Kleider machen Leute - Kinder machen Kleider
Eine Aktion von Greenpeace Berlin und UNICEF Berlin gegen ausbeuterische Kinderarbeit und für verantwortungsvollen Konsum
Am Montag, den 26. Juni 2017 fand auf dem Berliner Alexanderplatz eine gemeinsame Aktion von Greenpeace Berlin und UNICEF Berlin gegen ausbeuterische Kinderarbeit und für verantwortungsvollen Konsum statt, die auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Kleidung und den sorglosen Umgang mit billiger Fast-Fashion-Mode aufmerksam machte.
35 Ehrenamtliche von UNICEF und Greenpeace sitzen weiß maskiert an langen Tischen vor ratternden Nähmaschinen. Die Masken sind alle identisch und zeigen erstarrte Minen ohne jede Gefühlsregung. Damit fehlt den Näherinnen und Nähern der persönlicher Ausdruck und jede Individualität. Dieses Szenenbild spiegelt das Schicksal von Millionen von Kindern in den Textilfabriken wider, die ihrer Persönlichkeitsentfaltung und ihrer Kindheit beraubt werden und sich nicht regen, bewegen, spielen und entwickeln können. Schlimmer noch, bekommen sie - genau wie die Aktivisten unter den Masken - kaum Luft und atmen giftige Chemikalien ein. Auch ihre Hände sind gesundheitsschädlichen Stoffen ausgesetzt. Große Sprechblasen an den Arbeitsplätzen geben wieder, was die hier verkörperten Kinder tagtäglich erleiden: “Ich und meine Schwestern arbeiten täglich elf, zwölf Stunden auf der Baumwollfarm”, “Ich kann nicht zur Schule gehen, denn meine Familie braucht den Lohn, den ich erarbeite”, “Auf den Baumwollfeldern bin ich den ganzen Tag sengender Hitze ausgesetzt” oder “Ich darf während der Arbeit nicht auf die Toilette gehen” - und mehr.
168 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 17 Jahren sind nach Schätzung von UNICEF, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Weltbank Kinderarbeiter – das heißt, sie müssen unter Bedingungen arbeiten, die sie ihrer elementaren Rechte und Chancen berauben. 120 Millionen von ihnen sind jünger als 15 Jahre. Insgesamt gehen fast 58 Millionen Kinder im Grundschulalter und 63 Millionen Jugendliche bis 15 Jahre nicht zur Schule. Außerdem müssen schätzungsweise 600 Millionen Schulkinder parallel arbeiten. Jedes vierte Kind bricht deshalb die Schule vorzeitig ab. Heranwachsende ohne Bildung und Schulabschluss wiederum haben schlechtere Chancen, jemals eine gut bezahlte Arbeit zu finden.
Mehr als die Hälfte der Kinderarbeiter – 85 Millionen - leiden unter Arbeitsbedingungen, die gefährlich oder ausbeuterisch sind. Extrem lange Arbeitszeiten und gesundheitsgefährdende Tätigkeiten sind schädlich für die Entwicklung von Kindern. Rund 220.000 Kinder unter 14 Jahren arbeiten in Indiens Baumwollindustrie. Besonders Mädchen sind beliebte Arbeitskräfte für die Saatgutproduktion, weil sie so geschickt und fügsam sind. Die Arbeit auf dem Feld ist nicht nur schwer und anstrengend, sondern auch gefährlich. Denn die Farmer setzen reichlich Pflanzenschutzmittel ein, das zu Kopfschmerzen, Schwindel, Ausschlägen und Atemnot führt. Allein in Indien arbeiten rund 220 000 Kinder unter 14 Jahren in der Baumwollindustrie.
Dieses Leid ist nicht zuletzt auch das Ergebnis eines Kleiderkonsums, der jedes vernünftige und verantwortungsvolle Maß verloren hat. Dies zeigen die Sprechblasen an den Arbeitsplätzen ebenfalls an: In immer kürzeren Abständen produzieren Fast-Fashion-Hersteller Kopien von Designer-Mode und neuen Trends: bis zu 24 Kollektionen von regelrechter Wegwerfmode bieten Marktführer jährlich an.
