Toby Binder, Deutschland
Deutschland: Arm sein in Duisburg
Verglichen etwa mit Niger, Burkina Faso, Haiti gibt es kein Elend in Deutschland. Gemessen am Abstand zum Durchschnittseinkommen und zu den hier etablierten Lebenshaltungskosten gibt es Armut auch in diesem reichen Land aber sehr wohl. Ein UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland weist für 2019 aus, dass annähernd 1,5 Millionen Kinder unter 16 Jahren von Armut betroffen waren. Und das Risiko, zu ihnen zu gehören, hat sich durch die Corona-Pandemie nicht verkleinert.
Duisburg-Hochfeld ist ein Ort, an dem zu sehen ist, was das bedeutet. Die teilweise Schließung der Schulen hat die „Bildungsferne“ und gesellschaftliche Desintegration vieler Jugendlicher hier noch verschärft. Sie besitzen einen deutschen Pass, fühlen sich aber nirgendwo zuhause, nicht als „wirkliche Deutsche“. Sie leben ohne eine gute Perspektive. Rockergangs, arabische und osteuropäische Clans bieten sich als Alternative an. Druck empfinden die Jugendlichen hier von allen Seiten.
Toby Binder hat sie, die oft zu zehnt in Zwei-Zimmer-Wohnungen leben müssen, fotografiert: ihr Gelangweiltsein zwischen geschlossenen Läden und verlassenen Fabriken, ihr Herumhängen auf den Straßen, ihre Muskelspiele, ihre Aggressivität schon im Alter von acht oder neun Jahren. Armut in Deutschland sieht anders aus als im Niger oder in Haiti. Aber sie ist da.
Der Fotograf: Toby Binder, Deutschland
Toby Binder, 1977 in Esslingen geboren, hat an der Stuttgarter Akademie für Kunst und Design studiert. Sowohl das Alltagsleben wie Nachkriegs- und Krisensituationen sind sein Thema. Binder hat Reportagen in vielen Ländern Afrikas, Asien, Lateinamerikas und Europas erarbeitet. Seine Reportagen und Porträts wurden unter anderem im Stern, in der ZEIT, im Guardian, in Le Monde, NZZ und Washington Post veröffentlicht. Zu Binders Auszeichnungen zählen der Sony World Photo Award und der Henri-Nannen-Preis.