Schule in Nepal: Israil lernt leise
Viele Jahre ackerte der neunjährige Israil aus Nepal mit seiner Mutter auf dem Feld. Zur Schule gehen? Kam gar nicht infrage! Doch dann begegnete er Menschen, die ahnten, was in ihm steckt.
Der Bleistift ist angespitzt, sein Rücken durchgedrückt, der Blick konzentriert: Israil sitzt zwischen seinen kichernden Klassenkameraden, als käme er von einem anderen Stern. Alles an ihm scheint zu schreien: Ich will lernen!
Wirklich seine Stimme zu erheben käme dem Neunjährigen nicht in den Sinn. Denn Israil ist sehr schüchtern. Im Unterricht müssen die Lehrer ganz genau hinhören, um seine Antworten zu verstehen, so leise spricht er. Doch was Israil zu sagen hat, stimmt so gut wie immer.
Seine Lehrer an der Gyan-Sagar-Schule in der Stadt Nepalganj im Südwesten Nepals staunen jeden Tag: Dieser Junge, der bis vor gut einem Jahr noch auf dem Feld geackert hat, scheint wie fürs Lernen gemacht. Fast mühelos löst er alle Aufgaben.
Um ein Haar hätte niemand entdeckt, was in Israil steckt. Denn in Nepal ist der Weg zu guter Bildung steinig – im Wortsinn: In dem asiatischen Land türmen sich die Bergriesen des Himalaya-Gebirges. Vielerorts gelangt man nur zu Fuß von A nach B, die nächste Schule liegt für viele fern. Auch deshalb kann jeder dritte Nepalese nicht lesen und schreiben. Die meisten Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. Auch Israils Mutter.
Sie lebt allein mit ihrem Sohn. Um den Lebensunterhalt zu verdienen, schuftet sie auf Feldern fremder Bauern. Israil nahm sie schon als Kleinkind mit, bald packte auch er mit an. Trotzdem reichte der Lohn oft kaum für eine richtige Mahlzeit. Israil zur Schule zu schicken wäre ihr nie in den Sinn gekommen.
Doch Sozialarbeiter einer Partnerorganisation von UNICEF wurden auf den Jungen aufmerksam. Sie kämpfen gegen Kinderarbeit und versuchen, die Eltern zu überreden, ihre Söhne und Töchter zur Schule gehen zu lassen.
In Israils Fall boten sie der Mutter einen Handel an: Wenn sie ihren Sohn zur Schule schickt, bekommt sie dafür finanzielle Unterstützung – und zwei Ziegen. Anfangs zögerte sie. Kinderarbeit ist in Nepal so normal, dass die Menschen nicht sofort einsehen, warum sie auf das zusätzliche Einkommen verzichten sollen.
Schließlich nahm Israils Mutter das Angebot doch an – und zweifelt heute überhaupt nicht mehr an ihrer Entscheidung. Wenn sie ihrem Sohn bei den Hausaufgaben zusieht, wie er schreibt und rechnet, dann ist sie einfach nur stolz. Das spürt Israil, und es gibt ihm Kraft, sich weiter anzustrengen und am nächsten Tag in der Schule vielleicht ein kleines bisschen lauter zu sprechen.