Krise in Sri Lanka: "Es ist schwer für uns, so zu leben."
Sri Lanka steckt seit Monaten in seiner schlimmsten Wirtschafts- und Energiekrise. Die Familien sind verzweifelt. Unser UNICEF-Kollege Bismarck Swangin erklärt uns, wieso vor allem die Kinder von der Krise betroffen sind.
Sri Lanka gilt bei vielen Tourist*innen als Perle im indischen Ozean. Doch der Inselstaat steckt in einer so noch nie da gewesenen Krise. Das Land ist hoch verschuldet und steht kurz vor dem Zusammenbruch. Wie so oft trifft es die Kinder am härtesten: Sie gehen hungrig ins Bett, Schulbesuche fallen aus und lebensrettende Medikamente fehlen. "2,8 Millionen srilankische Kinder brauchen dringend humanitäre Hilfe", sagt mir Bismarck bei unserem Gespräch in Köln.
Familien in Sri Lanka: Nicht genug Geld für Mahlzeiten
Thulakshan ist fünf Jahre alt und wiegt für sein Alter nicht genug. Er und seine Familie sind schwer durch die Krise getroffen. Seine Mutter hat große Sorge vor der Zukunft. Oft hat er nur eine Mahlzeit am Tag zu essen.
"Meine größte Sorge ist jeden Tag ins Ungewisse zu blicken. Lebensmittel sind teuer und es ist schwierig für mich, meinen Kindern drei nahrhafte Mahlzeiten am Tag zu geben. Unser Einkommen wird von Tag zu Tag schlechter und gleichzeitig steigen die Lebensmittelpreise. Es ist schwer für uns, so zu leben", sagt Selvathy, die Mutter von Thulakshan.
Die Preise für Lebensmittel und Treibstoff steigen unaufhörlich, das betont auch Bismarck. Lebensrettende Medikamente sind knapp – vielen Familien fehlt selbst der Zugang zu grundlegenden Gütern wie Seife. Die ärmsten und schwächsten Bevölkerungsschichten in Sri Lanka sind am schlimmsten betroffen.
"Die Regale in den Supermärkten leeren sich und die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Linsen, Milch und Speiseöl - auf die Familien so dringend angewiesen sind - steigen und steigen", fügt Bismarck besorgt hinzu.
Sri Lankas Krisen befeuern sich gegenseitig: kein Benzin, keine Bildung
Dilrukshi liebt die Schule und ihre Familie unterstützt sie sehr bei ihrer Ausbildung. Ihr Vater arbeitet als Landwirt und ihre Mutter ist arbeitslos. Aufgrund der derzeitigen Wirtschaftskrise kann Dilrukshi nicht zur Schule gehen. Dabei möchte sie die Schule beenden, um Lehrerin zu werden.
"Wegen der Treibstoffkrise können die Lehrer nicht zur Schule kommen. Deshalb sind die Schulen geschlossen. Die Lehrer können auch keinen Online-Unterricht abhalten, weil wir keine Telefone oder Computer haben, um digital zu lernen", sagt die Schülerin. "Es hängt alles zusammen und jede Krise ist wie Brennstoff für die nächste", fügt Dilrukshi traurig hinzu.
Bildung für Mädchen in Sri Lanka in Gefahr
Bildung für Mädchen war schon vor der aktuellen Krise ein Problem. Anuja war seit drei Jahren nicht mehr in der Schule. Wegen der Covid-19-Pandemie hörte sie 2020 auf zur Schule zu gehen. Im Oktober 2021 gehörte Sri Lanka zu den Ländern mit den längsten Schulschließungen der Welt.
Anuja sagt, dass sie die Schule nach der Quarantänezeit nicht fortsetzen konnte, weil ihre Eltern nicht genug Geld für ihre Schulsachen hatten. "Ich würde wirklich gerne zur Schule gehen und meine Freunde sagen mir immer wieder, dass ich zurückkommen soll, wenn sie mich sehen", sagt Anuja.
"Ich muss meine Familie unterstützen, indem ich jeden Tag koche, während die anderen zur Arbeit gehen. Ich hoffe, dass ich eines Tages in einem Lebensmittelgeschäft oder einem Laden in der Stadt arbeiten kann, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen."
Anujas Geschichte ist kein Einzelfall. Und die Bildungskrise spitzt sich weiter zu - verstärkt durch die angespannte Gesamtsituation im Land: Es gibt keinen Treibstoff für die Schulbusse, keinen Strom für die Nutzung zum Online-Lernen, wenn die Schüler*innen die technischen Geräte haben, und es fehlt an Papier, Schreibwaren und anderen Schulmaterialien.