Der durch Niedrigstpreise angeregte Massenkonsum führt zu einer Massenumwelt-verschmutzung: Im Jahr 2014 wurden mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Durch Herstellung, Warentransport und den Gebrauch - waschen, trocknen, bügeln - werden jährlich 850 Millionen Tonnen CО2-Emissionen verursacht.
Deutsche Verbraucher kaufen im Durchschnitt 10 Kg neue Kleidung oder ca. 60 Kleidungsstücke pro Jahr, dabei sind die Kleiderschränke bereits voll. Zugleich werden in Deutschland aber jährlich 1,5 Milliarden Kleidungsstücke entsorgt. Laut Umfragen werden 40 % der Kleidung nie oder nur einmal getragen. Die Produktion von Kleidung hat sich dadurch seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. In dem gleichen Zeitraum sind die Kosten für die Produktion aber lediglich um 10 Prozent gestiegen. Dies verdeutlicht den Werteverfall der Kleidung, die zu immer günstigeren Schnäppchenpreisen zu haben ist.
Das rasante Wachstum von Fast Fashion wäre ohne Polyester nicht möglich. Im Jahr 2016 ist die Verwendung der Kunstfaser auf etwa 21,3 Millionen Tonnen gestiegen. Polyester wird aus nicht-erneuerbarem Erdöl hergestellt und rechnet man den fossilen Energieträger zur Polymerproduktion mit ein, sind die CO2-Emissionen für Polyester fast dreimal so hoch wie für Baumwolle.
Greenpeace hat führende Modemarken verpflichtet, bis 2020 giftfrei zu produzieren. Die Kampagne Detox wird von Millionen von Verbrauchern weltweit unterstützt. Der Detox-Catwalk von Greenpeace zeigt eine Liste von 79 Detox-Unternehmen an.
UNICEF und Greenpeace fordern die Behebung der aufgezeigten Missstände und Rechtsverletzungen.
Kinderarbeit kann nur zurückgedrängt werden, wenn Politik und Öffentlichkeit das Schicksal der betroffenen Heranwachsenden wahrnehmen. Um Kinderarbeit zu beenden, sind in erster Linie die jeweiligen Regierungen in der Pflicht. Dabei brauchen sie Unterstützung durch Bildungsinstitutionen, Gewerkschaften, Massenmedien, Hilfsorganisationen, Spender, und natürlich müssen auch Unternehmen ihren Teil dazu beitragen. UNICEF hat gemeinsam mit Save the Children Grundsätze entwickelt, wie die Privatwirtschaft die Rechte von Kindern schützen und fördern kann. Dazu gehört unter anderem, dass Unternehmen in allen Geschäftsbereichen zur Abschaffung von ausbeuterischer Kinderarbeit beitragen.
Die Kleidung muss umweltschonend produziert werden. Konsumenten sind angehalten, nur das zu kaufen, was sie benötigen und auf Siegel wie GOTS zu achten. Defekte Kleidung sollte repariert, manches Stück auch getauscht oder im Second Hand Shop gekauft werden.
Die Aktion sorgte für viel Aufmerksamkeit bei Hunderten von Passanten am Alexanderplatz. Viele haben die ins Bild gesetzte Szene fotografiert und gefilmt und sich mit den Inhalten der beiden NGOs vertraut gemacht. Es fanden flammende Diskussionen um das Bewusstsein beim Einkaufen statt, wobei die eine oder andere Sichtweise sicherlich erschüttert wurde und sich der Verbraucher auf den Weg des Umdenkens begeben wird. Insgesamt weckte die Aktion bei vielen Fußgängern ein große Sensibilisierung für die Gefahren und menschenunwürdigen Auswirkungen des Massenkonsums - und die Wichtigkeit, sich bei dem nächsten Shopping Gedanken über die Herkunft und die Herstellung der Ware zu machen.
Ina Georgieva, Marga Georgieva, Ann-Katrin Fahrenkamp