harry Belafonte am 25. April 2024.
Jeder Mensch hat eine Biographie. Harry Belafonte hat eine Geschichte. Sie reicht von der Zeit der großen Depression in den 1930er Jahren, über den 2. Weltkrieg, die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King bis in die Gegenwart. Sie handelt von unfassbarem Talent und weltweitem Erfolg als Sänger und Schauspieler. Und sie erzählt von Armut und Demütigungen, vom lebenslangen Kampf gegen Rassismus, für Gerechtigkeit und Frieden, von einem weltweit respektierten Aktivisten.
Auf den ersten Blick hat diese Geschichte etwas von dem Klischee des amerikanischen Traums. Aber wenn man näher hinschaut, ist es eine globale Geschichte, die Erfahrung eines ganzen Jahrhunderts vereint in der charismatischen Person eines ganz großen Entertainers.
Harry Belafonte wurde am 1.3. 1927 in New York geboren und wuchs in armen Verhältnissen im Stadtteil Harlem auf. Sein Vater, ein Schiffskoch aus Jamaika, verließ die Mutter, die als Hilfsarbeiterin ihr Leben fristete. Mit Bitterkeit erinnert er sich daran wie ihn sein betrunkener Vater mit einem Gürtel schlug: „All der Schmerz, die Wut und die Ohnmacht, die er in seinem Leben erfahren hatte, brachen aus ihm heraus.“
1935 schickte seine Mutter den jungen Harry zur Großmutter nach Jamaika. So wuchs er zwischen karibischer und amerikanischer Kultur, zwischen Schwarz und Weiß auf. „Ich sehe den kleinen Jungen, der ich war, in seiner ganzen Komplexität, wütend, verletzt und fast immer allein. Aber warum ausgerechnet dieser kleine Junges seine Wut einsetzen konnte, um sich aus dem Sumpf zu ziehen, um berühmt zu werden und es sich zur Aufgabe zu machen, mit derart grimmiger Entschlossenheit gegen Rassenschranken und Ungerechtigkeit vorzugehen, ist mir immer noch nicht klar. Vielleicht ist es am Ende gar nicht so wichtig, wo dein Zorn herkommt. Hauptsache du fängst etwas damit an“, schreibt Harry Belafonte in seiner Autobiographie „My Song“.
Mit 17 Jahren brach Harry Belafonte die Schule ab, ging zur US-Armee. Wie viele junge Männer seiner Generation hoffte er darauf, dass nach dem zweiten Weltkrieg, in dem schwarze und weiße Amerikaner gemeinsam gekämpft hatten, die Rassenschranken fallen würden. Doch die Hoffnung trog. An die 1950er Jahre erinnert sich Harry Belafonte als einen Zustand „ständiger sozialer Erstickung“.
Der junge, gut aussende Mann schlug sich als Hausmeister durch. Als eine Kundin ihm als Trinkgeld Karten für ein von Schwarzen betriebenes Theater schenkte, begann er sich für Schauspiel zu interessieren und gelangt 1946 durch Zufall an die New School for Social Research. Dort begegnete er späteren Weltstars wie Marlon Brando und Walter Matthau und spielte zunächst in kleinen Rollen am Theater, in denen er auch sang. Im Publikum sah ihn der Jazzmusiker Lester Young und lud ihn ein, in einem Club in der Nähe zu singen. Hier entdeckte Belafonte sein Talent und baute es aus.
So schaffte es Harry Belafonte durch den Hintereingang auf die Weltbühnen
Sein Aufstieg zum „King of Calypso“ ist zu dieser Zeit ein Wunder der Popkultur, aber das Publikum liebte einfach die weiche, raue, melodische Stimme und den außergewöhnlichen Charme Belafontes. Die Zeit war reif für „Weltmusik“ und Lieder wie Island in the Sun, Banana Boat und Coconat Women wurden riesige Hits – auch in Deutschland. Die großen Konzertsäle, in denen Belafonte auftrat, sollte er als schwarzer Musiker aber weiter nur durch den Hintereingang betreten.