Die Bildung von 4,8 Millionen Kindern steht nach der Pandemie erneut auf der Kippe, da die derzeitige Krise alle Kinder trifft, deren Bildung bereits durch den coronabedingten Lockdown unterbrochen wurde.
UNICEF arbeitet daran, so viele Kinder wie möglich zu erreichen und ihnen Zugang zu Bildung und Lernmaterialien zu verschaffen. Unser UNICEF-Kollege Bismarck betonte im Gespräch, wie wichtig der Zugang zu Bildung ist und, dass sein Team vor Ort alles daran setzt, möglichst viele Mädchen zu erreichen.
Die derzeitige Krise bringt die Familien an ihre Grenzen
Für viele Familien in Sri Lanka ist die Frage nach dem, was sie am dringendsten brauchen, nicht so leicht zu beantworten. Es fehlt schlicht an allem. Fakt ist, die Zahl der mangel- und unterernährten Kinder steigt.
Schon vor der aktuellen Krise hatte Sri Lanka die zweithöchste Rate an Unterernährung bei Kindern in Südasien. Zwei von fünf Säuglingen erhielten nicht das Minimum an notwendiger Nahrung. Angesichts der steigenden Lebensmittelpreise geben 70 Prozent der Haushalte an, weniger zu essen.
"Die derzeitige Krise wirkt sich unverhältnismäßig stark auf die am stärksten gefährdeten Jungen und Mädchen in Sri Lanka aus", sagt Bismarck. "Die Viehlzahl der Krisen, bestehend aus Armut, der Covid-19-Pandemie, der Wirtschaftskrise und wiederholten klimabedingten Katastrophen, ergeben einen tödlichen Sturm für Kinder", so Bismarck weiter. Er erzählt mir von Logeshwaris Familie, die er und sein Team kürzlich besucht haben.
"Wir befürchten, dass die Situation für die Familien noch schlimmer wird"
Logeshwari, eine 40-jährige Mutter aus einem kleinen Dorf im Norden Sri Lankas, macht sich große Sorgen, wie sie ihre vier Kinder weiterhin ernähren soll. Die Familie ist auf das magere Einkommen ihres Mannes angewiesen, der in Teilzeit als Grasmäher auf einer nahe gelegenen Farm arbeitet.
Oft fragt sie sich, was sie von dem kleinen Einkommen kaufen soll. Es mangelt an allem und die Krisenherde befeuern sich gegenseitig. So behindern die Treibstoffkrise und die häufigen Stromausfälle auch lebenswichtige Dienstleistungen für Kinder – einschließlich der Gesundheitsversorgung und Bildung.
Ihre zweijährige Tochter Krishanthi leidet an schwerer akuter Mangelernährung und auch das neun Monate alte Baby Debora ist von Unterernährung bedroht. Die kleine Krishanthi hat keinen Zugang zu dringend benötigter therapeutischer Nahrung, die ihren Zustand verbessern könnte.
Nach Angaben des Gesundheitspersonals sind etwa 20 Prozent der Kinder aus demselben Dorf unterernährt. Schon vor der aktuellen Krise war eines von vier Kindern unterernährt, schildert mir Bismarck die Situation.
"Wir befürchten, dass die Situation für Familien wie die von Logeswary noch schlimmer wird. Fast alle Familien mit denen wir sprechen, erzählen uns, dass sie aktuell weniger zu essen haben", so Bismarck weiter.
Noch können wir sicherstellen, dass die stetigen Fortschritte, die Sri Lanka über viele Jahre hinweg für die Kinder gemacht hat, nicht dauerhaft rückgängig gemacht werden.
UNICEF benötigt aktuell 25 Millionen US-Dollar, um 1,7 Millionen der am stärksten gefährdeten Kinder mit Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und sauberem Trinkwasser zu versorgen und ihnen die Möglichkeit zu geben, weiter zu lernen und psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Bismarck Swangin arbeitet seit 2005 für UNICEF: Er war im Südsudan, in Jordanien, in Somalia, im Jemen und in Sri Lanka im Einsatz für jedes Kind. Sein Werdegang und sein Weg zum Kommunikationsspezialist für UNICEF sind eindrucksvoll uns sehr persönlich motiviert. Er selbst ist als Kind mit seiner Familie aus dem Südsudan geflohen und hat in einem Flüchtlingslager in Uganda Zuflucht gefunden.
Nach seinen Schulbesuchen und einem Auslandsstipendium war für ihn klar: Er möchte die Hilfe, die er selbst erfahren hat, zurückgeben. Und sich als einer der vielen Helfer*innen auf der Welt für Kinder einsetzen, ihnen ebenso den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung ermöglichen, ihnen eine Perspektive bieten und, wie er sagte, Hoffnung machen.