Warum Kinder ein wirksames Lieferkettengesetz brauchen
Kinder, die in lebensgefährlichen Minen Gold abbauen, Kinder, die aufgrund von Pestizideinsätzen in der Landwirtschaft schwere gesundheitliche Schäden davontragen, Kinder, die nicht zur Schule gehen, weil ihre Eltern nicht ausreichend verdienen – Menschenrechtsverletzungen in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten wirken sich direkt und indirekt auf die Rechte von Kindern aus.
Was hat unternehmerisches Handeln mit Kinderrechten zu tun? Wie kann ein deutsches Gesetz, das eine Sorgfaltspflicht in Lieferketten für Unternehmen verbindlich macht, Kinder weltweit schützen? Und was fordert UNICEF? Wir haben für Sie Antworten auf diese und weitere Fragen zusammengestellt.
Was hat das Handeln von Unternehmen in Lieferketten mit Kinderrechten zu tun?
Bis ein Produkt bei uns zu kaufen ist, hat es meist einen sehr langen Weg über viele Länder weltweit – eine sogenannte globale Lieferkette – hinter sich. Diese Lieferkette reicht von der ersten Wertschöpfungsstufe – also zum Beispiel der Anbau von Baumwolle – meist über zahlreiche Unternehmen, die bei einer Produktherstellung Leistungen erbringen oder ein Produkt weiterverarbeiten, bis hin zum Endprodukt – zum Beispiel der Verkauf eines T-Shirts in einem deutschen Geschäft. Bei all diesen Abläufen werden die Rechte von Mädchen und Jungen weltweit immer wieder verletzt. Genauso können sie aber auch gefördert werden, wenn Unternehmen die erforderlichen Maßnahmen ergreifen würden.
Zu den leider sehr häufigen Kinderrechtsverletzungen in einer globalen Lieferkette gehören ausbeuterische Kinderarbeit, die Auswirkung von Umweltschäden, fehlende Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen, aber auch Arbeitsrechtsverletzungen gegenüber ihren Eltern oder anderen Betreuungspersonen.
Der Schutz der Rechte aller in Lieferketten Arbeitenden und ihrer Gemeinschaften ist daher für den Schutz von Kinderrechten von entscheidender Bedeutung. So reichen zu niedrige Löhne oft nicht aus, um Bildungs- und Gesundheitsausgaben für Kinder zu finanzieren. Oft führt dies dazu, dass Kinder und Jugendliche beginnen zu arbeiten, um zum Familieneinkommen beitragen zu können.
Aktuellen Schätzungen zufolge sind im letzten Jahr 86 Millionen Kinder zusätzlich in Armut geraten, weil die breiten sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie – unter anderem ausgelöst durch die Unterbrechung der globalen Lieferketten – ihren Eltern das Einkommen genommen und sie zum Arbeiten beziehungsweise zum Abbruch ihrer Schulbildung gezwungen hat. Unter Jobverlust und Lohnkürzungen leiden überwiegend die Arbeitenden in den Produktionsländern – und ihre Kinder. Schutzmechanismen und Sozialpakete wie in Europa gibt es dort kaum.
Wenn Betreuungsmöglichkeiten fehlen, sind vor allem kleinere Kinder während der Arbeitszeit ihrer Eltern Gefahren ausgesetzt: Entweder sie verbringen die Zeit unbeaufsichtigt oder sie begleiten die Eltern an ihren Arbeitsplatz – eine Notlösung, die in Kinderrechtsverletzungen wie Vernachlässigung, Unfällen oder ausbeuterischer Kinderarbeit münden kann.
Wenn Unternehmen keine menschenrechtliche Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, hat das auf Kinder oft deutlich stärkere und langfristigere Auswirkungen als auf Erwachsene. Das gilt für Kinderarbeit, besonders aber auch für Umweltverschmutzung und Schadstoffbelastung. Sie gefährden Kinder, die noch klein und geistig wie körperlich in der Entwicklung sind, besonders.
Sind Unternehmen verpflichtet Kinderrechte zu schützen?
