"Ich kann die Gesichter der Kinder nicht vergessen"
Preisträger Georgi Licovski über das UNICEF-Foto des Jahres und seine Arbeit
„In der Momentaufnahme ist wie in einem Brennglas das Drama der aktuellen Flüchtlingskrise aus der Perspektive der Kinder enthalten.“ So beschreibt UNICEF-Schirmherrin Daniela Schadt das "UNICEF-Foto des Jahres 2015". Gemacht hat es der mazedonische Fotograf Georgi Licovski, der in den vergangenen Monaten die Situation der Flüchtlinge auf dem Balkan dokumentiert hat.
Ich habe ihn in Berlin getroffen. Ein Interview mit dem diesjährigen Preisträger des internationalen Foto-Wettbewerbs.
Georgi, wie kamst Du zur Fotografie – was bedeutet sie für Dich?
Es ergab sich eher zufällig und auch recht spät. Ich war schon 20 Jahre alt, als ich ernsthaft mit der Fotografie anfing, zuerst als Hochzeitsfotograf. Nach einigen Jahren bot sich mir dann die Gelegenheit, ganz unerwartet, für die größte mazedonische Tageszeitung zu fotografieren. Die Arbeit als Fotograf macht mich glücklich. Doch ich brauchte auch einige Zeit, bis mir wirklich klar wurde, dass es nicht immer einfach ist, Fotograf zu sein. Dass auch viel Verantwortung damit verbunden ist. Bilder können das Leben von Menschen beeinflussen. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen.
Erinnerst Du Dich an die Situation, in der das Siegerbild entstand? Was war das für ein Moment?
Es war der 21. August. Die Polizisten an der Grenze hatten ihre Befehle, aber auch die Flüchtlinge hatten ein klares Ziel. Sie versuchten, die Polizeisperren zu überwinden, indem sie Kinder und Frauen vorschickten.
Ich werde diesen Tag niemals vergessen. Es war das erste Mal, dass ich Kollegen weinen sah – so ergriffen waren wir von den entsetzten Blicken der Kinder, die verzweifelt nach ihren Eltern riefen. Ich wollte diese Szenen festhalten, um der Welt zeigen zu können, was dort vor sich geht.
Was bedeutet die Auszeichnung „UNICEF-Foto des Jahres 2015“ für Dich?
Ich habe ein anstrengendes Jahr hinter mir, körperlich und mental. Tag für Tag die Situation von Menschen zu dokumentieren, die vor dem Horror des Krieges fliehen, ihr Zuhause zurückgelassen haben, um Sicherheit und Zukunftsperspektiven in den EU-Ländern zu finden – das ist nicht einfach. Kein Mensch hat es verdient, aus seiner Heimat zu fliehen und Tausende Kilometer hinter sich zu bringen, um keine Angst mehr haben zu müssen.
Ich bin sehr stolz und glücklich über die Entscheidung der Jury, meine Reportage mit dem renommierten Preis auszuzeichnen. Dafür möchte ich mich aus tiefstem Herzen bedanken.
Wie gehst Du mit dem Leid, der Angst und Hilflosigkeit um, die Du bei Deiner Arbeit auf dem Balkan miterlebst?
Noch immer träume ich von den Szenen auf den Bahnhöfen in Serbien: Eltern rennen los, ihre Kinder im Arm, in der Hoffnung, einen Platz im Zug zu ergattern. Hunderte kämpfen an den Waggontüren darum, in den Zug hineinzukommen. Viele zwängen sich durch die Fenster.
Ich kann die Gesichter der Kinder nicht vergessen – völlig verängstigt und verschreckt von dem Chaos um sie herum. Aber ich hoffe einfach, dass wir mit den Fotos vom Leiden der Flüchtlinge an das Gewissen der Weltpolitik appellieren können. Ich hoffe, dass endlich eine Lösung gefunden werden kann, um die Probleme in den Herkunftsländern zu beenden. Die Welt ist stark, es braucht nur einen Willen.
Hast Du einen Wunsch?
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass ich noch viel mehr den Erfolg und das Glück von Menschen dokumentieren kann, und weniger Bilder humanitärer Tragödien machen muss.
Georgi, vielen Dank für das Gespräch und Deine Arbeit. Und noch einmal herzlichen Glückwunsch zu der Auszeichnung!
Eine Frage bleibt offen. Wie ging wohl die Geschichte der beiden Kinder auf dem Foto weiter? Wir wissen es nicht. Wir können nur hoffen, dass sie in Sicherheit, bei ihren Familien sind!