Das Recht von Kindern auf Schutz vor Gewalt
Zusammenfassung des Beitrags von Marta Santos Pais, UN-Sonderbeauftragte zu Gewalt gegen Kinder
Der Schutz von Kindern vor Gewalt hat mit der UN-Konvention für die Rechte des Kindes immer mehr Beachtung gefunden. So haben viele Länder rechtliche und politische Reformen durchgeführt. Diese Fortschritte sind jedoch zu langsam und kommen noch längst nicht allen Kindern zugute. Das Risiko von Gewalt ist weiter hoch, auch und gerade dort, wo Kinder eigentlich am sichersten aufgehoben sein sollten – in der Schule, zu Hause, in Heimen oder in Jugendstrafanstalten.
In vielen Ländern gibt es lediglich reaktive, schlecht koordinierte und mangelhaft ausgestattete nationale Kinderschutzsysteme. Oft sind Gesetze unzureichend und werden schlecht durchgesetzt. Vielerorts fehlen Investitionen in Familienförderung und in geschlechter- und kindgerechte Strategien, um Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, zu unterstützen und Straflosigkeit entgegenzuwirken. Bis heute fehlt es an Informationen, wissenschaftlichen Analysen und umfassenden Ansätzen, um Tabus aufzulösen.
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Benachteiligte Kinder laufen besonders Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden.
Behinderte Kinder beispielsweise sind drei- bis viermal häufiger körperlicher und seelischer Gewalt ausgesetzt als nicht-behinderte Kinder. Für geistig behinderte oder psychisch kranke Kinder ist die Gefahr, sexuelle Gewalt zu erleiden, deutlich höher als für nicht-behinderte Gleichaltrige.
Gewalt und Missbrauch sind die häufigsten Gründe, warum Kinder sich an Sorgentelefone wenden.
In ihrem 2013 veröffentlichen Bericht »Stimmen von Kindern und Jugendlichen« hat Child Helpline International die Aussagen von mehr als 126 Millionen Kindern weltweit ausgewertet. Über vier Millionen Kinder berichteten von Erlebnissen körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt – in der Mehrzahl der Fälle waren es Mädchen. In mehr als jedem zweiten Fall gingen Gewalt und Missbrauch von Familienmitgliedern aus.
Mehr als 30 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren – einige davon nicht einmal sieben Jahre alt – sind von frühen und erzwungenen Eheschließungen betroffen.
Insgesamt sind es jedes Jahr 13,5 Millionen Mädchen. Das höchste Risiko besteht für arme Kinder, die auf dem Land leben. Nicht einmal jedes dritte Land hat das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung auf 18 Jahre festgelegt. Oft gelten auch unterschiedliche Altersgrenzen für Jungen und Mädchen.
Weltweit arbeiten 168 Millionen Jungen und Mädchen unter ausbeuterischen Bedingungen.
Fast die Hälfte von ihnen ist im Grundschulalter. Mehr als elf Millionen Mädchen sind in privaten Haushalten beschäftigt – oft rund um die Uhr und ohne jeden Schutz.
Der Anteil der Minderjährigen Opfer von Menschenhandel ist deutlich gestiegen: von 2007 bis 2010 um 27 Prozent.
In einigen Regionen betrafen mehr als 60 Prozent der aufgedeckten Fälle von Menschenhandel Kinder und Jugendliche. Mädchen sind besonders gefährdet.
90 Prozent der gewaltsamen Todesfälle von Kindern und Jugendlichen ereignen sich in nicht-kriegerischen Situationen.
Jungen sind besonders häufig unter den Mordopfern, etwa weil sie unter den Einfluss von Drogendealern geraten, sich Banden anschließen und sich an gewalttätigen Aktionen beteiligen.
300 Millionen Kinder unter fünf Jahren zeigen problematisches Beziehungsverhalten sowie eine erhöhte Neigung zu aggressivem Verhalten.
Sie sind in ihrer Gesellschaft oder ihrem näheren Umfeld Gewalt ausgesetzt.
Verschiedene aktuelle Studien bestätigen ein sehr hohes Vorkommen von Gewalt und Missbrauch an Kindern.
Laut Weltgesundheitsorganisation WHO erleiden in Europa mindestens 18 Millionen Kinder sexuellen Missbrauch, 44 Millionen körperliche Misshandlung und 55 Millionen seelische Gewalt. Mehr als 850 Kinder unter 15 Jahren sterben dort jedes Jahr an den Folgen von Kindesmisshandlung.
Die gesellschaftlichen Kosten von Gewalt und Kindesmisshandlung sind immens.
In den Vereinigten Staaten betragen sie schätzungsweise 124 Milliarden US-Dollar im Jahr. Umso mehr zahlt sich Vorbeugung aus. Nach Angaben der Europäischen Union bringt jeder Euro, der in Gewaltprävention investiert wird, eine soziale Rendite von 87 Euro.
Internationale Agenda gegen Gewalt
Um die Fortschritte bei der Prävention auszuwerten und Initiativen zum Schutz der Kinder zu unterstützen, wurde 2009 vom UN-Generalsekretär die Stelle eines Sonderbeauftragten zu Gewalt gegen Kinder geschaffen. Mehr als einhundert Regierungen haben bislang nationale Berichte zu den rechtlichen, politischen und institutionellen Entwicklungen beigesteuert, positive Erfahrungen dokumentiert und Probleme aufgezeigt.
Weltweit stieg die Zahl der Länder, in denen es eine politische Agenda zum Schutz von Kindern vor Gewalt gibt, von 47 im Jahr 2006 auf heute mehr als 80. Bis heute besteht in 35 Ländern ein ausdrückliches und allgemeines Gewaltverbot – dort leben aber nur fünf Prozent der Kinder weltweit.
Die UN-Sonderbeauftragte zu Gewalt gegen Kinder fordert deshalb:
- Alle Regierungen sind aufgerufen, eine nationale, kindgerechte, ganzheitliche und interdisziplinäre Strategie mit zeitlichen Vorgaben zu entwickeln und voranzutreiben.
- Gewalt gegen Kinder muss überall gesetzlich verboten und verfolgt werden.
- Politische Initiativen und rechtliche Maßnahmen müssen von Kampagnen gegen die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt gegen Kinder begleitet werden.
- Es braucht nachhaltiges Engagement für bessere Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern.
- Präventions- und Hilfsangebote müssen in die soziale Inklusion besonders gefährdeter Mädchen und Jungen investieren.
- Regierungen müssen anerkennen, dass verlässliche Informationen Voraussetzung für wirksamen Kinderschutz sind.
- Gewaltrisiken in Gemeinden müssen verringert, die Widerstandskraft der Kinder gestärkt werden.
- Der Schutz von Kindern vor Gewalt gehört in den Mittelpunkt der internationalen Entwicklungsagenda nach 2015.