Die durch die Covid-19-Pandemie verursachte wirtschaftliche und soziale Krise zeigt einmal mehr:
Wer global handelt, muss auch global Verantwortung übernehmen. Regierungen sind in der Pflicht, Menschen- und Kinderrechte umzusetzen und deren Verwirklichung auch vor Eingriffen Dritter, zum Beispiel Unternehmen, zu schützen.
Doch auch die Unternehmen selbst haben eine menschenrechtliche Verantwortung. Sie wurden 2011 durch die UN Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGPs) global festgelegt. Die UNGPs geben klare Schritte dafür vor, wie Unternehmen ihre menschenrechtliche Verantwortung in den eigenen Unternehmenstätigkeiten und Lieferketten integrieren können. Dieser Prozess heißt menschenrechtliche Sorgfaltspflicht („Human rights due diligence“).
Die Umsetzung der UNGPs in allen Ländern wird durch nationale Aktionspläne von einzelnen Regierungen gefördert. So fordert auch die Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) deutsche Unternehmen dazu auf, den UNGPs gerecht zu werden. Das heißt: Unternehmen sollen sicherstellen, dass in ihren Lieferketten Menschen- und Kinderrechte nicht verletzt, sondern wenn möglich sogar gefördert werden. 2022 soll der NAP erneuert werden.
Unternehmen haben also eine besondere Verantwortung, die Risiken für Kinder in ihren Lieferketten zu ermitteln, zu adressieren und angemessen zu beheben. Die Monitoring-Ergebnisse des Nationalen Aktionsplans von Mitte 2020 sind allerdings ein ernüchternder Beleg dafür, dass freiwillige Maßnahmen der Unternehmen nicht ausreichend sind: Mehr als 80 Prozent der deutschen Unternehmen kommen ihren im NAP festgeschriebenen Sorgfaltspflichten nicht nach.
Wie kann ein deutsches Lieferkettengesetz Kinderrechte schützen?
Im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode hatten die Regierungsparteien ein Lieferkettengesetz für den Fall vereinbart, dass Unternehmen den NAP auf freiwilliger Basis nicht ausreichend umsetzen.
Im Sommer 2020 kündigten Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller erste Eckpunkte für ein solches Lieferkettengesetz an. Im Februar 2021 konnte sich die Regierung nach zähem Ringen endlich auf ein Lieferkettengesetz einigen, was zu einer Veröffentlichung eines Gesetzentwurfs im darauffolgenden Monat führte. Nach weiteren Verhandlungen wurde das finale Gesetz am 25. Juni vom Bundesrat verabschiedet. Das Gesetz greift zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter*innen. Eine Sorgfaltspflicht ist nur bei unmittelbaren Zulieferern vorgesehen. Gibt es bei vorgelagerten Zulieferern Hinweise darauf, dass Verstöße vorliegen, muss auch in diesen tiefer gelagerten Stufen der Lieferkette die menschenrechtliche Lage entsprechend untersucht werden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) wird für die Prüfung solcher Annahmen und für die Überwachung der Umsetzung des Gesetzes zuständig sein.
Das Gesetz tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Erst in einer zweiten Stufe – ab 2024 – soll es dann auch in kleineren Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten greifen. Die ursprünglich geplanten Haftungsregeln wurden entschärft und explizit ausgeschlossen. Betroffene Unternehmen, die ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, drohen nun Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Vergabeprozessen.
Das Gesetz soll es deutschen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften ermöglichen, stellvertretend für Betroffene – zum Beispiel für Kinder, Näher*innen oder Kakaobauer*innen – gegen Unternehmen in Deutschland zu klagen, wenn diese im Verdacht stehen, Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern begangen zu haben.
Insgesamt bleibt das Gesetz leider weit hinter Forderungen für einen wirksamen Schutz der Menschen- und Kinderrechte in Lieferketten zurück. Denn die meisten Kinderrechtsverletzungen, wie zum Beispiel Kinderarbeit, finden nicht bei den direkten Zulieferern deutscher Unternehmen, sondern in den davor gelagerten Stufen der Lieferkette, statt. Auch ist der direkte Vertragspartner deutscher Unternehmen oft nur ein importierender Zwischenhändler, der alleine wenig Einfluss ausüben kann. Zudem besteht die Gefahr, dass Kinderrechtsverletzungen in tiefere Stufen der Lieferkette verlagert werden, um der Nachverfolgung zu entgehen.