Mitte der 1950er Jahre begegnete er dem späteren Wortführer der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Martin Luther King. Zutiefst beeindruckt ist er bis heute von Kings Gelassenheit, Bescheidenheit und spiritueller Kraft. Er wurde Kings Freund und einer seiner besten Spendensammler. Belafonte war beim „Marsch auf Washington“ 1963 dabei, kämpfte gegen die Apartheid, den Krieg in Vietnam und die erstarrten Fronten des kalten Krieges.
Grenzen überwinden - Der Leitsatz von Harry Belafonte
2003 begleitete ich Harry Belafonte zu einem Interview in Berlin. Der Journalist – etwa in meinem Alter – sprach Harry auf seinen Auftritt in Ostberlin 1981 an, lange Zeit vor dem Fall der Mauer. Nachdem Belafonte vor 300.000 Friedensdemonstranten im Bonner Hofgarten aufgetreten war, war er kurz darauf in die DDR gefahren, um ein Zeichen der Entspannung zu setzen. Erstaunt stellten wir fest, dass der Journalist und ich als junge Menschen jeweils auf beiden Seiten der Mauer Harry Belafontes zugehört hatten. Da strahlten seine funkelnden Augen noch mehr als sonst.
Grenzen sind für Harry Belafonte etwas, was man überwinden muss und womit man spielt, um immer wieder etwas Neues entwickeln zu können, in der Gesellschaft wie in der Musik. Als die ersten Hip-Hop- und Breakdance Artisten auftauchen produzierte er den Film Beat Street. Bis heute fasziniert ihn die ungeschliffene Kraft und Rebellion mit der junge Menschen ihren Ausdruck suchen. Das erinnert ihn an den zornigen jungen Mann in ihm selbst.
Harry Belafonte hat nie vor deutlichen Worten gescheut. Nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 warnte er eindringlich vor einer schleichenden Aufweichung der Menschenrechte. „Die schlimmsten Formen von Terrorismus sind Gleichgültigkeit, Hunger und Krankheiten. Wenn wir die nicht überwinden, werden wir nie in Frieden leben“, sagte er auf einer UNICEF Pressekonferenz zu Beginn des zweiten Irak-Krieges 2003 in Hamburg.
1985 hatte Harry Belafonte die Idee zu dem Musikprojekt „We are the world“ für Afrika. Stars wie Stevie Wonder, Ray Charles, Bob Dylan, Diana Ross, Bruce Springsteen und Lionel Richie beteiligten sich. Das von Michael Jackson geschriebene Lied „We are the World“ gewann den Grammy für den besten Song. Belafontes Ausstrahlung und die Anerkennung, die er von allen Seiten genoss, war verbindendes Element zwischen großen künstlerischen Egos.
Nach dem Völkermord in Ruanda 1994 reiste er in das traumatisierte Land und warb um Hilfe für die traumatisierten Kinder. Seit 1987, also seit 35 Jahren, ist er internationaler UNICEF-Botschafter. Auf zahllosen Veranstaltungen setzte er sich insbesondere für die Abschaffung der Schulgebühren in den Entwicklungsländern ein. Für die Kampagne „Schulen für Afrika“ von UNICEF-Deutschland spielte er in einem Kinospot einen Menschen, der nicht lesen und schreiben kann, dem ein kleines Mädchen den Weg weist.
„Die Lösung liegt in der Hoffnung, die UNICEF bringt. Ausbildung, Ernährung, Förderung und Entwicklung des Geistes und damit die Bereicherung der Gesellschaft durch gesunden Menschenverstand“, erklärte Belafonte sein Engagement einmal einem deutschen Journalisten. „UNICEF bringt mich dazu, über meine moralische Wahrheit und meine Menschlichkeit zu urteilen. Es gibt keinen höheren Dienst“.
Danke Harry Belafonte für die Kraft deiner Musik, die Kraft deiner Worte und deinen Mut.
* Wir haben den Beitrag zum 25. April 2024, dem ersten Todestag von Harry Belafonte, aktualisiert.