Kinderrechtsbeschwerde: Wie es geht und was es bringt
2019 reichten Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg und 15 weitere Kinder beim UN-Kinderrechtsausschuss in Genf Beschwerde ein, weil die Staaten zu wenig gegen den Klimawandel tun – ausdrücklich genannt wurde dabei auch Deutschland.
Die Kinder beriefen sich auf die weltweit gültigen Kinderrechte. Die rechtliche Grundlage für die Beschwerde ist das dritte Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zum sogenannten Individualbeschwerdeverfahren. Was bringt und wie funktioniert ein solches Verfahren eigentlich?
Alle Kinder haben Rechte, die für jedes Mädchen und jeden Jungen unter 18 Jahren gelten und ihnen ein gutes Leben gewährleisten sollen. Sie sind in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen niedergeschrieben. Bis auf die USA haben alle Staaten – so auch Deutschland – die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert.
Die Kinderrechtskonvention ist durch drei zusätzliche Vereinbarungen ergänzt worden – zuletzt durch das „Dritte Zusatzprotokoll zum Individualbeschwerdeverfahren“ (Englisch: Optional Protocol on a Communications Procedure“), das 2013 auch von Deutschland ratifiziert wurde und 2014 in Kraft trat. Dieses Verfahren eröffnet Kindern die Möglichkeit, sich bei der Verletzung ihrer Rechte bei dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes mit Sitz in Genf zu beschweren.
Warum gibt es das Individualbeschwerdeverfahren?
Die Kinderrechtskonvention hat in den letzten drei Jahrzehnten dazu beigetragen, das Leben von Kindern zu verbessern. Doch trotz zahlreicher Fortschritte fehlen immer noch Millionen Mädchen und Jungen weltweit die nötigen Voraussetzungen für ein gutes Aufwachsen. Das Individualbeschwerdeverfahren ermöglicht es Kindern unter bestimmten Voraussetzungen, über die Verletzung ihrer Rechte auf internationaler Ebene eine Beschwerde einzulegen. Zur Umsetzung dieses Verfahrens hat sich auch Deutschland verpflichtet.
Wer kann sich bei den UN über verletzte Kinderrechte beschweren und wie?
Die Möglichkeit, sich bei den Vereinten Nationen direkt beschweren zu können, ist bahnbrechend für die Kinderrechte – aber sie ist der letzte Schritt auf einem langen Weg, und die Hürden in diesem sehr speziellen Verfahren sind hoch. Denn bevor sich Kinder an die Vereinten Nationen wenden können, müssen sie in der Regel erfolglos den gesamten Rechtsweg in ihrem Land, also in Deutschland zum Beispiel bis zum Bundesverfassungsgericht, gegangen sein.
Erst dann kann eine Individualbeschwerde beim UN-Kinderrechtsausschuss eingereicht werden, was schriftlich und spätestens ein Jahr nach dem nationalen Rechtsweg erfolgen muss. Sie kann von einem oder mehreren Kindern unter 18 Jahren oder Personen oder Organisationen, die sie vertreten, eingereicht werden – allerdings nicht anonym.
Das gesamte Verfahren muss von den Kindern ausgehen und darf nicht gegen den Willen des Kindes geführt werden. Alternativ können sich Kinder mit einer Klage an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden, wenn sie alle nationalen Instanzen durchlaufen haben. Hier kommt es zu einem Gerichtsverfahren mit der Möglichkeit zu einem rechtsverbindlichen Urteil.
Wann ist eine Individualbeschwerde überhaupt zulässig?
Die Individualbeschwerde ist zulässig, wenn ein Staat durch sein Handeln oder auch durch sein Unterlassen ein Recht verletzt hat, das in der UN-Kinderrechtskonvention und/oder in einem der Zusatzprotokolle festgehalten ist.
Voraussetzungen für eine Beschwerde beim UN-Ausschuss sind, dass der jeweilige Staat das dritte Zusatzprotokoll zum Individualbeschwerdeverfahren ratifiziert hat und die Verletzung des Kinderrechtes nach dem Inkrafttreten des Individualbeschwerdeverfahrens für den betreffenden Staat entstanden ist oder nach wie vor andauert.
Zudem müssen alle nationalen Rechtswege ausgeschöpft sein. Eine Ausnahme kann gemacht werden, wenn das nationale Rechtsverfahren unangemessen lange dauert oder keine Abhilfe verspricht.
Wie funktioniert das UN-Verfahren bei einer Kinderrechtsbeschwerde?
Der UN-Kinderrechtsausschuss prüft alle eingehenden Beschwerden, ob sie zulässig sind. Auch im aktuellen Fall der Beschwerde von Greta Thunberg und den 15 anderen Kindern muss der Ausschuss also zunächst entscheiden, ob er die Beschwerde annimmt.
Wenn das Gremium zu dem Schluss kommt, dass die Beschwerde eines Kindes zulässig ist, muss der Staat, in dem es lebt, eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Nach möglichen weiteren Stellungnahmen beider Parteien oder einer mündlichen Anhörung trifft der UN-Ausschuss eine Entscheidung.
Sollte der UN-Ausschuss beschließen, dass eine Kinderrechtsverletzung vorliegt, empfiehlt er dem Staat Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte des Kindes wiederherzustellen. Der Staat muss den UN-Kinderrechtsausschuss schriftlich über die Umsetzung der Maßnahmen informieren.
Die Empfehlungen des UN-Ausschusses sind – anders als ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte – rechtlich nicht bindend.
Was bringt eine Kinderrechtsbeschwerde eigentlich?
Der UN-Kinderrechtsausschuss ist kein Weltgericht und kann keine Strafen verhängen. Aber allein die Möglichkeit, dass Kinder sich bis hin zur internationalen Ebene beschweren können, gibt ihrer Stimme großes Gewicht.
Es ist wichtig, dass die Kinderrechte bekannter werden und alle Staaten bei der Umsetzung ernst machen. Eine Individualbeschwerde kann dazu beitragen, Aufmerksamkeit für Kinderrechtsverletzungen zu schaffen, und öffentlicher Druck kann wiederum ein starker politischer Hebel sein.
Die 16 Kinder und Jugendlichen, die 2019 offiziell Beschwerde bei den Vereinten Nationen einreichten, haben die Staaten in die Pflicht genommen, die Kinderrechte zu achten, zu schützen und zu fördern. Dies ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Verwirklichung der Rechte aller Kinder.
Im Oktober 2021 kam der UN-Kinderrechtsausschuss erstmalig zu dem wegweisenden Schluss, dass Staaten für die negativen Auswirkungen der Treibhausgas-Emissionen auf Kinder innerhalb und außerhalb ihrer Landesgrenzen generell verantwortlich gemacht werden können.
Dennoch befand der UN-Ausschuss die Beschwerde für nicht zulässig, da die jeweiligen nationalen Rechtswege nicht ausgeschöpft wurden. Der Ausschuss ermutigte die jungen Menschen, sich in ihren Kommunen, Ländern und auch international weiterhin für Klimagerechtigkeit einzusetzen.
Die globale Klimakrise bedroht die Gesundheit, Ernährung, Bildung und Entwicklung sowie das Überleben und die Zukunft von allen Kindern weltweit.
Um die jungen Menschen von heute und nachfolgende Generationen vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen und ihnen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen, ist entschiedenes Handeln notwendiger denn je – für Kinder und mit ihnen gemeinsam.
* Dieser Beitrag erschien zuerst am 24.09.2019. Wir haben ihn für Sie aktualisiert.