Zukunft, nur noch anderswo?
Während ab heute in Baku, Aserbaidschan, um weiche Worte und harte Finanzen gerungen wird, fragt sich eine Großmutter in Madagaskar, ob ihre Enkelin Fabricia im Dorf noch eine Zukunft hat. Ein Kommentar von UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider zum Start der Weltklimakonferenz COP29
Welche Zukunft hat Fabricia? Und was verbindet das entlegene Dorf Ankaranabo im Süden Madagaskars, in dem Fabricia aufwächst, mit der 29. Weltklimakonferenz (COP29) in Baku, Aserbaidschan, die heute beginnt?
Nach meinem Besuch bei Fabricia und ihrer Familie in Ankaranabo vor kurzem fällt mir Antwort eins leicht – aber sie ist eine traurige: Es gibt keine Zukunft für die Kinder dort. Es sei denn, wir können die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft von Ankaranabo noch mildern, mit der zunehmenden Trockenheit, dem Regen zur Unzeit, dem Ausbleiben einer Ernte an Erdnüssen oder Maniok, der den Familien noch ein Auskommen ermöglichen würde.
Das ist kein Zukunftsszenario, sondern eine dringende Frage des Jetzt, eine überlebenswichtige Frage: Während die COP heute beginnt, leiden viele Kinder in Fabricias Dorf, die ich getroffen habe, an akuter Mangelernährung.
Damit sind wir auch schon in Baku angekommen, bei Antwort zwei: Denn dort, auf der Klimakonferenz, könnte viel auf den Weg gebracht werden, um Fabricia in ihrem Heimatdorf eine Zukunft zu sichern. Mehr noch: Dort wird eine entscheidende Weiche dafür gestellt, wie sicher die rund 2,3 Milliarden Kinder und Jugendlichen, die heute auf unserer Erde leben, auf derselben auch gut weiter überleben können. In Ankaranabo und überall sonst.
Kinder – und die kommenden Generationen Kinder – müssen am längsten mit den Folgen der Entscheidungen – oder fehlenden Entscheidungen – leben, die auf den Konferenzen der letzten Jahre und die in diesem Jahr in Baku getroffen werden, oder eben nicht. Während die Klimakrise für manche Erwachsene in Europa viel weiter entfernt und viel abstrakter scheint als andere Krisen unserer Zeit, wie der furchtbare Krieg in der Ukraine und das aktuelle Taumeln der Wirtschaft, hat sie für viele Millionen Kinder schon Tag für Tag dramatische Auswirkungen.
Allein in diesem Jahr haben aufgrund der Folgen des Klimawandels die Regierungen in Namibia, Malawi, Sambia, Simbabwe und Madagaskar den Notstand ausgerufen.
Kinder leiden besonders unter der Klimakrise
Die Klimakrise stellt eine der größten Bedrohungen für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern weltweit dar – auch viele Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte für bessere Überlebenschancen von Kindern, für ihre Gesundheit, für bessere Ernährung oder den Zugang zu Bildung drohen verloren zu gehen.
Laut UNICEF-Kinderklimarisikoindex sind bereits heute etwa eine Milliarde Kinder extrem hohen Risiken ausgesetzt. Diese umfassen eine Vielzahl von Umweltgefahren wie Überschwemmungen, Dürren, Stürme, Hitzewellen und Luftverschmutzung.
Was für Erwachsene bedrohlich ist, ist für Kinder noch extremer: Ihre Körper und Immunsysteme sind weniger in der Lage, sich anzupassen und zum Beispiel Hitze zu regulieren. Von der Schwangerschaft bis zum jungen Erwachsenenalter sind das Gehirn der Kinder, ihre Lungen, ihr Immunsystem in der so kritischen Phase der körperlichen und geistigen Entwicklung Umwelteinflüssen ausgesetzt und können Schaden für ihr ganzes weiteres Leben nehmen.
Wetterextreme führen bereits weltweit dazu, dass Millionen Kinder aus ihrem Zuhause vertrieben werden. Und bei weitem nicht alle können zurückkehren.
Erneut denke ich an Madagaskar: Zwischen 2000 und 2023 wurde die Insel von mehr als 47 Zyklonen heimgesucht, die erhebliche Schäden verursachten und über 740.000 Menschen, darunter 445.000 Kinder, vertrieben. Dürreperioden verschärfen die Nahrungsmittelunsicherheit, während schwere Überschwemmungen die Infrastruktur, etwa Schulen und Gesundheitszentren zerstören. Diese Ereignisse beeinträchtigen nicht nur die Gesundheit der Kinder, sondern auch ihre Sicherheit, ihre Entwicklung. Madagaskar hat einen traurigen Platz unter den „Top 10“-Ländern, die besonders heftig betroffen sind durch die Klimakrise, wie sie bereits stattfindet.
Anpassungen an den Klimawandel
Und damit sind wir zurück bei Fabricia, die sich im Schatten eines Baumes an ihre Großmutter Francine drückte, als ich sie bei meinem Projektbesuch in Ankaranabo traf. Francine, ihre Oma, berichtete mir, wie sich das Leben wandelt, weil Klimawandel und Erosion, die immer unberechenbareren Regenfälle, die häufigeren Dürrezeiten alles verändern.