Um wirklich eine positive Auswirkung auf Kinderrechte zu haben, wäre eine Einführung von Sorgfaltspflichtsprozessen bei allen Akteuren in der gesamten Lieferkette nötig. Derzeit sind in Deutschland nur ca. 600 Unternehmen aufgrund der im Gesetzesvorschlag festgelegten Mindestgröße, verpflichtet die geplanten Maßnahmen umzusetzen.
Gibt es auch Pläne für ein Sorgfaltspflichtengesetz auf europäischer Ebene?
Derzeit finden Gespräche für ein Sorgfaltspflichtengesetz auf EU-Ebene statt. Didier Reynders, EU-Kommissar für Justiz, kündigte bereits 2020 einen Entwurf für Sommer 2021 an. Im März 2021 folgte daraufhin ein Bericht des EU-Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission für eine EU-weite Lieferkettenregulierung. Vorgesehen ist eine umfassendere Sorgfaltspflicht, die auch die zu berücksichtigenden Menschenrechtskriterien detaillierter ausformuliert – dazu gehören zum Beispiel auch die Kinderrechte. Die EU-Kommission arbeitet derzeit an einem Gesetzentwurf.
Sollte es zu einem EU-Gesetz kommen, muss dieses auch in Deutschland umgesetzt werden. Es bleibt also aus kinderrechtlicher Sicht die Hoffnung, dass dieses zukünftige EU-Gesetz umfassender zum wirksamen Schutz von Menschen in Lieferketten beiträgt als es das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz es verspricht.
Was fordert UNICEF Deutschland?
In einem gemeinsamen Positionspapier hat UNICEF Deutschland zusammen mit anderen Organisationen bereits Ende letzten Jahres die Bundesregierung dazu aufgefordert, ein robustes Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen, das den internationalen und nationalen kinderrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands nachkommt.
In dem Papier fordern Human Rights Watch, Kindernothilfe, Plan International Deutschland, Save the Children, Terre des hommes, UNICEF Deutschland und World Vision die Bundesregierung auf, ihrer nationalen und internationalen Verantwortung für Menschen- und Kinderrechte gerecht zu werden und mit gutem Beispiel voranzugehen. Diese Forderungen dienen auch als Maßstab für eine Regulierung auf EU-Ebene.
Zu einem wirksamen Sorgfaltspflichtengesetz, in dem Kinderrechte umfassend Beachtung finden, gehören für die Organisationen folgende Eckpunkte:
- Ein Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu verpflichten, die in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Rechte entlang der gesamten globalen Lieferketten zu achten, Risiken und Folgen systematisch zu erheben und zu bewerten und öffentlich über diese Risiken und dagegen ergriffene Maßnahmen zu berichten.
- Darüber hinaus braucht es Präventions- und Abhilfemaßnahmen, um Menschen- und Kinderrechtsverletzungen zu verhindern und Schäden wiedergutzumachen.
- Insbesondere Beschwerdemechanismen müssen auch für jugendliche Arbeitnehmende zugänglich sein.
Damit ein Lieferkettengesetz die gewünschte Wirkung entfaltet, sollte es zudem die Haftung von Unternehmen einschließen, auch Kindern den Zugang zum Rechtsweg ermöglichen und für alle Unternehmen in besonders risikobehafteten Sektoren Anwendung finden.
Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht rechtlich zu verankern, ist gemäß der UN-Leitprinzipien eine staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte und erfordert Mechanismen und Institutionen, die dies unterstützen.
Vor diesem Hintergrund sollte das deutsche Lieferkettengesetz und künftig auch die EU-Regulierung durch ausreichend unterstützende Maßnahmen für Unternehmen begleitet werden. Verpflichtende Maßnahmen alleine werden nicht ausreichen, menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in allen europäischen Unternehmen zu verankern.
Durch konkrete Maßnahmen können Unternehmen schon jetzt – unabhängig von gesetzlichen Anforderungen – entscheidende Schritte vorangehen, um ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Dafür stellen einige der Organisationen Unternehmen online ausführliche Unterstützungsangebote zum Schutz der Kinderrechte zur Verfügung. Auch UNICEF bietet Unterstützung für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln an.