In Madagaskar habe ich auch erlebt, wie UNICEF konkret hilft, die Härten des Klimawandels abzufedern. Ankanarabo, das Dorf von Fabricia und Francine, ist eines von 21 "Eco Villages", die UNICEF Madagaskar unterstützt. Von Dorf zu Dorf unterscheidet sich der Ansatz, jede Gemeinde entwickelt ihr Programm individuell und eng gemeinsam mit UNICEF und Partnern.
Immer geht es darum, die Gemeinden angesichts der Veränderungen zu stärken und das Überleben der Kinder durch vier Säulen zu sichern. Erstens klimaresiliente Infrastruktur, zum Beispiel durch Wasserversorgung über Solarpanels, nach Bedarf Entsalzungsanlagen und Brunnen, die auch in Dürrezeiten Wasser führen. Zweitens Wissen: Schüler*innen lernen Fakten über Klima und Umwelt und erfahren über das Pflanzen "ihrer" Bäume, wie sie selbst einen Beitrag leisten können. Drittens Einkommensmöglichkeiten: UNICEF fördert nachhaltige Ansätze wie die Produktion alternativer Holzkohle aus Kuhdung und natürlichen Abfällen oder die Herstellung wiederverwendbarer Menstruationsbinden.
Die vierte Säule ist das grundlegende Wohlergehen der Kinder: Trinkwasser, Hygiene, Impfungen, Schutz gegen Malaria, Unterstützung der mangelernährten Kinder gehören zur Basis des Programms - wie auch der Zugang zu Schulbildung.
Eine innovative Lösung, wie Kinder und Familien in Madagaskar und weiteren Ländern abgesichert werden können, ist die Initiative „Today & Tomorrow“ von UNICEF. Die Initiative vereint erstmalig die Finanzierung von nachhaltiger Klimaanpassung und Katastrophenvorsorge mit einer Klimarisikoversicherung, die im Katastrophenfall Gelder für lebensrettende Hilfe und Wiederaufbaumaßnahmen zahlt – im Fokus stehen die betroffenen Kinder und Jugendlichen. In den Pilotländern der Initiative wurden über die Versicherungspolice im Zeitraum 2023 schon über vier Millionen US-Dollar ausgezahlt. 327.266 Kinder, Frauen und schutzbedürftige Menschen profitierten direkt und schnell von der sektorübergreifenden Katastrophenhilfe, eine richtig gute Nachricht.
Im vergangenen Jahr haben die Vereinten Nationen das Recht eines jeden Kindes auf Aufwachsen in einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt bekräftigt. Alle Staaten müssen dazu beitragen, dass dieses Recht umgesetzt wird – für die Kinder heute und die künftigen Generationen. Deutschland hat sich zusätzlich mit der Unterzeichnung der „Declaration on Children, Youth and Climate Action“ im letzten Jahr zu einer Klimapolitik für Kinder bekannt.
Klimakonferenz muss Kinder in den Fokus nehmen
Die Klimakrise ist heute, und morgen, eine Krise, die Kinder besonders und besonders stark trifft. Deshalb müssen die Rechte und Bedürfnisse von Kindern viel stärker in die Klimapolitik integriert werden: in alle Arbeitsbereiche der Klimarahmenkonvention (UNFCCC), in nationale Politik und Pläne wie die national festgelegten Beiträge, sprich Nationally Determined Contributions (kurz NDCs) und die Nationalen Anpassungspläne (NAPs).
Es ist, um es einmal so zu sagen, krass: Nur 2,4 Prozent der globalen Klimafinanzierung sind bisher auf kinderspezifische Bedürfnisse ausgerichtet. Weniger als die Hälfte der national festgelegten Beiträge (NDCs) enthalten spezifische Maßnahmen für Kinder oder Jugendliche.
Aber wir bleiben optimistisch. So gab es bei den „Zwischenverhandlungen“ zur Weltklimakonferenz in Bonn im Juni dieses Jahres einen wichtigen Schritt voran. Zum ersten Mal in der 30-jährigen Geschichte der Klimarahmenkonvention wurden bei einem Expert*innendialog die besonderen Gefahren und Bedürfnisse von Kindern umfassend diskutiert.
Es ist aber wichtig, dass Kinder und Jugendliche nicht nur als besonders betroffene Gruppe stärker an Verhandlungen und Entscheidungen beteiligt werden. Sie sind auch wichtige Akteurinnen und Akteure des Wandels und müssen als solche einbezogen und gestärkt werden. Wie dies gelingen kann, zeigen zum Beispiel die Jugendlichen Francisco und Oumou in ihren Beiträgen in einem frisch veröffentlichten Special des Magazins Internationale Politik, das wir in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zum Thema „Kinder der Klimakrise“ veröffentlicht haben.
Die wunderbare Großmutter Francine hat als junge Frau ihr Dorf verlassen, um die weiterführende Schule zu besuchen. Sie kehrte zurück, kümmerte sich in Ankaranabo um ihre Eltern. Heute wünscht sie sich für Fabricia und ihre anderen Enkel vor allem: gute Bildung. Damit sie fort können und eine Zukunft haben, anderswo. Ich hoffe nach der Klimakonferenz auf bessere Nachrichten aus Baku für Francine und ihre Familie.